Wenn Kalle rappelig wird, nimmt er seinen Basketball und flitzt über das Spielfeld in der Nähe des Elternhauses. Erschöpft, aber ausgeglichen kehrt der 16-Jährige später zurück. Das war nicht immer so leicht. "Als Junge war er ziemlich chaotisch, in der Schule zuweilen auch aggressiv", berichtet seine Mutter Jana, die wie Kalle in Wirklichkeit anders heißt. Erst ein Lehrer klärte die Konditormeisterin auf, dass hinter diesem Verhalten eine Krankheit steckt: eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Seither hat Kalle gelernt, seine Beschwerden in den Griff zu bekommen.
Ein großer Erfolg. Doch als Kalle eine Konditorlehre begann und seine Mutter ihn gegen Invalidität absichern wollte, lehnte der Versicherer den Antrag auf Schutz vor Berufsunfähigkeit (BU) rundweg ab. Kalle könne es nach der Lehre wieder versuchen. Auf Anfrage erklärt der Versicherer, "dass zahlreiche Krankheitsbilder – wie auch jenes im genannten Fall – nicht ausreichend eingeschätzt werden können, solange noch nicht feststeht, welcher Beruf konkret ergriffen wird". Michael Wortberg von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz ist skeptisch: "In der Regel wird aus einer Rückstellung auch später kein Vertrag."
Kalle ist mit seiner Abfuhr kein Einzelfall. Das ist zumindest die Erfahrung des Versicherungsmaklers Helge Kühl. Eine aktuelle Auswertung von mehr als 1600 Anträgen für 450 Kunden zeigt, wie stark die Versicherer aussieben. Knapp 41 Prozent der Anträge lehnten sie rundweg ab. Auf 37 Prozent antworteten sie mit einem Angebot, bei dem sie häufige Erkrankungen wie Rückenleiden oder psychische Beschwerden aus dem Schutz ausschlossen. Bei gut 6 Prozent der Fälle forderten die Versicherer teils massive Risikozuschläge. Glatte Zusagen gab es nur auf 16 Prozent der Anfragen.
"Die Lebensversicherer sortieren immer stärker nach dem Risiko: Kerngesunde BU-Kunden sind heiß umworben, Problemfälle mit Vorerkrankungen und riskanten Berufen müssen um bezahlbare Policen bangen", folgert Kühl. Begehrt sind Notare. Deren Beiträge sind seit 2005 im Durchschnitt um 14 Prozent gesunken, ermittelte das Analysehaus Morgen & Morgen. Dagegen ist die Prämie für Straßenbauer branchenweit im gleichen Zeitraum um 5 Prozent gestiegen. Dabei zahlen sie ohnehin oft schon dreimal so viel wie Notare – rund 1600 Euro Jahresbeitrag für eine gute Police mit 1000 Euro monatlicher Invalidenrente. Verbraucherschützer Wortberg registriert bei den Versicherern ebenfalls eine "Tendenz zu restriktiverer Annahme" – vor allem bei Menschen mit Handicaps. Als besonders schwer vermittelbar gelten etwa Krebskranke oder psychisch Kranke. Ein junger "Leistungsfall" kann leicht eine sechsstellige Summe kosten – da werden Versicherer wählerisch.
Höchstens jeder fünfte Erwachsene hat sich privat dagegen abgesichert, seinen Beruf wegen Krankheit oder Unfall voll oder teilweise aufgeben zu müssen. Doch genau dieses Schicksal trifft nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung etwa jeden fünften Erwerbstätigen während seines Berufslebens. Besonders die Psyche kapituliert immer häufiger vor dem stressigen Arbeitsalltag. Laut gesetzlicher Rentenversicherung war das 2008 die Ursache für 35,6 Prozent aller Erwerbsminderungsrenten, ein Wert, der höher liegt als 2003 und höher als der jeder anderen Ursache.
Kommentare
Was der Schröder
und die SPD angerichtet haben ist eine riesen Sauerei. Die, die den BU - Schutz am nötigsten haben können ihn sich nicht leisten oder werden nicht genommen. Nie wieder SPD wählen, es sei denn man ist Versicherungsfritze.
Zustimmung...
...die Banken- und Versicherungswirtschaft regiert D, sei es mit Privatrente, Studienkredit, beim Zahnzusatz oder bei den lukrativen PKV-Kunden. Keiner unserer grundkorrupten Politiker legt sich mit dieser Verbrecherbande an. Man könnte 99% dieser Unternehmen zumachen und genossenschaftlich organisieren mit riesigem gesellschaftlichen Benefit.
Verbrecher im Anzug
Banken und Versicherer gehören ohnehin zu den verbrecherischsten Kreisen der Wirtschaft. Man braucht sich nur anzusehen wie stark sie ihre Lobbys gegen die Versuche hetzen, vernünftige neue Finanzmarktregeln einzuführen damit sie wieder zu Dienern der Gesellschaft werden und sich nicht als ihre Herren aufspielen können.
Heutzutage hilft nur mehr eines. Sparen. Verzicht auf alles was nicht unbedingt notwendig ist und das Geld für schwere Zeiten zur Seite legen. Nur wer selbst für sich sorgt, ist auch versorgt. Oder man gründet gemeinsam mit Freunden ein Absicherungskonto. Allerdings muss dafür Vertrauen vorhanden sein.
Wer Aktien oder Versicherungen kauft kann auch gleich Lotto spielen. Die Wahrscheinlichkeit etwas herauszuholen ist beim Lotto vermutlich sogar wesentlich höher.
Die Versicherungen sind nicht Schuld
Nur weil Versicherungen Kunden mit hohem Risiko ablehnen sind sie keine Verbrecher.
Ein Versicherung laeuft wie folgt: Es gibt eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass der Schadensfall eintritt, sagen wir 10%. In diesem Schadensfall muss die Versicherung dann eine bestimmte Summe zahlen, zum Beispiel 30.000 EUR. Damit die Versicherung nicht pleite geht, muss sie vom Kunden mehr einnehmen, als das Produkt aus Versicherungssumme und Wahrscheinlichkeit des Schadensfalles, im Beispiel also mehr als 3.000 EUR. Unterm Strich macht man also immer Verlust mit einer Versicherung.
Der einzige Grund, eine Versicherung abzuschliessen, ist, um einen Schaden abzuwehren, dessen Kosten man nicht auf einmal zahlen koennte.
Berufsunfaehigkeiten sind teuer; damit die Policen bezahlbar sind, muss also die Wahrscheinlichkeit niedrig sein. Jemand mit Vorerkrankung kann deshalb von einer normalen Versicherung gar nicht versichert werden. Die einzige Variante ist es, ueber eine gesetzliche Regelung die Menschen mit geringem Risiko zu zwingen, einen hoeheren Beitrag zu zahlen, um damit die Menschen mit einem hohen Risiko zu unterstuetzen.
Dass es keine solche gesetzliche Regelung gibt, daran sind in erster Linie nicht die Versicherungen schuld. Eher der Gesetzgteber und die Menschen, die sich beschweren, wenn sie aus Solidaritaet ploetzlich 50 Euro mehr im Monat zahlen muessen (und das werden nicht wenige sein).
@Bildredakteur: Bus oder Tram?
Aus der Bildunterschrift: "Ein Busfahrer hilft einem Rollstuhlfahrer."
Für mich schaut das viel mehr nach einer Straßenbahn aus als nach einem Bus...
...zurück zum Thema: Eine Versicherung "lohnt" sich wenn a) der zu erwartende Schaden sehr hoch ist und ich ihn nicht aus eigener Tasche bezahlen kann (weil sonst bräuchte ich den Schaden nicht zu versichern) und b) dieser Schaden extrem selten eintritt (weil sonst die Prämie zu hoch ist). Beispiel wäre eine Feuerversicherung des Eigenheims. Tritt extrem selten auf ist dann aber auch extrem teuer.
Was ich nicht verstehe ist wieso man etwas dessen Schaden sehr hoch ist (die Arbeitsunfähigkeit, die Opportunitätskosten des entgangen Lohns sind extrem hoch) UND was auch sehr häufig auftritt ("jeder fünfte wird berufsunfähig") versichern sollte. Denn in diesem Falle ist das Risiko UND der Schaden hoch und damit auch die Versicherungsprämie...Würde nur jeder hundertste oder tausendste berufsunfähig, ja dann wäre es eine sinnvolle und lohnenswerte Sache aber so?
Tja...
... deshalb sicherte das früher auch der Staat ab. Das konnten wir uns angeblich nicht mehr leisten, damit im Gegenzug Kapitalertragssteuern, Vermögenssteuern und Spitzensteuersatz gesenkt werden konnte...
Private Vorsorge...
...ist wirklich wichtig aber was macht man wenn man nicht kann? Die Politik lässt uns immer mehr privat vorsorgen jedoch "vergisst" sie dabei das einfach sehr viele sich nicht versichern können weil die Versicherungen einen nicht nehmen. Z.B Zahnarzt-Zusatzversicherung. Die wurde vor vielen Jahren eingeführt und gleichzeitig viel zusammen gestrichen. Am Anfang war es aber dann so das Rentner über 70ig eben sehr wenig von der Kasse mehr bezahlt bekamen aber gleichzeitig keine Zusatzversicherung abschließen konnten weil keine Versicherung sie nahm! Oder jetzt soll am Besten jeder eine Berufsunfähigkeitsrente abschließen aber wie wenn niemand einen nimmt? Es ist schon ziemlich fies wenn ein Notar der wirklich sehr gut verdient so wenig für seine Versicherung zahlt aber der Strassenbauarbeiter mit vielleicht einem fünftel des Verdiensts vom Notar viel mehr als dieser zahlen soll. Natürlich müssen Versicherungen wirtschaften aber da sieht man eben das Problem der privaten Vorsorge weil diese eben nicht wirklich den Ausgleich sucht sondern den maximalen Gewinn.
Du...
"...jedoch "vergisst" sie dabei das einfach sehr viele sich nicht versichern können weil die Versicherungen einen nicht nehmen."
... hast das schon richtig gemacht, das "vergisst" in Hochkomma zu setzen. Politik "vergisst" in letzter Zeit viele Sachen die uns normale Leute angeht.