DIE ZEIT: Frau Wagenknecht, Sie haben mal gesagt: "So, wie ich lebe, wollte ich nie leben." Warum tun Sie es dann?
Sahra Wagenknecht: Das bezog sich auf das typische Leben eines Berufspolitikers. So möchte ich immer noch nicht leben. Schon im Europaparlament war es schwierig. Nachdem ich dann 2009 in den Bundestag gewählt wurde, habe ich das erste halbe Jahr so gelebt wie vermutlich die meisten Politiker: Ich ging früh aus dem Haus, kam spätabends zurück, hetzte von einem Termin zum nächsten. Ich hatte zu nichts mehr Zeit. Es ging nur darum, irgendwo dabei zu sein, und überhaupt nicht mehr darum, eigene Gedanken zu fassen. Ich habe dann die Notbremse gezogen und meine Termine deutlich reduziert. Nur so habe ich es geschafft, trotz Mandat ein neues Buch zu schreiben. Seither kämpfe ich um meine Freiräume. Ich glaube nicht, dass ich meinen Lebensentwurf verraten habe.
DIE ZEIT: Wie sah Ihr Lebensentwurf aus?
Wagenknecht: Als junge Frau wollte ich studieren und dann wissenschaftlich arbeiten. Ich hatte zwar auch mal angefangen, Dramen und Gedichte zu schreiben. Aber das waren frühe literarische Versuche, und es war schon richtig, dass ich einen anderen Weg gegangen bin.
DIE ZEIT: Welche Thematik hatten diese Versuche – mehr Brecht oder mehr Goethe?
Wagenknecht: Ich war damals sehr beeinflusst von Peter Hacks, mit dem ich persönlich bekannt war. Ich hatte mich in Ästhetik und die Technik des Dramas eingearbeitet und begonnen, ein historisches Drama in fünfhebigen Jamben zu schreiben. Es war eine interessante Erfahrung, mehr nicht.
DIE ZEIT: War Hacks ein Held für Sie?
Wagenknecht: Mit dem Heldenbegriff kann ich wenig anfangen. Vor einem Helden erstarrt man, man schaut nach oben und ist in tiefer Demut. Ich hege große Verehrung für Goethe, und ich halte auch Peter Hacks für einen großen Dichter, aber Helden habe ich in meinem Leben nicht unbedingt gehabt.
DIE ZEIT: In Ihrem Büro sollen Bilder von Goethe, Richelieu und Ulbricht hängen.
Wagenknecht: Ein Bild von Ulbricht hat früher mal, noch zu DDR-Zeiten, in meiner Wohnung gehangen, das war so ein gewisser Trotz. Man kann heute ja schon den Namen nicht in den Mund nehmen, weil jeder auf "näselnde Sprache" und "lächerlich" abhebt. Trotzdem war Ulbricht derjenige, der Ende der fünfziger Jahre relativ klar gesehen hat, dass die DDR radikale Reformen braucht. Er hat solche Reformen dann auch vorangebracht. Das hieß damals Neues Ökonomisches System und war in den Grundideen ziemlich vernünftig. Dafür ist er dann von Honecker gestürzt worden. Danach war Ulbricht in der DDR eine Unperson.
DIE ZEIT: Gibt es diese Bildergalerie noch?
Wagenknecht: Nein, als Studentin ist das etwas anderes. Da hing auch Napoleon bei mir an der Wand, und Marx und Hegel. Ich glaube, dass sich junge Leute oft Bilder von Menschen an die Wände hängen, die ihnen irgendwie wichtig sind.
DIE ZEIT: Familienministerin Kristina Schröder hatte sich ein Poster Helmut Kohls an die Wand gehängt.
Wagenknecht: In die Versuchung bin ich nie gekommen.
DIE ZEIT: Wer hängt heute bei Ihnen an der Wand?
Wagenknecht: Goethe.
Kommentare
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"Ein kreativer Politiker kann man nicht sein, wenn man nicht ein reiches und erfülltes privates Leben hat und sich die Zeit nimmt, produktiv geistig zu arbeiten. Ein Dichter kann nicht dichten, wenn er nicht liebt. Ein Politiker kann vermutlich auch ohne Liebe Politik machen, aber es ist dann wahrscheinlich schlechte Politik."
Und genau daran kranken 99,9% unserer Politiker heutzutage.
Vielen Dank für das vernünftige Interview.
Gehört Frau W.
dann zu den 99,9%?
Weiter so
Es ist wohltuend, zu sehen, dass sich die ZEIT allmählich wieder etwas mehr von der heutzutage üblichen Schwarz-Weiß-Malerei und der plakativen Einteilung der Welt in Gut und Böse der meisten deutschen Medien distanziert. Herzlichen Glückwunsch zu diesem Interview. Wer sich auch nur ein wenig die Mühe macht, sich mit der Person und den Gedanken von Sarah Wagenknecht sachlich auseinander zu setzen,kommt nicht umhin festzustellen, dass es zur Zeit nur wenige Politiker und Politikerinnen in Deutschland gibt, die ihr Charisma besitzen und ihr intellektuell das Wasser reichen können.
Das Charisma
seh ich jetzt nicht. Beziehungsweise ist es eins, das mir unsympathisch ist. Aber ich hab sie durch das Interview schon besser verstanden. Das was mir unsympathisch ist, ist wohl dieses etwas Verbissene, was verständlich wird, wenn sie sagt, es hat etwas Beschützendes in ihrer Kindheit gefehlt, ich bin nicht so, weil ich mich von allein gerne durchsetze und kämpfe, sondern weil ich es musste. Da ist etwas Gezwungenes in der Ausstrahlung.
Sie macht, wenn man sie sieht, keinen freien und glücklichen Eindruck. Das ist natürlich nicht so attraktiv. Ein Charisma, das mich eher abschreckt. Das ist vermutlich nicht fair. Wer den Schaden hat, kriegt immer noch einen Nachteil gratis obendrauf in der gesellschaftlichen Betrachtung. Und die Leute die es leicht hatten, kommen leicht gut an (man denke an Guttenberg!!!).
Was den Alice-Schwarzer-Feminismus angeht
hat Frau Wagenknecht recht. Auch wenn ich die Auffassung der Verdienste von Alice Schwarzer nicht teilen kann. Das ist so ein Stereotyp, das jedesmal kommt, wenn der Name fällt, aber absolut keiner kritischen Betrachtung standhält.
Anstatt dass sich für Frauen tatsächlich etwas verbessert, dass Kinderkriegen für Frauen kein Risiko ist ins soziale Abseits zu geraten, bessere Gehälter, anspruchsvollere Jobs ist die Verantwortung der Väter für ihre Kinder zu Lasten der Mütter sogar noch zurückgegangen. Und die Achtung für Mütter kaum noch verhanden. Eine Frau, die etwas für ihre Kinder tut, wird mit "selber Schuld" und "sie hats ja nicht anders gewollt" kommentiert, um ihren Nachteil bei Geld, Macht und Selbstbestimmung zu rechtfertigen.
Anstatt bei diesen Essentialia anzusetzen, profiliert sich Alice Schwarzer über Kachelmann und Frauenfußball! Bei Kachelmann lässt sich die Frage nach dem Unrechtsgehalt einfach nicht beantworten, bei der Normalsituation einer alleinerziehenden Mutter schon!
Ob jemand gerne Frauenfußball sieht oder nicht, ist doch ganz ehrlich auch keine weltbewegende Frage... zudem wird der Eindruck erweckt, daran würde es bei der Emanzipation noch scheitern. Ne es scheitert daran, dass selbst in staatlichen Berufen, wie an den Universitäten der Frauenanteil bei den gut dotierten Stellen einfach lächerlich niedrig ist (und sich seit 30 Jahren kaum verbessert hat). Troz besserer Abschlüsse der Frauen und auch in Fachbereichen mit 80 Prozent Frauenanteil.
Die Achtung für Mütter...
erlebe ich als Mutter in Deutschland schon sehr. Ich erfahre immer wieder verbal und auch in Taten, dass Menschen in meinem näheren und weiteren Umfeld mit Achtung gegenüber an den Tag legen, weil ich tue, was ich tue.
Ich vermute aber mal, dass es um Mütter ging, die nichts anderes tun, als sich aufs Muttersein zu reduzieren und da geht leider selbst mir die Achtung ab.
Ob Die Zeit
einen männlichen Oppositions-Politiker auch gefragt hätte, in welche Eigenschaft eines Mädchens er sich zum ersten Mal verliebt und wie man sich ihn als jungen Jungen vorzustellen habe? Oder festgestellt hätte, daß man sich nach dem verschwundenen Vater sehne? Oder befunden hätte, daß ein Job als Sekretär statt eines Studienplatzes nicht sinnlos sei?
Es fehlen eigentlich nur noch die Fragen, warum Frau Wagenknecht keine Kinder habe und wie sie es denn mit Schweißflecken und Dekolleté halte. Peinlich für die beiden Interviewer und beinahe erstaunlich, wie sachlich und professionell Sarah Wagenknecht antwortet.
Eine Politikerin
die durchaus als Frau und nicht als Mannweib auftritt und die mit ihrem Hübschsein auch Karriere gemacht hat, darf man sowas fragen. Und - wie schon festgestellt - sie gibt noch nichtmal eine blöde Antwort darauf. Sondern eine, die recht deutlich zu dem Typ Frau passt, der auch im Rest des Interviews durchscheint.
Aufgabe von guten Interviewern ist, die Persönlichkeit rauszukitzeln. Und das gelingt. Also, locker machen.