Reden wir nicht über Anne Will. Ginge es nur um ihre Talkshow, das Wesentliche wäre schnell gesagt: Keine Anfängerfehler, keine Anlaufschwierigkeiten, die Sendung fühlt sich an wie schon immer da gewesen. Das ist der Erfolg, das ist die Niederlage dieser Premiere. Die erste Ausgabe von Anne Will, die am vergangenen Sonntag rund fünf Millionen Zuschauer anlockte, hätte auch die 500. Folge sein können. Nur eine Entscheidung der Moderatorin ist von Bedeutung über die Welt des Fernsehens hinaus – sie ist Moderatorin geblieben. Nun gehorcht sie dem Gebot des Metiers: Beziehe keinen Standpunkt, und wenn du einen hast, lass dich dort nicht erwischen. Damit führt Will in zweiter Generation die Geschäfte ihrer Vorgängerin Sabine Christiansen weiter und sichert eine Dynastie, die hierzulande die Meinungsmacht ausübt: die Herrschaft der Moderatoren.
Moderatoren regieren nicht bloß im Fernsehen, sie sind längst in allen Lebensbereichen zu finden. Illner, Will, Maischberger oder Beckmann (Plasbergs Premiere steht noch aus) – sie sind nur die offensichtlichen, oft auch zu Unrecht gescholtenen Exponenten dieser Kaste. Der Moderator ist der Idealtyp der Multioptions-Gesellschaft. Er steht im Mittelpunkt von Macht und Aufmerksamkeit und nimmt doch keinen Schaden an den Auseinandersetzungen um ihn herum, denn er moderiert ja bloß. Dieser gesellschaftliche Typus ist anzutreffen unter Politikern so oft wie unter Publizisten, unter Managern wie unter Politaktivisten, und selbst wir als Bürger müssen uns die Frage gefallen lassen: Haben wir eigentlich politisch eine Haltung, oder moderieren wir nur noch die Gäste unserer inneren Talkshow?
So gilt die Kritik nur stellvertretend dem Polittalk und seinen Showmastern. Doch dort, auf offener Bühne und unter den Scheinwerfern der Öffentlichkeit, werden die Wirkungsweisen, die Fallen und Verlockungen der Herrschaft des Moderatismus besonders augenfällig. Anne Will hat das Mantra dieser Klasse zum Ende ihrer Sendung formuliert: »Wir sprechen nächste Woche weiter.«
Politik ist ihnen nicht Verfechten von Standpunkten und Richtungen, sie sehen sich als Gastgeber, und kommen darf, wer immer ins Programm passt: Minister, Mütter, Kardinäle. Moderatoren ergreifen nicht Partei, sie bereiten der Macht nur die Manege. Sie haben unbestreitbar Mut, aber ihr Mut ist der von Dompteuren, nicht der von Akrobaten: Sie lassen antanzen, auftreten, abtreten, und dafür ist ihnen Applaus gewiss. Ihre sorgsam gewahrte Nichtidentität ist die Voraussetzung ihres Ruhmes, sie sind Meinungsmacher ohne eigene Meinung.
Moderation ist Demokratie – und damit auch eine Erfolgsgeschichte
Trotzdem ist der Triumphzug der Moderation zunächst einmal eine Erfolgsgeschichte. Moderation ist Demokratie. Sie kann gleichermaßen Schutz gegen zu viel und zu wenig Struktur sein. Wo sich keiner findet, der moderiert, droht allen Chaos. Umgekehrt gilt: Wenn einer allein bestimmt, statt zu moderieren, wird es schnell autoritär. Vielleicht rekrutieren sich darum die Moderatoren in Politik, Medien oder Wirtschaft bevorzugt aus der Generation der Mittvierziger bis Frühfünfziger. In der Konkurrenz mit den älteren Platzhirschen der 68er-Generation kamen die Jüngeren jedenfalls mit offenem Kampf selten voran. Im Spektrum zwischen ideologischer Verhärtung und pragmatischer Beliebigkeit war Moderation lange Zeit ein völlig legitimer, auch anständiger Balanceakt. Moderation als Herrschaftsform taugte überdies als Strategie zur Sicherung gesellschaftlicher Teilhabe. Diese Erfahrung hat, neben der Mittelgeneration der Endvierziger, auch eine zweite Gruppe gemacht: Zwar werden Frauen bis heute selten Intendant, Fernsehdirektor oder Chefredakteur. Doch dank ihres Sessels im Studio stechen Maybrit Illner, Anne Will, Sandra Maischberger oder Marietta Slomka ihre männlichen Vorgesetzten bei Weitem aus.
Kommentare
Gute Analyse, aber zu pauschal
insbesondere frage ich mich, warum der Autor so tut, als ob die Bevölkerung ähnlich standpunktlos wäre. Viele Menschen sind privat durchaus recht radikal in ihrer Vertretung einer politischen Position. Auch bei den Talkshowgästen gibt es Leute wie H.W. Sinn oder Lafontaine, die sehr klar ihre Meinung darstellen.
Ich vermute genau das, was im letzten Absatz deutlich wird. Ein Moderator, der eine eigene Meinung erkennen lässt, wird sofort angegriffen. Gerade im öffentlichen Fernsehen wird eine strikte Gleichgewichtung von linkem und rechtem Lager erwartet (was natürlich eine Form politischer Meinung ist). Das lässt dann leider auch kaum noch geziehltes nachfragen und in die Tiefe gehen zu. Ich sehe daher schon seit Jahren kaum noch Talkshows, und wenn doch bestätigt sich mein negatives Bild.
Besser ist es in einer Zeitung seine Vertrauens die Zusammenfassung der politischen Debatte zu verfolgen ;-)
Was will uns Herr Schwarz sagen?
Schlau werde ich aus diesem Artikel nicht. Ich finde es gibt viele Menschen, die nicht moderieren, sondern an ihrer Meinung festhalten, oft sogar wider besseren Wissens.
Auch eine Moderatorin macht Politik und bringt ihren Standpunkt ein, schon allein durch die Auswahl ihrer Gäste. Nicht umsonst wurde die Sabine ja so oft kritisiert.
Ich selbst moderiere schon gar nicht, außer ich habe zu einem Thema keine Meinung, was ja durchaus auch mal vorkommen kann. Auch kann es (ja sollte es sogar), hin und wieder, passieren, dass ich meine Meinung ändere, weil ich andere Informationen habe. Ein ganz normaler Vorgang.
Der Artikel erinnert mich daher an meine Schulaufsätze, unter denen manchmal (ganz selten :-) stand: "Hier fehlt Substanz, viele Worte wenig Inhalt!"
MfG
AKu
wenigstens ist sie hübsch
ich seh sie gerade, und es gilt ehrlich und sogar gnädig:
anne will, aber kanns nicht. mein vorschlag: ich krieg die kohle und der moderatorenplatz bleibt leer und die gäste dürfen ihre statements ableiern.
fairerweise, aller anfang ist schwer - also könnte ich oder du oder er sie/es das auch: hochbezahlt lernen.
ich würd's für ein viertel machen (wär' auch gut wg. gez)
wer diese sendung sieht, gesehen hat: ist er nicht süß, unser innenminister, wie er konfirmandengleich von unten tückisch unschuldig schaut und lächelt und mit kreidestimme ungeheuerlichstes erzählt, einsatz der bw im inneren, und die "pflichterfüllung" des soldaten, und der andere schwätzt vom weltkrieg gg. den terrorismus und man hört nix von will. ich persönlich führe einen gnadenlosen krieg gg. fettmacher. beck und die anderen politiker "kämpfen" um stimmen etc. nie wieder krieg! terror ist kriminell und demzufolge polizeiangelegenheit.
schade, von will hab ich mir mehr erhofft: geist, klugheit und agressive diskussionsführung mit klarem bekenntis zur freiheitlich demokratischen grundordnung, und dem mut, selbst pfeifen im rollstuhl pfeifen zu nennen.
gerade höre ich schäuble wimmern " natürlich haben wir keinen kriegszustand" klar, wieso dann soldaten? komm mal klar, alter. wo bleibt will?
nachsatz
anne will erträgt schäubles selbstdarstellung. widerspruchslos.
ich ertrage will nicht mehr.
Nachrichten vortragen ist eben einfacher, als Nachrichten zu machen.
verpasste chance