Das Massaker von Winnenden brachte es an die Öffentlichkeit: Deutschland ist bis an die Zähne bewaffnet. Mehr als acht Millionen genehmigungspflichtige Gewehre und Faustfeuerwaffen befinden sich im Privatbesitz, ungezählte kursieren illegal durch die Gesellschaft. Jeden Tag kommen neue hinzu, und jede Woche werden alte vererbt. Die Zahl der Mundharmonikas in den Haushalten dürfte niedriger sein. Allein in der Hauptstadt Berlin sind 56.377 Waffen registriert – Polizeipistolen nicht mitgerechnet.
Der Vater des Amokläufers von Winnenden hortete angeblich 15 Schusswaffen und kiloweise Patronen in seiner Wohnung, 4600 Stück hat die Polizei gezählt. Alles legal. Sein Sohn war mit 223 Kugeln losgezogen. K. sen. ist (noch) Mitglied des örtlichen Schützenvereins. Nur die großkalibrige Beretta, die 15 Menschen und den Schützen das Leben kostete, hatte er nicht verschlossen, wie vom Waffengesetz verlangt, und die dazugehörige Munition womöglich auch nicht.
Dem ermittelnden Staatsanwalt wird der Vater erklären müssen, wann und warum er dem jungen Tim im Schützenverein beigebracht hat, mit der Beretta oder einem ähnlichen Gerät umzugehen. Das Waffengesetz verbietet die Aushändigung von Gewehren oder Pistolen an psychisch labile Personen – mithin auch den Gebrauch zu Übungszwecken. Tim K. war wegen seiner Depressionen vom Wehrdienst befreit. Sein Vater wusste das. Er hatte einen gelehrigen Schüler. Ein Schießausbilder aus der Region bezeichnet K.s Kopfschüsse als »gezielte Exekutionen eines erfahrenen Schützen«. Nicht nur die berüchtigten Ego-Shooter- Spiele im Internet taugen zur viel beklagten »Desensibilisierung« junger Männer im Allmachtswahn. Das schaffen auch die krachenden Schießereien auf Scheiben in durch und durch bürgerlichen Vereinskellern.
Hinter den seelischen Nöten des 17-jährigen Tim K., hinter der Software seiner Killerspiele stand die tödliche Hardware der 1,7 Millionen deutschen Schützenvereinsmitglieder. Aus ihrem Arsenal hatten sich bereits die Amokläufer von Erfurt und Emsdetten bedient. Doch was hat eine mächtige 9-Millimeter-Beretta, die einen Stier fällen könnte, bei einem Hobbyschützen zu suchen?
Zweimal ist das Waffengesetz in den vergangenen sieben Jahren geändert worden, stets unter dem Eindruck eines Amoklaufes an einer Schule. Jetzt, meint Innenminister Wolfgang Schäuble, sei das Gesetz umfassend genug. Tim K., sagt er, hätte eine verschärfte Fassung nicht aufgehalten. Woher weiß er das?
Das Gesetz hält in der Tat eine Fülle von Einschränkungen bereit, Sanktionen inklusive, nur an zentraler Stelle grenzt es an unfreiwillige Komik: Eine Waffen- und Munitionserlaubnis setzt voraus, »dass ein Bedürfnis nachgewiesen« wird. Und ein Bedürfnis liegt unter anderem vor, wenn »glaubhaft gemacht« wird, dass man »Jäger, Sportschütze, Brauchtumsschütze, Waffen- oder Munitionssammler … oder Mitglied eines schießsportlichen Vereins ist«. Ein Segelschein dürfte in Deutschland schwieriger zu erwerben sein als die Berechtigung, eine Waffe nach Hause zu tragen.
Wie viele der Schusswaffen, die bei allfälligen Razzien in der Neonaziszene sichergestellt werden, waren oder sind eigentlich rechtmäßig registriert? Auch das ist in unserem Bundesstaat immer noch eine Quizfrage an die Landesinnenminister, die sich auf eine europaweit fällige Zentralregistratur für Waffenbesitzer bisher nicht einigen konnten. Welche Lobby hindert sie daran? Die Waffenhersteller oder die Schützenvereine? Nach dem Amoklauf von Winnenden sollte endlich klar geworden sein, dass die Kosten solcher Zurückhaltung zu hoch sind.
Kommentare
Verbieter unterwegs
Der Artikel ist sehr flach. Ich lese hieraus nur, der Autor kann aus persönlichen Gründen keine Waffen leiden, also kann der Waffenbesitz zumindest weiter eingeschränkt werden, am besten gleich bis auf Luftgewehre verboten werden. Als Begründung werden die Amokläufe an den Schulen angeführt.
Sehr geehrter Herr Naumann, haben sie sich jemals gefragt, warum es Länder mit einer vielfach höheren Waffendichte gibt, und das ohne Amokläufe? Oder warum es sogar Länder mit exzessiv höherer Jugendgewalt (inklusive der Opfer) gibt, in denen es praktisch keinen privaten Waffenbesitz gibt? Vermutlich nicht.
Aber ein praktischer Anlaß nach Verboten zu schreien (zumindest solang diese einen nicht selbst betreffen) findet sich ja immer. Ist ja meistens auch intelektuell einfacher. Ob ein Problem hierdurch gelöst wird ist ja nicht immer so wichtig. Hauptsache das persönliche Ego findet Bestätigung.
Einfach ****-Niveau.
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Ich fordere für alle Personen in Führungsverantwortung.
- jährlich eine Woche Sozialarbeit
- wöchentlich 3Stunden Geschichtsunterricht
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Länder mit hoher Waffendichte und ohne Amokläufe?
Hallo Steinager:
Können Sie - rein bespielhaft - nur ein Land nennen, auf das Ihre Aussagen zutreffen? Die USA können das ja wohl nicht sein.
Können Sie mir außerdem sagen, wozu man eigentlich Waffen braucht?
Danke im Voraus
wfd
2. Endlich was sinnvolles zum Thema
Danke fuer diesen Artikel. Mir ist es ebenfalls unbegreiflich, wie man die Diskussion um Computerspiele und Medien vor der Diskussion um Waffen fuehren kann. Ist ja moeglich, das die Computerspiele Gewaltbereitschaft erhoehen, auch wenn mir dazu keine ernstzunehmenden Untersuchungen bekannt sind.
Eins muss klar sein. Schiessen lernt man nicht bei Counter Strike. Da lernt man nur mit der Maus klicken. Als ob man davon mit einer Beretta umgehen koennte.
Und egal, wie viele Gewaltphantasien oder geistige Stoerungen man hat, man kann keine 16 Menschen mit solcher Effizienz toeten, wenn man nicht das richtige Werkzeug hat.
Wenn derartig viele Schusswaffen, deren ureigenster Sinn das Toeten von Menschen ist (eine Beretta ist nicht gerade die typische Jadwaffe) in privaten Haushalten zu finden sind, dann muss man wohl feststellen, dass unsere Gesellschaft bei weitem nicht so pazifistisch ist, wie sie gerne tut und dass Computerspiele in denen man auf Menschen schiesst einfach mal die Realitaet widerspiegeln, auch wenn sie uns unangenehm ist.
Ich sehe nicht ein, warum sich ueberhaupt Waffen im Privatbesitz befinden. Solange wir damit einverstanden sind, dass die Waffenproduktion einen so grossen Teil unserer Wirtschaft ausmacht, brauchen wir uns auch nicht wundern, dass derartig schlimme Dinge passieren.
Ja, warum überhaupt?!?
Es stellt sich gar nicht die Frage, ob Waffen verboten werden sollen. Vielmehr ist fraglich, warum Werkzeuge, die ausschließlich zum Töten gedacht sind, überhaupt in privater Hand erlaubt sind!?
Vielleicht täte die Gesellschaft gut daran, diese Waffen zu verbieten und die Leute statt dessen "Killerspiele" spielen zu lassen ...
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Let's agree to respect each other's views, no matter how wrong yours may be.
Wehrhafte Bürger
Ist es nicht sinnvoll privaten Waffenbesitz zuzulassen um für eine gewisse Wehrhaftigkeit der Bürgerschaft zu sorgen? Das ist in Amerika wohl auch so gedacht. Die Schweiz dürfte gleichfalls recht hochgerüstet sein. Dort ist bisher noch kein derart verheerender Amoklauf vorgekommen. In Deutschland waren jahrzehntelang Waffen vorhanden ohne dass es zu Amokläufen gekommen wäre. Waffenbesitz muß kontrolliert werden, aber er gehört nicht verboten. Vielmehr muß der Prozess der gesellschaftlichen Desintegration und Entsolidarisierung umgekehrt werden. Amokläufe sind nur ein Symptom des gesellschaftlichen Zerfalls - Stress, Mobbing, Selbstmorde, Krankheiten sind ein anderes, nur kann man das besser unter den Teppich kehren. Für einen Krebstoten findet sich immer ein Grund und die Spirale kann sich weiter drehen. Im Falle des Amoklaufs geht das nicht und man sollte es zum Anlass nehmen die Symptomschneiderei zu beenden. In dieser Zeit sollten wir mehr Sozialismus wagen. Längere Schulzeit, keine Studiengebühren, längerer Wehr -und Zivildienst, Lehrstellen in Staatsbetrieben - nur so ein paar Ideen. Wichtig ist die Entzerrung, -spannung. Es geht nicht um die Verteilung von Geld und Konsum - das ist Schwachsinn - sondern eine gesellschaftliche Verfassung die berücksichtigt dass wir alle Menschen sind und einer für alle verantwortlich ist wie umgekehrt.
Der Autor sollte sich
lieber dafür einsetzen mehr gegen illegale Waffen zu unternehmen, als gegen legale Waffen zu hetzen! Da hätte er ein unerschöpfliches Betätigungsfeld.
Der Ruf nach erneuten Verschärfungen sei "Ausdruck purer Hilflosigkeit". Der Anteil von Straftaten mit legalen Waffen an der Gesamtzahl der Delikte betrage lediglich 0,03 Prozent im Jahr, sagt Dicke.
http://www.spiegel.de/pol...