Im Amazonasgebiet von Peru verhindern Ureinwohner, dass die Regierung ihre Lebensräume den großen Holz- und Agrospritunternehmen öffnet. In Straßburg erobert die Piratenpartei, die sich als Avantgarde einer freien Informationsgesellschaft sieht, einen Sitz im EU-Parlament. In Washington streitet Präsident Barack Obama für einen US-internen Emissionshandel mit CO₂-Zertifikaten.
Alles Nachrichten der letzten Wochen, die in der Sache so weit voneinander entfernt scheinen wie ihre Schauplätze. Doch es gibt einen gemeinsamen Nenner für den Kampf um die Stabilisierung des Klimas, die Rettung der Urwälder oder den offenen Zugang zu Kultur und Wissen im Internet: Stets wird darum gerungen, wer nach welchen Regeln die Gemeinschaftsgüter nutzen darf; jene oft lebenswichtigen Ressourcen, die nicht nur wenigen, sondern allen Menschen zur Verfügung stehen sollen.
Es trifft also den Kern aktueller politischer Konflikte, wenn die Publizistin Silke Helfrich jetzt mit einer anregenden Aufsatzsammlung den Blick auf die »Commons« lenkt; so der englische Begriff für die Allmenden, den ihre international vernetzten Verfechter meist verwenden. Sie wollen Aufmerksamkeit für die übersehene soziale Bindekraft von Waldressourcen oder geteilten Saatgut- und Technologiepatenten wecken und, dem vergessenen Ökonom Karl Polanyi folgend, eine oft konzentriert vermachtete Wirtschaft wieder »ins Leben eingebettet« sehen. Sie werfen die seit Menschengedenken brisante Frage neu auf: Wem gehört die Welt?
Dabei unternehmen die Autoren, die Helfrich im Auftrag der Heinrich Böll Stiftung versammelt hat, erstmals den kühnen Versuch, im breiten Spektrum der höchst unterschiedlichen Commons Gemeinsamkeiten aufzuzeigen: zwischen natürlichen Ressourcen wie dem Boden und technisch ermöglichten wie der freien Software; zwischen lokalen sozialen Räumen wie »interkulturellen Gärten« und globalen Allmenden wie der Atmosphäre, die die Menschheit, besonders ihr reicherer Teil, blind als Müllkippe nutzt.
Ob der Klimaexperte Jörg Haas und der US-Autor Peter Barnes einen Commons-begründeten europäischen Emissionshandel unter Treuhand-Verwaltung entwerfen, ob die Umweltschützerin Sunita Narain die modellhafte Erfolgsgeschichte lokaler Milchgenossenschaften in Indien erzählt oder Petra Buhr und Julian Finn vom Netzwerk Freies Wissen Künstlern und Autoren mit einer »Kulturflatrate« auch dann die Existenz sichern wollen, wenn jeder ihre Werke herunterladen kann: Die Perspektive einer »systematischen Anwaltschaft« für die Allmende ist allen Autoren gemein.
Dabei spannen sie auch historisch einen weiten Bogen, der die fortdauernde »Einzäunung« immer größerer Teile der Commons zum Zweck ihrer Verwertung im kapitalistischen Einzelinteresse beschreibt – und damit oft ihre Erosion. So liest Silke Helfrich in den Robin-Hood-Balladen eine Geschichte des Versuchs, die Rechte der Allgemeinheit gegen die Ansprüche des Königs zu verteidigen; in der Magna Charta war schließlich verbrieft, dass auch in seinen Wäldern und Seen ein jeder jagen und fischen könne. Oliver Moldenhauer von den Ärzten ohne Grenzen kritisiert in der Gegenwart die Folgen weitreichender Patente für die Gerechtigkeit der globalen Gesundheitsversorgung; der Internet-Guru Richard Stallman malt sich aus, wie vermehrte »Lesegebühren« ärmere Nutzer ausgrenzen könnten. In die Zukunft blicken auch die kanadischen Wissenschaftskritiker Pat Mooney und Silvia Ribeiro. Sie warnen vor der Verbindung aus Nanotechnologie, Genomik und synthetischer Biologie: Per Medizinchip im Hirn werde womöglich sogar über das unveräußerliche Selbstbestimmungsrecht des Menschen verfügt.
Schuld am Schrumpfen der Commons, das betonen mehrere Beiträger, sei in den letzten Jahrzehnten nicht zuletzt die unter Ökonomen selten angefochtene These von der »Tragik der Allmende«. Mitte der sechziger Jahre hatte der Biologe Garrett Hardin das Vertrauen in die Gemeinressourcen mit der Behauptung erschüttert, sie würden unweigerlich übernutzt. Wie einst im Mittelalter bei der jedermann zugänglichen Dorfweide sehe jeder nur seinen Vorteil und überlasse die langfristige Pflege den anderen. Doch Hardin habe sich geirrt, kritisieren mehrere Autoren. Seine Analyse treffe zwar auf Niemandsland zu – Commons aber würden von den jeweiligen Gemeinschaften, die auf sie Anspruch erheben, meist nach klaren und auf Nachhaltigkeit angelegten Zugangs- und Nutzungsregeln verwaltet. Dem Menschenbild vom einseitigen Homo oeconomicus setzen sie Beziehungswesen entgegen, die bei ihren Entscheidungen auch anderen Antrieben folgten; zum Beispiel der Suche nach Anerkennung, Gegenseitigkeit und Solidarität.
Kommentare
"Kollektiveigentum"
Ein altes Thema, welches immer wieder brisant ist: Ressourcen+Ideen und deren möglichst optimale Nutzung durch die Gesellschaft.
Viele dieser Probleme und Themen sind automatisch dem "Kommunismus"-Tabu belegt - zuerst kommt immer die "Enteignungsdebatte", die alle weiteren und möglicherweise auch sinnvollen Diskussionen erschlägt.
Eine solchem Buch wäre zu wünschen, dass es auch auf diese Problematik eingeht und beim Ausloten der jeweiligen Pro-/Contra-Argumente je Thema hilft. Dies geht leider meist nur mit quantitativen Zahlen, die ja leider oftmals fehlen, die aber oft den Unterschied in der Debatte ausmachen.
Zwischen Gewinn und Schaden für die Allgemeinheit liegt irgendwo ein Punkt der nicht Enteignung, aber auch nicht Gewinnmaximierung bis zum bitteren Ende ist. Über das erreichen dieses Bereiches sollte auch jenseits von CSR-Reports gesprochen werden, auch wenn OpenAccess und ein neues Patenrecht für viele (auch in der ZEIT) schon zu heikel ist.
Die Kommunismuskeule gleicht einer degenerierten Gliedmaße.
Eine echte Chance hatte dieser nicht. Schon weil die Technologie nicht weit genug vorran geschritten war. Und verglichen mit den Alternativen, die sich in seinem Scheitern suhlen, hatte er auch wenig Zeit.
Dazu noch der Aufgezwungene Schaukampf der Systeme, bei welchem der Bewertungsmaßstab uns durch unsere Werbemaschinerie aufoktruiert wurde.
Die Ideen des Venusprojektes sollten diskutiert werden.
Nicht das unser derzeitiges System nicht toll wäre, die Frage bleibt halt nur für wen, und für wie wenige.
http://www.thezeitgeistmo...
Nicht durch die beiden reisserischen Zeitgeist-Filme abschrecken lassen.
Silke Helfrich schreibt ein interessantes Blog:
http://commonsblog.wordpr...
Die Zusammenhänge zwischen der "Magna Charta" und dem Allgemeinrecht hat Peter Linebaugh herausgearbeitet:
The Magna Carta Manifesto: Liberties and Commons for All (University of California Press: Berkeley, California 2008)
Vom selben Autor gibt es in deutscher Übersetzung das hervorragende Buch Die vielköpfige Hydra: Die verborgene Geschichte des revolutionären Atlantiks
- das ich nur empfehlen kann!
@ Autor Grefe: "In einer zutiefst individualistischen Gesellschaft möchte keineswegs jeder gern »Mit-Besitzer, Mit-Verantworter und Mit-Nutzer« sein." - ist meineserachtens kein Argument, sondern beschreibt das gegenwärtige Leitbild zur Vereinzelung der Menschen zur bequemeren Beherrschung nach dem Prinzip "Divide et Impera".
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Niemand ist hoffnungsloser versklavt als der, der fälschlich glaubt frei zu sein. [J. W. Goethe]
Wir kommen an dieser Diskusion nicht vorbei
da bei einer wachsenden Weltbevölkerung die Frage der Resscourcennutzung immer dringlicher wird, während große Kapitaleigner immermehr nach der Weltbeherrschung mittels Besitz greifen. Patente auf alles was nicht niet und Nagelfest ist..
Die Frage lautet für mich auch, wieso ich eigentlich zum Beispiel Markenware oder Markennamen gesetzlich schützenswert finden sollte, obwohl deren Vertreiber sich nicht an die BEI UNS geltenden Produktionsbedingungen halten müssen, obwohl sie das Zeug hier teuer verkaufen dürfen.. Dies ist ein Teilaspekt, versteht sich.
Und uns wollen die weiss machen, dass wir dafür verantwortlich sind, weil wir aus Unwissen (welches zu vor verordnet wird) heraus den unter menschenunwürdigen Bedingungen produzierten Schrott erworben haben.
Denkbar wäre beides...
Eigentum, nicht Besitz
"während große Kapitaleigner immermehr nach der Weltbeherrschung mittels Besitz greifen"
Nicht Besitz, sondern Eigentum.
Besitz ist etwas völlig Natürliches, "Eigentum" hingegen ist nichts weiter als ein zweifelhaftes juristisches Konstrukt.