Die Frage: Jan und Jule sind beide Mitte zwanzig und seit einem halben Jahr zusammen. Jule geht jeden Sonntag in einen freikirchlichen protestantischen Gottesdienst. Jan glaubt zwar an Gott, aber das gemeinschaftliche Feiern hält er für übertrieben. Trotzdem rafft er sich auf und geht mit, Woche für Woche. Er wusste ja schließlich von Anfang an, worauf er sich bei einer Beziehung mit Jule einlassen würde. Doch jeden Sonntag fragt er sich, ob diese Beziehung auf Dauer eine Basis hat. Einerseits würde er ja Gott gern besser kennenlernen, andererseits kann er sich mit dem Jubelgottesdienst nicht anfreunden. Auch deshalb nicht, weil er katholisch ist und die katholische Kirche mit ihrem verknöcherten Gottesdienst ihm auf einmal viel näher ist. Er hofft, dass Jule und er sich in der Mitte treffen können. Sie sagt: Soll ich jetzt wegen dir weniger glauben?
Wolfgang Schmidbauer antwortet: Die Liebe und die Religion sind ähnlich in ihren Ansprüchen. Sie fordern völlige Hingabe und wachen eifersüchtig über ihren Einfluss auf die Gläubigen. Im Alltag freilich denken die meisten Menschen weder immer an ihre Liebsten, noch immer an ihren Gott. Alltagstaugliche Beziehungen folgen durchaus dem Motto des alten Fritz, wonach jeder nach seiner Fasson selig werden kann. Jan ist vielleicht schon zu weit gegangen, als er bei Jule den Eindruck erwecken wollte, er teile ihre freikirchliche Begeisterung. Denn Sekten dulden keine Zweifler in ihrer Mitte. Für eine Beziehung ist nicht die Einheit im Glauben unentbehrlich, wohl aber ein insgesamt liebe- und humorvoller Umgang mit den Glaubensdifferenzen. Es gibt dann durchaus gute Beziehungen zwischen unterschiedlichen Konfessionen.
Wolfgang Schmidbauer, 67, ist einer der bekanntesten deutschen Paartherapeuten, von ihm erschien u.a. "Das Mobbing in der Liebe", Gütersloher Verlagshaus
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Kommentare
pauschales abstempeln
pauschal Freikirchen als Sekten zu benennen ist einer seriösen Zeitung nicht würdig.
Stimmt
es fehlte der Hinweis, dass auch die gebundenen Kirchen (kath. usw.) Sekten sind .
Nörgler!
Sekte (lat. secta „Richtung“, von sequi, „folgen“, in der Bedeutung beeinflusst von secare, „schneiden, abtrennen“) ist eine ursprünglich wertneutrale Bezeichnung für eine philosophische, religiöse oder politische Gruppierung, die durch ihre Lehre oder ihren Ritus im Konflikt mit herrschenden Überzeugungen steht. Insbesondere steht der Begriff für eine von einer Mutterreligion abgespaltenen religiösen Gemeinschaft. So ist beispielsweise das Christentum als Sekte aus dem Judentum hervorgegangen
So einfach sollte man es sich nicht machen
Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Sekte ist sicherlich
richtig beschrieben worden. Trotzdem wird der Begriff in unserer
heutigen Gesellschaft nicht wertneutral definiert, sondern ist gerade
mit Werten untrennbar verknüpft. In diesem Sinne sollte dann auch
das Wort Sekte - gerade von einer seriösen Zeitung - verwendet werden.
Genauso würde ich es erwarten, dass der Begriff Euthanasie nicht einfach
in seiner wertneutralen Bedeutung gebraucht wird.
ebenfalls pauschales Abstempeln
Und die katholische Messe pauschal als "verknöchert" abzustempeln zeugt auch nicht gerade von Seriösität.
Aber hier ging es doch darum, wie die beiden das Problem lösen können?!
Unser "Paartherapeut" scheint sagen zu wollen: hätte er sich mal nicht drauf eingelassen, wäre er mal ehrlicher gewesen, entweder gäbe es diese Beziehung dann gar nicht oder er hätte das Problem nicht. DANKE, keine Hilfe.
Also, was genau stört ihn? Jubelgottesdienste? Er hats gern leiser, weniger ausgelassen? DA würde er dann hingehen wollen? Ne, glaub ich irgendwie nicht. Ich denke, er hat vielleicht viel grundlegendere Probleme mit dem allgemeinen Glaubenskorsett, meint jetzt, das Christentum wäre ihm näher (jahrelange Übung im Ignorieren?) um den ganz-großen (auch inneren) Konflikt zu vermeiden. Was genau ihm stinkt traue ich mich jetzt nicht zu erraten...
Und Sie? Es ist immer ein wackliger Glaube wenn er darauf angewiesen ist ständig vom Umfeld bestätigt zu werden. Als Mensch muss man lernen, dass auch einem nahe Mensch an dem zweifeln, was einem selbst die größte Gewissheit ist. "Soll ich jetzt weniger glauben?" ist für mich demnach eine verräterische Frage die daraufhin deutet, dass auch ihr Glaube von Sozialdruck erzwungen ist = nicht ihr selbst entsprechend.
Vieleicht könnte man den beiden den Rat geben, einfach mal ihre Zweifel auszusprechen - ohne, dass einer von beiden meint direkt die "offizielle Position" oder Begründung dazuzusagen. Nur hinhören, bekennen und erkennen:
"Es sind die Zweifel, die die Menschen vereinen. Ihre Überzeugungen trennen sie."