Doch Lee ist auch noch etwas anderes, ein Konfuzianer. Die waren zwar in der langen Geschichte Chinas immer auch Diktatoren. Doch in guten Zeiten besaßen sie Moral und missbrauchten ihre Macht eher selten. Das gilt, mit Blick auf die Wirtschaft, auch für Lee: Singapur ist heute laut Transparency International der am wenigsten korrupte Staat der Welt. »Der Konfuzianismus ist eine Lebensphilosophie«, sagt Lee lapidar. Für ihn ist er mehr als die feudale, hierarchische Tradition, die der Westen darin sieht. »China muss seine kulturellen Grundwerte nicht aufgeben, um sich zu industrialisieren und modernisieren«, sagte er 1988. »Taiwan, Südkorea, Japan, Hongkong und Singapur haben alle ihre traditionellen Werte wie Sparsamkeit, harte Arbeitsmoral, Lernbereitschaft und Loyalität zu Familie und Nation bewahrt. Diese konfuzianischen Werte haben zu sozialem Zusammenhalt, hohen Sparraten und Investitionen und damit zu Produktivität und Wachstum geführt.« Lee rührt am Kern der chinesischen Stärke.
Viele KP-Beamte in China sind heute zweifellos korrupt. Aber ihnen folgt eine Generation noch unverdorbener Staatsdiener, die Lees Worte glauben. Diese Beamten folgen keiner westlichen Wirtschaftslehre. Sie wollen eine neue chinesische Dynastie aufbauen nach dem Vorbild ihrer konfuzianischen Vorväter. Ihre Moral lautet: dem Volk dienen, also unabhängig von einer reinen Lehre gut regieren. Es bedeutet auch: Keine Demokratie, keine Mehrheitsentscheidungen, denn die sorgsam ausgewählte Elite weiß es besser. Schließlich ist die leistungsgerechte Gesellschaft das zentrale konfuzianische Ideal. In ihr regieren nur die Besten, und zwar streng. Auf diese administrative Strenge vertraut auch Lee beim Management der Marktwirtschaft und ihrer Gefahren, ihrer Auswüchse.
Machen es die Chinesen also besser als der Westen, dessen Politiker in die Schuldenkrise schlitterten? Davon ist der alte Mann nicht unbedingt überzeugt. Er meint nur, dass die Chinesen es besser wissen. Manchmal erinnert er an Jürgen Habermas, was diesen ärgern wird, weil er Lees Ansichten verabscheut. Der deutsche Philosoph destilliert aus der langen Geschichte der Christenheit und der Aufklärung die Menschenrechte als universale Errungenschaft. Der Diktator Lee leitet aus Chinas 2500-jähriger konfuzianischer Geschichte die »universalen Prinzipien des guten Regierens« ab. »Singapur interpretiert den Konfuzianismus heute mit dem Beharren auf Rechtsstaat, Korruptionsbekämpfung und Leistungsprinzip«, sagt Lee denn auch nach mehrmaligem Nachfragen. Man muss ihm das abringen. Aber Lee ist unmissverständlich: Diese Staats- und Wirtschaftsregeln gelten aus seiner Sicht für die ganze Menschheit. Und er lässt durchblicken, dass China zwar oft den Rechtsstaat und die Korruptionsbekämpfung vernachlässige – der Westen aber dafür das Leistungsprinzip. Bürgerliche Freiheit in seinem Land, die fehlt ihm natürlich nicht.
»Ich sehe Europa als müdes Land nach zwei Weltkriegen«, sagt Lee. »Die Leute wollten ein ruhiges, glückliches Leben, das aber ging nur so lange gut, wie es die neuen Wettbewerber aus China und Indien mit ihren preiswerten Produkten noch nicht gab.«
Der alte Mann hat gut reden. Er sitzt im Elfenbeinturm des alten britischen Gouverneurs von Singapur. Keiner kommt hier auf die Idee, Steine auf seine Fenster zu werfen. Besteht kein Anlass zur Kritik? Was sagen seine Untertanen über diesen merkwürdig gut gelenkten und doch unfreien Kapitalismus, in dem sie leben? »Willkommen«, ruft Sussie, »willkommen!« Jeden, der vorbeigeht, lädt sie ein. Sussie ist Angestellte des Big-O-Restaurants an der berühmten Orchard Road, der Hauptgeschäftsstraße von Singapur. Sie trägt eine schwarze Kellner-Uniform mit ihrem Namensschild. Die steht ihr gut. Sussie schafft es, die Leute anzulächeln, damit sie ihr Restaurant besuchen. An ihr vorbei, in der ersten Etage eines gläsernen Shopping-Palasts, zieht das neureiche Asien: vor allem Chinesen und Inder, dazwischen ein paar Malaysier und Indonesier, die in Singapur Urlaub machen oder einfach nur einkaufen.
Sussie ist Filipina und lebt schon seit neun Jahren in Singapur. Sie besitzt weiter nichts als eine Arbeitserlaubnis. »Meine einzige Chance, hier zu bleiben, ist zu arbeiten«, sagt Sussie. Ihre Chefin Wendy Choh, eine ausgebildete Psychologin, hat ihr für das Gespräch mit dem Reporter freigegeben. Sussie soll sich einem Fremden gegenüber ruhig einmal frei beschweren können, findet die Besitzerin der Big-O-Restaurantkette. Sussies eigentlicher Name lautet Jesusa de Luna. Sie ist 27 Jahre alt, hat zwei junge Töchter und einen 73-jährigen singapurischen Ehemann, der sie sich vor zehn Jahren per arrangierter Ehe schnappte. Sussie war die Älteste von fünf Geschwistern, sie musste das Geld für die ganze Familie verdienen. Das tut sie noch heute. Sie verdient umgerechnet 850 Euro im Monat. Davon ernährt sie ihre vierköpfige Familie, ihre Mutter und einen Neffen, die mit nach Singapur kamen, und den Vater auf den Philippinen. Ihr Mann kann ihr nicht mehr helfen. Er musste seine Umzugsfirma vor Jahren aufgeben und besitzt keine Altersvorsorge – wie in Singapur üblich. Denn nach konfuzianischer Tradition sorgen ja die Kinder für die alten Eltern.
Nach langen Stunden des Erzählens fasst Sussie plötzlich Vertrauen, sagt unvermittelt: »Ich habe nie eine Jugend gehabt. Ich weiß nicht, was Liebe bedeutet. Ich kann immer nur geradeaus gehen.« Erst Armut und Entbehrung auf den Philippinen, dann Einsamkeit, Aufopferung und Rechtlosigkeit in Singapur – darunter leidet Sussie sehr, sie tut es bis heute. »Natürlich ist das hier eine Diktatur für mich. Ich muss mich an jede Regel halten, sonst fliege ich raus«, sagt sie. Doch inzwischen sei viel Gutes in ihrem Leben hinzugekommen: der Arbeitsstolz und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. »Singapur ist ein reiches, gutes Land. Die staatliche Schule, die meine ältere Tochter jetzt besucht, ist großartig. Schon wegen der Kinder will ich hierbleiben und dafür den Rest meines Lebens arbeiten«, sagt Sussie. Sie kennt die Demokratie auf den Philippinen gut und leidet darunter, dass die Singapurer ihre Regierung kaum zu kritisieren wagen. Aber noch wichtiger als die Meinungsfreiheit ist ihr die Verlässlichkeit der Regierung. Auf den Philippinen habe es von der Regierung nur leere Versprechen für die Armen gegeben. In Singapur gibt es zwar auch keine Zahlungen für die Armen, aber – neben der Schule für ein geringes Schulgeld – immerhin ein Dach über dem Kopf für eine Sozialmiete von 140 Euro. Sussies Familie wohnt zu sechst in einer Einzimmerwohnung: Nummer 0251 in Block 16 an der Ghimmoh Road. Schlechter geht in Singapur nicht. 15 Stockwerke. Aber es gibt Leitungswasser, Strom, Dusche und Toilette mit Spülung. Der Wohnblock ist frisch gestrichen. Es liegt kein Müll herum. Und vor der Haustür hält der Bus zur Orchard Road.
Kommentare
Das wahre Gesicht Singapurs Teil 1
ERst mal ist Lee Quan Yew einer der größten Rassisten unter der Sonne (Afrikaner haben den niedrigsten IQ, Europäer mittelmäßig, Chinesen den höchsten). Darüberhinaus sind alle Malyen arbeitscheu. Nur einige seiner kruden Thesen.
Dann besteht Singapur aus einer ganzen Reihe Parallelgesellschaften. Und genau das will man ja in Deutschland wohl eher nicht, oder???????
Eine Parallelgesellschaft sind z.B. die Maids. Aus den Philippinen, Indonesien, etc kommend arbeiten sie 7 Tage in der Woche pro Tag 16 Stunden, schlafen in der Küche auf dem Boden und sollen (laut Regierung) 1 (in Worten: EINEN) Tag frei bekommen. Im Monat. Diese Maids haben inzwischen zumindest bei der lokalen Bevölkerung die Kindererziehung übernommen. Mit allen Folgen. Und sie werden oft misshandelt.
Eine weitere Parallelgesellschaft sind die Bauarbeiter aus Indien und Sri Lanka. Kaserniert auf den Baustellen ziehen sie in Rekordzeit auch die komplexesten Shoppingmalls hoch, und sind absolut unterbezahlt. Sie werden auf Pickuptrucks auf der Ladeflaeche transprortiert, ohne jede Sicherung. Ebenfalls mit den bekannten Folgen.
Eine weitere Parallelgesellschaft sind die Ang Mohs- die aus dem Westen (die Wessis). Die leben dort abgeschirmt in Condokomplexen mit Torwaechtern und schicken ihre Kinder alle auf superteure Internationale Schulen. Die Deutsche Schule GESS kostet z.B. schlappe 10000 Euro im Monat. Sie beziehen ihr Gehalt aus ihren Heimatländern und sind damit praktisch Langzeittouristen.
Sorry
die GESS kostet natürlich 1000 Euro pro Jahr, siehe http://www.gess.sg/de/anm...
Guter Text!
Die hier vertreten Ansicht gilt es zu reflektieren, weil die Misere des Westens in der fehlenden Opferbereitschaft eine seiner Hauptursachen hat.
Einfach nur beschämend einseitig, die ultimative Lobhuddelei!
Entfernt. Wir nehmen uns Kritik gern an, bitten Sie jedoch, diese sachlich und höflich zu formulieren. Danke. Die Redaktion/sc
Das wahre Gesicht Singapurs Teil 2
Darueberhinaus macht das Land inzwischen Geld mit Kasinos und in Zukunft auch noch mit Hedgefonds, die demnächst in der Portstown Area angesiedelt werden.
Wasser ist notorisch knapp- es kommt zu Dumpingpreisen aus Malaysien. Vielleicht könnte Herr Blume dazu mal recherchieren. Eine interessante Geschichte.
Natürliche Ressourcen existieren nicht, alles aber auch alles muss importiert werden. Jede einzelne Banane. Die Flora und Fauna des Landes wurde weitgehend plattgemacht, wahrend in Indonesien nebenan ca 80% der Arten leben.
Im Gegenzug zu den Importen wird der Müll dann wieder in die Nachbarländer zurückimportiert. Mit allen bekannten Folgen. Pingelige Müllbehandlung gibt es aber nur nach dem Motto : Vor meiner Haustüre ist schluss. Versuchen sie Mal Batterien zu recyceln.
Die Schulbildung ist eine wahre Katastrophe, das berühmte Caning ist an der Tagesordnung.
Und: Natürlich muss Herr Blume so einen Artikel über den netten Herrn Lee Quan Yew schreiben- sonst bekommt er nämlich nächstes Mal keine Einreiseerlaubnis mehr.
Und wovon Herr Lee Quan Yew noch gelernt hat: Von den Japanern. Die haben damals Einheimische öffentlich Exekutiert, um ein Exempel zu statuieren. Dieses Prinzip der öffenlichen Bestrafung ist in Singapur gang und gäbe. Auch in den Schulen
Ich könnte ja noch lange so weiterlabern. Aber ist DAS ein Modell??? Da könnten Zweifel aufkommen, Herr Blume.
'versuchen sie mal batterien zu recyceln'...
... ist wieder der versuch, deutsche sicht- und lebensweisen anderen nationen aufzuzwingen. es geht schlicht und einfach nur darum, fuer uns 'fremde' sichtweisen nicht zu akzeptieren. und im uebrigen: zeigen sie mir bitte einmal auf, 'wie genau' sie in de 'batterien recyceln'!? irgendwo abgeben - und was passiert dann damit? nun ja...
zu nr.5 'crest'
'die vorstellung, dass jeder mensch das recht hat, seine eigenen ziele zu definieren' klingt sehr gut - solange 'jeder mensch' nicht versucht, 'seine eigenen ziele' auch durchzusetzen. das waere der anfang des problems, wie momentan in 'old'(?) europe sehr deutlich sichtbar wird. sie bekommen nicht einmal mehr einen bahnhof gebaut...
zu nr.8 'geronimo 49'
'den status zu erhalten heisst, sich aufgegeben zu haben' bekommt meine volle zustimmung und ist zur zeit sehr gut in europa zu beobachten. frueher haben die menschen gesagt: mein haus ist meine altersabsicherung. kommt es aber nun dazu, diese 'einsetzen' zu muessen (bspw. zwecks umzug in eine kostenguenstigere whg.), wird 'gemauert'!
fazit: wir sollten viel mehr auf singapur respektive china schauen. 'handeln' ist die devise, nicht immer nur 'diskutieren'! in de heisst es immer, ob nun in der bildungsdebatte oder auch in gesellschaftlichen fragen: 'es darf keiner zurueckbleiben'! - dies hiesse im umkehrschluss: es darf aber auch niemand vorausgehen (oder denken?!). einen ausgezeichneten konzertpianisten bekommen sie schliesslich nicht nur 'durch' talent...
"denn die sorgsam ausgewählte Elite weiß es besser."
Oder auch nicht.
"Manchmal erinnert er an Jürgen Habermas, was diesen ärgern wird, weil er Lees Ansichten verabscheut." Da bin ich mir - zur Abwechslung - mit Habermas einig. Denn das ist nun wirklich mal eine Errungenschaft des Abendlandes: die Vorstellung, dass jeder Mensch das Recht hat, seine eigenen Ziele zu definieren, die sich durchaus von denen einer "Elite" unterscheiden dürfen.
Man darf sich also ruhig einmal in der Couch zurücklehnen und in Lee Kuan Yew einen - trotz seines Alters - noch unausgereiften Menschen sehen.
Herzlichst Crest