Die Nahrungsmittelpreise haben zum zweiten Mal seit 2008, einem Jahr der Hungersnöte, Rekordniveau erreicht. Womöglich sind das Vorboten noch schlimmerer Zeiten: Wenn im Jahr 2050 eine Weltbevölkerung von neun Milliarden Menschen ernährt werden soll, muss die globale Agrarproduktion um 70 Prozent gesteigert werden. So schätzt es die Welternährungsorganisation FAO. Die großen Weltagrarnationen sind gefragt.
Die Ukraine und Russland haben also eine besondere Verantwortung. Beide Länder stellten in den letzten Jahren ein Fünftel aller Getreideexporte. Langfristig müssen sie noch viel mehr auf ihren fruchtbaren Böden produzieren und in die Welt verschicken. Doch in den vergangenen zehn Jahren lagen die ukrainischen Getreideerträge fast durchgehend unter dem Weltdurchschnitt.
Laut Experten wäre eine weitere Steigerung der Getreideproduktion in Russland und der Ukraine um über 50 Millionen Tonnen – das entspricht einer Steigerung um über 33 Prozent – im nächsten Jahrzehnt möglich, wenn dafür die notwendigen Voraussetzungen geschaffen würden. Und dies ohne gravierende negative Umwelteffekte, wie sie mit dem Anbau in vielen anderen Regionen der Erde einhergehen.
Deshalb beunruhigten 2008 die Äußerungen führender Agrarpolitiker Russlands und der Ukraine, dass sie eine "Getreide-OPEC" gründen wollen. Ein Kartell für die Produktion von Grundnahrungsmitteln also, in das auch Kasachstan aufgenommen werden könnte. Damit würden im besten Fall zwar die heimischen Kartelle von hohen Preisen profitieren – zulasten von Millionen Menschen in Afrika, Asien und Südamerika.
Es bereitet Sorge, dass die Ukraine 2010 zum dritten Mal in fünf Jahren Exportquoten für Getreide eingeführt hat, obwohl das Land im vergangenen Jahr dank guter Wetterbedingungen die fünftgrößte Getreideernte seit der Unabhängigkeit erzielen konnte. Auch Russland hat in den letzten Jahren mehrmals Exportrestriktionen eingeführt. Solche Restriktionen beschränken die Menge Getreide, die exportiert werden darf, und drücken damit den Preis auf dem Inlandsmarkt.
Weil die Weltmarktpreise aber dann entsprechend höher über den Inlandspreisen liegen, wird die Ausfuhr von Getreide umso lukrativer – allerdings nur für solche Unternehmen, die eine Exportquote zugeteilt bekommen. Ein fruchtbarer Boden für Korruption.
Schon die Verteilung der jüngsten Exportquoten für Getreide in der Ukraine verlief sehr intransparent. Hauptleidtragende sind die ukrainischen Getreideproduzenten, deren Erlöse 2010 aufgrund der Exportquote um 1,9 Milliarden Dollar geringer ausfielen, weshalb dann wiederum Geld für Saatgut und Düngemittel im laufenden Jahr fehlt und auch für Investitionen. Zum Vergleich: Die gesamte staatliche Agrarförderung in der Ukraine betrug 2009 ganze 910 Millionen Dollar.
Hinzu kommen nun zwei Gesetzesinitiativen des ukrainischen Parlaments, die auf eine Monopolisierung des ukrainischen Getreidemarktes hinauslaufen. Ein Entwurf sieht vor, dass Exporte nur Unternehmen mit 25 Prozent Staatsbeteiligung gestattet sein sollen und privaten Händlern nur dann, wenn sie mindestens 50 Prozent des für den Export vorgesehenen Getreides vor Beginn der Vegetationsperiode vorfinanzieren. Solche Regelungen dürften weltweit einmalig sein. Sollten sie in Kraft treten, müssten viele internationale, aber auch ukrainische Getreidehandelshäuser ihre Tätigkeit in dem Land einstellen.
Diese Agrarpolitik wird der internationalen Verantwortung der Länder nicht gerecht. Die internationale Gemeinschaft sollte dies nicht hinnehmen. Im Rahmen der Welthandelsorganisation sollte geprüft werden, ob Exportrestriktionen den Handelsregeln entsprechen. Im Zweifel sollte die Auszahlung von Krediten des internationalen Währungsfonds und der Weltbank überdacht werden. Die Getreidefelder der ehemaligen Sowjetunion dürfen keine Spielwiese werden für eine Monopolisierung zulasten der Hungernden.
Kommentare
WTO...
Russland ist kein Mitglied der WTO, dementsprechend darf es so viele Handelsbarrieren aufbauen wie es lustig ist. Im Gegenzg kann der Rest der Welt Russland mit Handelssperren belegen, wie es ihm gefällt (eventuelle bilaterale Abkommen einmal aussenvor gelassen). Bin allerdings mal gespannt, wie viele der betroffenen Länder sich damit den Zugang zu russischen Rüstungsgütern verbauen wollen. Der Autor schreibt ja selbst von Ländern in Südamerika, Asien und Afrika. Desweiteren kann Europa sich schlecht darüber beschweren, wenn ein Land seine Agrarwirtschaft abschottet...
Interessant,
wie fix möglicherweise knappe Güter immer und überall noch knapper gemacht werden.
Bei den Produzenten und an den Börsen.
Verantwortung
Der Ruf des Artikels nach Verantwortung wirkt auf mich reichlich naiv.
Russland und die Ukraine maximieren den Ertrag für ihr Getreide. Das ist eben Kapitalismus. Nicht schön und (menschen-)freundlich.
Wir werfen dafür an die 50% unserer Lebensmittel weg. Weil´s keiner will, der sichs leisten kann, weil´s einen Tag vor dem Mindesthaltbarkeitsdatum ist oder weil man eben überraschend zum Essen geht. Auch das ist Kapitalismus. Ebensowenig schön und menschenfreundlich.
Der Preis der Korruption!
Russland und die Ukraine betreiben eine Politik, die nicht nur kurzfristig den Konsumenten weltweit schadet, sondern die Länder schaden ihrer eigenen Bevölkerung und nicht zuletzt ihrer Landwirtschaft. Ihre Politik dient letztlich den Interessen der Bürokraten die Exportlizenzen verwalten, der Oligarchen, die sie schmieren sowie der Politiker, die mit ihnen verbandelt sind. Den Preis zahlen unmittelbar die landwirtschaftlichen Betriebe im Land selber, da sie selbst in Hochpreisphasen ihr Getreide verschleudern müssen und folglich ihre Betriebe nicht weiter entwickeln können. Als Folge haben sich im letzten Jahrzehnt riesige Agrarunternehmen mit weit über 100 000 ha gebildet in der Hoffnung, eine gewisse Gegenmacht zur Korruption zu bilden und um sich das für die Landwirtschaft erforderliche Kapital zu beschaffen. Damit bleiben die Länder jedoch in einem Teufelskreis; denn letztlich wird das System der Korruption von beiden Seiten nur optimiert - jedoch nicht überwunden. Vielleicht steigt dabei sogar mittelfristig die Produktivität Stück für Stück.
Aber auch jetzt, 20 Jahre nach dem Mauerfall erreichen die beiden Länder kaum das Produktionsniveau gegen Ende der Sowjetunion! Unter Berücksichtigung des zwischenzeitlich möglichen technischen Fortschritts liegt die Produktion vermutlich mindestens ein Drittel wenn nicht zur Hälfte unter dem Potential. Dieses fehlt weltweit für die Bekämpfung von Hunger und Armut ebenso wie für unseren eigenen Hunger nach Energie.
Verantwortungslosigkeit
Es wäre moralische Pflicht in den betroffenen Ländern, das Bevölkerungswachstum zu verhindern, wenn man absehbarerweise den Nachwuchs nicht ernähren kann. Doch eher scheint man sich mit der drohenden Katastrophe abzufinden. Schuld werden dann wie immer die anderen sein.
Nicht nur das Bevölkerungswachstum gehört gestoppt
auch müssen viele afrikanische Länder selbst wieder Nahrungsmittel produzieren. Simbabwe wurde von der Kornkammer zum Hilfsempfänger.