Wer braucht schon ein Fußballstadion? Solingen jedenfalls nicht mehr. Die Stadt steht kurz vor der Pleite , weshalb Oberbürgermeister Norbert Feith das jährliche Defizit um 45 Millionen Euro senken will. Seine Kürzungsliste ist eine einzige Provokation: Schwimmbäder sollen geschlossen, Schulen aufgegeben, überzählige Feuerwehrautos stillgelegt werden.
Dennoch hat der Volkszorn den Bürgermeister bislang nicht hinweggefegt. Ganz im Gegenteil, die Bürger stützen Feiths Pläne und haben beraten, auf was sie am ehesten verzichten können. Die Stadt in höchster Not ist unversehens zu einem Symbol dafür geworden, wie moderne Politik gemacht wird: konstruktiv und nahe am Bürgerwillen. Ihr wichtigstes Mittel ist das Internet.
Im Februar legte Feith den Solingern seine Kürzungsliste vor. Auf der Internetseite Solingen-spart.de konnten die Bürger alle Vorschläge einen Monat lang diskutieren und einzeln bewerten. 3600 Menschen beteiligten sich und segneten auf diese Weise ein Sparvolumen von mehr als 31 Millionen Euro ab. Nun kann, wenn der Stadtrat zustimmt, das marode Stadion abgerissen und die Fläche meistbietend verkauft werden. Das Theater allerdings, vom möglichen Sparvolumen annähernd ähnlich hoch einzuschätzen, muss bleiben. Auch so viel ist bei der Onlinebefragung klar geworden.
Bislang wurde das Internet vor allem als Ort wahrgenommen, über den sich schnell und effektiv politischer Protest organisieren lässt. Dafür stehen die Netzsperrendebatte, die Gründung der Piratenpartei , auch die dreißigtausendfach unterstützte Verfassungsbeschwerde gegen den Elektronischen Entgeltnachweis Elena .
Das Netz kennt nicht nur Empörung, sondern auch Einmischung
Wer jedoch glaubt, Empörung sei die einzige Form demokratischer Beteiligung, die das Netz anzubieten hat, täuscht sich. Das Land ist längst weiter. Für viele Bürger ist das Internet zu einem Ort konstruktiver politischer Teilhabe geworden. Und sie treffen dort immer öfter auf moderne Beamte und Verwaltungen , die ihnen die Mittel dazu in die Hände geben.
Zum Beispiel in Hamburg . Dort löste eine netzbasierte Bürgerberatung einen Streit auf, der mehr als 60 Jahre geführt worden war. Mitten im Zentrum der Hansestadt liegt der Domplatz, seit 1943 eine staubige Weltkriegswunde. Was sollte hier nicht alles entstehen: Eine Freifläche mit modernen Plastiken und einer Ausstellungshalle war mal im Gespräch. Ein Medienzentrum mit kreisförmig angeordneten Türmen. Eine Markthalle, ein vielgeschossiger "Jahrhundertturm", ein hanseatisches Centre Pompidou. 120 Architekten, zwei städtebauliche Wettbewerbe und 50 Jahre später war die Fläche immer noch ein gekiester Notparkplatz.
Kommentare
Vorsicht vor Euphorie
Das Beispiel aus Solingen zeigt in meinen Augen gut, woran solche Projekte (noch) kranken.
Ein Theater bleibt also erhalten, ein Stadion nicht, die Bürger haben so entschieden. Oder eher gesagt: Der Teil der Bürger, der sich beteiligt hat.
Die Nutzung von Internet-Angeboten, gerade textbasierten, ist stark abhängig vom Bildungsgrad und damit auch der gesellschaftlichen Position der Nutzer. Im Klartext: Wer einen geringeren Bildungsgrad hat, wird sich unterproportional an solchen Angeboten beteiligen.
Ohne auszuschließen, dass auch wenig Gebildete sich für das Theater begeistern können und auf der anderen Seite auch Mitglieder des Bürgertums am Wochenende ins Stadion gehen, dürfte im Schnitt doch ein klarer Unterschied zwischen beiden Klientelen zu sehen sein.
Wenn also die Teilnehmer eienr Online-Konsultation ein Theater einem Stadion vorziehen, dann ist das (höchstwahrscheinlich) keine Entscheidung, die die Präferenzen der gesamten Gesellschaft widerspiegelt, sondern (vermutlich) auch ein Ausdruck dafür, dass solche Angebote vorwiegend von Menschen mit höherer Bildung genutzt werden.
Angesichts dieser Situation sollte man sich hüten, in Euphorie zu verfallen. Transparenz allein führt noch nicht zu ausgewogenen Ergebnissen.
Hab ich auch gedacht...
... als ich das gelesen habe, ohne die genauen Hintergründe zu kennen, halte ich das für eine kritische Angelegenheit.
Ich halte es auch generell für problematisch, wenn die Bürger zwar die Farbe des Strickes wählen dürfen, aber nicht gefragt werden, ob sie überhaupt an den Galgen wollen. Nichts anderes ist es nämlich, wenn Bürger von Bundespolitik ausgeschlossen bleiben, also der Möglichkeit über Länderfinanzausgleich, Steuererhöhungen, Steueroasenbekämpfung etc. zu diskutieren, dafür aber die entstandenen Lücken sinnvoll schliessen sollen. Das erzeugt auf Dauer auch nicht mehr als ein Gefühl der Machtlosigkeit und Frustration.
falsch verlinkt
maerker.de ist nicht der link, der gemeint ist, es müsste auf http://maerker.brandenbur...
verlinkt sein, dort findet man das, was verlinkt werden sollte.
Neu verlinkt
Lieber zulumbu,
Vielen Dank für den Hinweis! Wir haben den Fehler behoben, der Link stimmt nun.
Viele Grüße
Karsten Polke-Majewski
ZEIT ONLINE
Mitregieren, Nein Danke !
Solange Online-Junkies konstruktive Ideen liefern, meinetwegen. Aber mitregieren, Nein Danke !
typisch deutsch...
finde ich die beiden Kommentare über mir (1 und3)!!
Ich meine klar ist es nicht die Lösung alles demokratie Probleme.
Aber, Menschen die sich für Politik interessieren können so doch einen super Einfluss nehmen und die so oft geforderte Transparenz wird Realität!
Unter Politikern wird es wohl auch kaum Menschen geben die einen niedrigen grad an Bildung haben.
Man sollte solche Aktionen eventuell etwas mehr in die Öffentlichkeit rücken, sodass auch Menschen in der Theorie mimachen können die sich sonst weniger für politik interessieren.
Letzendlich würden sich sowieso nur die Menschen an solchen Aktionen beteiligen, die auch ein gewisses Interesse an der Politik haben.
Ich finde, das ist eine super Sache! Weiter so lieber Politiker! So kann sich niemand rausreden, er kann sowieso nichts ändern!
Aber hauptsache erstmal negatives finden, an allem, typisch deutsch eben!