Wer weiß schon noch, was genau Ludwig Erhard politisch wollte, der Vater des deutschen Wirtschaftssystems? Klar, interpretiert wird viel, bloß fragen kann man ihn nicht mehr. Deshalb fällt es der Gesellschaft auch schwer, zu ihren Ursprüngen zurückzufinden – was sie in der gegenwärtigen Kapitalismuskrise oft so ratlos macht. In China hat man es besser.
Hier ist das Modell, dieser staatlich gelenkte und doch so flexible, der demokratieferne und aggressive Kapitalismus , noch jung, ist seine Begründung noch offensichtlich. Es ging in China darum, aus Armut und Elend zu entkommen. Aber es ging natürlich auch darum, das von Karl Marx beschriebene Ungeheuer zu beherrschen – und zwar auf die chinesische Art. Wie die geht? Ob sie den Westen nicht nur fürchten lässt, sondern ihm auch eine Lehre bereithält? Dafür muss man keine Geschichtsbücher wälzen. Das kann der Erfinder selbst erzählen. Er lebt ja noch. Er arbeitet.
Lee Kuan Yew, der 88-jährige Staatsgründer Singapurs und Vorreiter der chinesischen Wirtschaftsreformen des späten 20. Jahrhunderts, hat ein großzügiges Büro im Istana, dem alten, weiß gestrichenen Kolonialpalast des britischen Gouverneurs von Singapur . Vor ihm auf seinem frei geräumten Schreibtisch liegt eine aufgeschlagene Biografie des chinesischen Reformers Deng Xiaoping. Nicht zufällig, wie man bald verstehen wird.
An den hohen Wänden hängen große Bilder seiner Ehefrau, die vor Kurzem verstarb. Sie geben dem ansonsten spartanisch eingerichteten Büro des alten Mannes einen sehr privaten Charakter. Übrigens ist das sein Spitzname: »alter Mann«. Keiner in Singapur scheint zu wissen, wie er wirklich heißt, alle reden nur vom »alten Mann«. Und es klingt immer ein wenig, als würden die Leute vom lieben Gott reden. Der Diktator hat Mao Tse-tung und Deng überlebt, mehr noch, er hat sie übertroffen. Denn sein kleines, zu 80 Prozent von chinesischen Auswanderern bevölkertes Singapur bleibt bis heute – 15 Jahre nach Dengs Tod, 30 Jahre nach Chinas Marktöffnung – das große Vorbild der Volksrepublik. »Es gibt nichts, das Singapur getan hat, was China nicht auch und besser tun könnte«, sagte Lee schon 1978 im Gespräch mit Deng, als dieser gerade begann, sein Land auf die kapitalistische Spur zu bringen. Heute gleichen die chinesischen Städte zunehmend ihrem Vorbild. Schon ist die Müllabfuhr in Shanghai und Peking fast genauso pingelig wie in Singapur, wirken viele chinesische Busse und Bahnen genauso steril und geleckt wie die öffentlichen Verkehrsmittel auf Lees reicher Südseeinsel. Ganz abgesehen von den magischen Skylines der chinesischen Riesenstädte, eine glitzernder und verspielter als die andere – wie in Singapur.
Doch das alles ist kein wirtschaftliches Wunder, sondern hart von Politikerhand erarbeitet. Das lernt man bei Lee Kuan Yew. Er ist immer noch täglich in seinem Regierungsbüro anzutreffen, obwohl er alle Posten aufgegeben hat. Sein Kragen steht offen. Er trägt keine Krawatte. Seine Hände zittern leicht, deshalb legt er sie oft auf den Tisch. »Was du gibst, kannst du nicht mehr zurücknehmen. Einer aber muss am Ende immer bezahlen«, lautet Lees Erklärung für die westlichen Schuldenkrisen und die Überschüsse Chinas und Singapurs. Er erzählt dazu eine Geschichte aus seiner Jugend, als er gleich nach dem Zweiten Weltkrieg in England studierte. Damals hätten die englischen Eliten wegen der hohen Opferzahlen im Krieg an einem »Schuldkomplex gegenüber ihren Unterschichten gelitten«, sagt Lee. Deshalb hätten sie den Wohlfahrtsstaat eingeführt. »Der Plan war: Doktoren, Zahnärzte, Optiker – alles gratis«, erinnert sich Lee. Er habe damals eine Brille bekommen und seinen Arzt gefragt: Was kostet die? Der antwortete gar nicht und sagte nur, Lee solle da unterschreiben. »Das war eine Lektion, die ich nie vergessen habe. In Singapur ist nichts kostenlos«, sagt Lee. Er hebt dabei seine zitternde Hand mit ausgestreckten Fingern hoch über den Tisch – es ist die Siegergeste des alten Mannes.
Doch Lee will nicht als herzloser Ausbeuter verstanden werden. Schnell setzt er nach: »Ich habe von den Briten gelernt – und von den Kommunisten.« Er erzählt, was man in Singapur unter Sozialstaat versteht: »Erziehung, Wohnungsbau, Gesundheit.« Genau in dieser Reihenfolge. So macht es ihm die KP in China seit Jahrzehnten nach. Erst wurde die Volksrepublik alphabetisiert, dann urbanisiert. Heute gibt die Partei Milliarden für neue Krankenhäuser aus. Sie hat ja das Geld – dank des Kapitalismus. »Ich begann als Sozialist mit linken Ideen«, erklärt Lee. Er verschweigt seine Herkunft nicht. Doch er lernte aus den Auswüchsen des Kapitalismus genauso wie von der maoistischen und der sowjetischen Erfahrung. »Als ich älter wurde und die Welt betrachtete, begriff ich, wie sinnlos der Kampf gegen die freien Märkte war. Man kann Märkte managen. Man kann für gleiche Chancen sorgen. Man kann die Schwachen unterstützen. Aber den freien Markt zu bekämpfen bedeutet Verderben für das eigene Land«, sagt Lee. Er vergleicht die Kapitalmärkte mit den Fluten des Mekongs. »Man kann sie kanalisieren, aber nicht bezwingen.«
Je länger der alte Mann erzählt, desto deutlicher wird sein für den Westen so untypischer Zugang zur Wirtschaftspolitik. Er spricht nicht von Kontrolle und Gegenkontrolle, von Institutionen wie Zentralbank und Börsenaufsicht oder gar von Weltbank oder Währungsfonds, von denen sich der Westen die Kanalisierung des Kapitalismus verspricht. Nein, Lee übernimmt alles persönlich, er vereint die gesamten Institutionen in seiner Person. Er ist eben ein Diktator, der Singapur – ob nun mit Amt oder ohne – seit 1965 mit minimalem Raum für Opposition regiert.
Kommentare
Das wahre Gesicht Singapurs Teil 1
ERst mal ist Lee Quan Yew einer der größten Rassisten unter der Sonne (Afrikaner haben den niedrigsten IQ, Europäer mittelmäßig, Chinesen den höchsten). Darüberhinaus sind alle Malyen arbeitscheu. Nur einige seiner kruden Thesen.
Dann besteht Singapur aus einer ganzen Reihe Parallelgesellschaften. Und genau das will man ja in Deutschland wohl eher nicht, oder???????
Eine Parallelgesellschaft sind z.B. die Maids. Aus den Philippinen, Indonesien, etc kommend arbeiten sie 7 Tage in der Woche pro Tag 16 Stunden, schlafen in der Küche auf dem Boden und sollen (laut Regierung) 1 (in Worten: EINEN) Tag frei bekommen. Im Monat. Diese Maids haben inzwischen zumindest bei der lokalen Bevölkerung die Kindererziehung übernommen. Mit allen Folgen. Und sie werden oft misshandelt.
Eine weitere Parallelgesellschaft sind die Bauarbeiter aus Indien und Sri Lanka. Kaserniert auf den Baustellen ziehen sie in Rekordzeit auch die komplexesten Shoppingmalls hoch, und sind absolut unterbezahlt. Sie werden auf Pickuptrucks auf der Ladeflaeche transprortiert, ohne jede Sicherung. Ebenfalls mit den bekannten Folgen.
Eine weitere Parallelgesellschaft sind die Ang Mohs- die aus dem Westen (die Wessis). Die leben dort abgeschirmt in Condokomplexen mit Torwaechtern und schicken ihre Kinder alle auf superteure Internationale Schulen. Die Deutsche Schule GESS kostet z.B. schlappe 10000 Euro im Monat. Sie beziehen ihr Gehalt aus ihren Heimatländern und sind damit praktisch Langzeittouristen.
Sorry
die GESS kostet natürlich 1000 Euro pro Jahr, siehe http://www.gess.sg/de/anm...
Guter Text!
Die hier vertreten Ansicht gilt es zu reflektieren, weil die Misere des Westens in der fehlenden Opferbereitschaft eine seiner Hauptursachen hat.
Einfach nur beschämend einseitig, die ultimative Lobhuddelei!
Entfernt. Wir nehmen uns Kritik gern an, bitten Sie jedoch, diese sachlich und höflich zu formulieren. Danke. Die Redaktion/sc
Das wahre Gesicht Singapurs Teil 2
Darueberhinaus macht das Land inzwischen Geld mit Kasinos und in Zukunft auch noch mit Hedgefonds, die demnächst in der Portstown Area angesiedelt werden.
Wasser ist notorisch knapp- es kommt zu Dumpingpreisen aus Malaysien. Vielleicht könnte Herr Blume dazu mal recherchieren. Eine interessante Geschichte.
Natürliche Ressourcen existieren nicht, alles aber auch alles muss importiert werden. Jede einzelne Banane. Die Flora und Fauna des Landes wurde weitgehend plattgemacht, wahrend in Indonesien nebenan ca 80% der Arten leben.
Im Gegenzug zu den Importen wird der Müll dann wieder in die Nachbarländer zurückimportiert. Mit allen bekannten Folgen. Pingelige Müllbehandlung gibt es aber nur nach dem Motto : Vor meiner Haustüre ist schluss. Versuchen sie Mal Batterien zu recyceln.
Die Schulbildung ist eine wahre Katastrophe, das berühmte Caning ist an der Tagesordnung.
Und: Natürlich muss Herr Blume so einen Artikel über den netten Herrn Lee Quan Yew schreiben- sonst bekommt er nämlich nächstes Mal keine Einreiseerlaubnis mehr.
Und wovon Herr Lee Quan Yew noch gelernt hat: Von den Japanern. Die haben damals Einheimische öffentlich Exekutiert, um ein Exempel zu statuieren. Dieses Prinzip der öffenlichen Bestrafung ist in Singapur gang und gäbe. Auch in den Schulen
Ich könnte ja noch lange so weiterlabern. Aber ist DAS ein Modell??? Da könnten Zweifel aufkommen, Herr Blume.
'versuchen sie mal batterien zu recyceln'...
... ist wieder der versuch, deutsche sicht- und lebensweisen anderen nationen aufzuzwingen. es geht schlicht und einfach nur darum, fuer uns 'fremde' sichtweisen nicht zu akzeptieren. und im uebrigen: zeigen sie mir bitte einmal auf, 'wie genau' sie in de 'batterien recyceln'!? irgendwo abgeben - und was passiert dann damit? nun ja...
zu nr.5 'crest'
'die vorstellung, dass jeder mensch das recht hat, seine eigenen ziele zu definieren' klingt sehr gut - solange 'jeder mensch' nicht versucht, 'seine eigenen ziele' auch durchzusetzen. das waere der anfang des problems, wie momentan in 'old'(?) europe sehr deutlich sichtbar wird. sie bekommen nicht einmal mehr einen bahnhof gebaut...
zu nr.8 'geronimo 49'
'den status zu erhalten heisst, sich aufgegeben zu haben' bekommt meine volle zustimmung und ist zur zeit sehr gut in europa zu beobachten. frueher haben die menschen gesagt: mein haus ist meine altersabsicherung. kommt es aber nun dazu, diese 'einsetzen' zu muessen (bspw. zwecks umzug in eine kostenguenstigere whg.), wird 'gemauert'!
fazit: wir sollten viel mehr auf singapur respektive china schauen. 'handeln' ist die devise, nicht immer nur 'diskutieren'! in de heisst es immer, ob nun in der bildungsdebatte oder auch in gesellschaftlichen fragen: 'es darf keiner zurueckbleiben'! - dies hiesse im umkehrschluss: es darf aber auch niemand vorausgehen (oder denken?!). einen ausgezeichneten konzertpianisten bekommen sie schliesslich nicht nur 'durch' talent...
"denn die sorgsam ausgewählte Elite weiß es besser."
Oder auch nicht.
"Manchmal erinnert er an Jürgen Habermas, was diesen ärgern wird, weil er Lees Ansichten verabscheut." Da bin ich mir - zur Abwechslung - mit Habermas einig. Denn das ist nun wirklich mal eine Errungenschaft des Abendlandes: die Vorstellung, dass jeder Mensch das Recht hat, seine eigenen Ziele zu definieren, die sich durchaus von denen einer "Elite" unterscheiden dürfen.
Man darf sich also ruhig einmal in der Couch zurücklehnen und in Lee Kuan Yew einen - trotz seines Alters - noch unausgereiften Menschen sehen.
Herzlichst Crest