Als zu Weihnachten hin die Nachricht eintraf, der Patient sei von uns gegangen, war noch mal Musik drin. Und es erhob sich ein Chor der Klagenden. Und während die einen Bierdosen zum letzten Salut warfen, witterten die anderen Niedertracht, gar Verrat. Und während die Dritten die Faust wider den kapitalistischen Gang der Dinge reckten, spuckten die Vierten sich im Eifer des Gefechts gegenseitig auf die Füße. Es war, mit einem Wort, eine lustige Totenfeier, bei der es fast so lautstark wie früher zuging, als die Frage nach der richtigen Musik noch lebensentscheidend schien, sieht man einmal von dem einen feinen Unterschied ab, dass es eine Leiche im eigentlichen Sinn nicht gibt. Impression aus der neuen »Spex«-Redaktion in Berlin BILD
Auf Außenstehende muss der im Internet geführte Streit um Spex kurios wirken, denn der Patient lebt ja. Kommende Woche wird die einst wichtigste Musikzeitschrift des Landes mit neuem Gesicht an den Kiosken liegen. Um es gleich zu sagen: Es ist ein optisch ansprechendes, inhaltlich einwandfreies Heft geworden, das beste aller möglichen Spexe. Ansonsten ist in der Sache bloß zu vermelden, dass eine Redaktion durch eine andere abgelöst wurde, nachdem sie den vom Verleger offenbar aus Kostengründen betriebenen Umzug nach Berlin nicht mittragen wollte. Jetzt wird statt aus Köln eben aus Kreuzberg produziert, was die Bedingungen – ganz wenig Leute machen ganz viel Blatt – anbelangt, ändert sich ohnehin nichts. Sachlich indes darf man sich dieser Reprise eines alten Stücks nicht nähern.
Es ist der Avantgardeanspruch selbst, der zur Debatte steht. Früher – an der nostalgischen Floskel führt hier kein Weg vorbei –, früher schien er denen, die in diese Geschichte verwickelt sind, so selbstverständlich wie der Refrain im Song. Wer die neueste Musik hörte, verfügte über einen privilegierten Zugang zur Wirklichkeit, und wer die Faszination in Worte zu fassen vermochte, galt als Meinungsführer. Die Meinungsführerschaft wiederum, gern auch feierlich Diskurshoheit genannt, stellte das kostbarste Gut im Kampf um Positionen und Distinktionen dar, in dem der Musikkritiker – männliche Exemplare waren es in den Anfängen und sind es meistens noch heute – die Rolle eines Wissenden auf Abenteuerfahrt einnahm. Heute ist dieses Wissen zum Konfliktfall geworden, einem Konfliktfall mit Modellcharakter.
Halten wir uns nur kurz bei den handelnden Personen auf: der versprengten Kölner Truppe, die unter Beschuss steht, weil sie nicht an goldene Zeiten anknüpfen konnte, dem neuen Berliner Chefredakteur Max Dax, der unter Beschuss steht, weil er sich wieder »die großen politischen Leitthemen« auf die Fahnen geschrieben hat, dem Münchner Verleger, der, weil er unter Beschuss steht, in Stellungnahmen wild nach allen Seiten feuert – sie alle stehen für etwas anderes. Selbst die Hauptfigur ist bloß Symptom. Mein Spex, dein Spex: Aus dem Spex- Streit 2006/07 spricht der Phantomschmerz, den das Ende einer heftigen Liebe hinterlässt. Schön war’s am Anfang, dann kam der Alltag. Jetzt gilt es zu klären, wer das Erbe mit welchem Recht verwaltet.
Es war eben ein stolzes Bild: der Kritiker als Freibeuter, wie er von seinem Ausguck aus die sieben Weltmeere des Pop im Blick behält, um die mitgebrachten Schätze daheim vor den Augen des staunenden Publikums auszubreiten – wenn er nicht gerade dem Mainstream zeigt, was ein Enterhaken ist. Nur wirkt es mittlerweile etwas démodé. Längst gelten grundlegend andere Bedingungen für die Produktion, Distribution und damit Verfügbarkeit von Musik als in den Achtzigern. Komplizierte Beschaffungswege sind Vergangenheit, über den Internetversandhandel ist jede CD bis hin zu seltenen Importplatten innerhalb weniger Tage erhältlich. Wem das noch zu langsam geht, der besorgt sich das Gewünschte einfach kostenlos auf einer der zahlreichen digitalen Tauschbörsen.
Kommentare
Spex
Seit 1983 habe ich jede Ausgabe von SPEX gelesen und genossen. Gelernt und delektiert. In der Debatte um SPEX wird ein Aspekt vernachlässigt, der viel stärker ins Zentrum gestellt werden sollte. Diese Zeitschrift diskutierte, kommentierte, bewertete nicht nur Pop/Kunst, sondern hat sich immer auch selbst als Kunst präsentiert. SPEX-Hefte waren und sind bisher Kunstwerke gewesen. Man vergleiche nur einmal die Coverart von SPEX mit anderen respektablen Musikmagazinen. SPEX wollte eben immer mehr sein als guter Popjournalismus; jedes Foto, jede Story, jede Rezension schrie, oft zu Recht: 'Seht her - ich bin Kunst!' Ich hoffe, daß dieser Kunstanspruch erhalten bleibt, soliden Popjournalismus finde ich auch woanders, aber nicht diese Leidenschaft, in der Kommunikation über Kunst selbst Kunst zu produzieren und zu sein.
Genau das ist das Problem
'jedes Foto, jede Story, jede Rezension schrie[...]: 'Seht her - ich bin Kunst!''
Und deshalb ist dieses Heft für diverse Plagen in der deutschen Musikszene mitverantwortlich zu machen. 'Seht her - ich bin Kunst!' ist zu einer Attitüde geworden, die den deutschen Independent-Musikbereich über weite Strecken unerträglich gemacht hat, von der völlig dämlichen (wahrscheinlich postmodernstrukturalistischdiskursiven) Selbstdarstellung der Kunststudenten-Bands bishin zu den immergleichen Texten, in denen die banalsten 'Einfälle' durch Aufbietung irgendwelches (nicht zuletzt aus der SPEX angeeigneten) kruden, selbstverliebten Gefasels zu 'Kunst' erklärt wird.
Das Ganze natürlich ständig mit einer guten Dosis 'Punk' als stets willkommene Entschuldigung dafür, daß man sich mit der Musik (natürlich nicht aus Mangel an Talent, sondern absichtlich!) keine besondere Mühe machte. Einfach uncool und wahrscheinlich inhärent reaktionär (oder heute neoliberal), sich erst vor das Publikum zu trauen, wenn man etwas Vernünftiges vorweisen kann. Arbeitsverweigerung, Streik als Grund für Fantum.
Je mehr 'Kunst', desto mehr ist schlechte Musik gut, oder anders herum: Wenn etwas subjektiv einfach schlecht wirkt, so ist dies in jener Welt der verqueren Wahrnehmung eigentlich schon der Garant für 'Kunst'. Begriffe wie 'Qualität' müssen dafür natürlich gleich mit umgekehrt werden, damit keiner was merkt und sich verwundert die Augen reibt.
Das entsprechende Publikum lebt längst in derselben Umpolung. Wer das nicht mitdenkt, der gehört schlicht zum Pöbel, und der hat natürlich (hier muß dann auch mal Schluß sein mit der Punk-Attitüde) überhaupt keine Ahnung davon, was gut ist.
Über die Schnittmengen von Ballermann-Techno und 'Kunst'-Musik demnächst mehr.
kunst ist nicht gut und nicht schlecht, geschweige denn spex
wenn 'kunst!' zur pose gerinnt, kommt natürlich nur das raus, was vorher schon drin war. und wenn nur 'sch.....' drin war, kommt auch nur 'sch.....' raus.
ob sie gut oder schlecht ist, ist der kunst selbst aber eigentlich egal.
ob sie gefällt oder mißfällt spielt da keine rolle.
geschmacksfragen laßen sich auf dieser ebene also gar nicht diskutieren.
dafür ist geschmack zu subjektiv, kunst als solche aber dem publikum gegenüber zur objektivität verpflichtet [auch wenn sie subjektives zelebriert].
echte könnerschaft dagegen ist schön und imposant zu bestaunen, also schon selbst wieder kunst. solange jedoch epigonal gedehnte redundanz hinten raus kommt, ist sie kröpfchenweise überflüßig.
ich habe nie spex gelesen.
und wüßte nicht, wieso ich jetzt damit anfangen sollte.
das reden [+schreiben+lesen] über musik, hält doch die meisten nur vom eigentlichen, dem hören [+machen] ab...
SPEX IST TOT
Leider, leider,
haben sich zu Tode geupdated. Irgendwann in den neunziger Jahren wurden sie ein ( ideologischer ) Teil des kölschen Klüngels um VIVA-Dieter Gorny und dessen 'NEUE MITTE'-Vorstellungen von Popkultur. Wodurch sie den Ulf Poschardts dieser Welt ( 'FDP wählen ist POP' ) den Weg bereiteten. Tja nun haben wir den Salat und erzreaktionäre Spießer wie mein Vorredener ( Agitator ) haben die Deutungshoheit über so wunderbare Dinge wie Kunst und Musik. Wie schade!