Alles in Ordnung, sagt eine Redensart, und das will etwas heißen: Alles in Ordnung . Es ließe sich ja mit einer ähnlich mittleren Temperatur des Wohlseins auch sagen: Einiges unübersichtlich. Wenn sich der ordentliche Begriff Kapitalismus plötzlich in lauter Gewimmel, Trug und Gezerre auflöst, die stabilsten Diktaturen in lauter Freiheitswünsche zerbröseln und all die vernünftigen Lebensversicherungen in Wetten auf Spielgeld, lässt sich die neuerdings regierende Unordentlichkeit kaum übersehen. Und doch – »alles in Ordnung« – ist da diese leise menschliche Präferenz für das Ordentliche. Denn auch wenn, wie der Historiker Golo Mann notierte, das »Behagen an der Ordnung« kaum zu denken sei ohne »die Lust, sie zu brechen«: Wirklich unordentlich möge es lieber nicht sein, zumindest nicht bleiben. »Ordem e progresso« steht als Programm in die brasilianische Flagge geschrieben: Ordnung soll sein, nur Stillstand nicht.
Und zwar von allen mythischen Anfängen an. »Wüst und leer« war die Erde, bevor Gott in der biblischen Genesis die großen ordnenden Unterscheidungen traf: zwischen Licht und Dunkel, Morgen und Abend, Himmel und Erde, Land und Meer, Pflanzen, Getier, Mensch, männlich und weiblich, damit es dann über das Ganze der Schöpfung heißen kann: »Und Gott sah, dass es gut war.« Schließlich sogar: »Und siehe, es war sehr gut.«
Das geordnete Ganze, das Sehen, das Gute: Diese Trias birgt von Anbeginn das Verzweiflungspotenzial für den Ordnungssinn von Wissenschaftlern, Philosophen, Künstlern, Ingenieuren späterer Zeiten in sich. Nicht weniger als das Ganze ist ursprünglich gemeint, wenn es um Ordnung geht, schön und gut soll alles Vorfindliche geordnet sein, und erkennen soll man es auch noch können. Die wohl dreitausend Jahre alte Genesis, in ihrer heute bekannten Form entstanden vermutlich um 400 vor Christus, ahnt auch bereits, was dann in allen künftigen Ordnungen für Sprengkraft sorgen wird: die Lebendigkeit des Gewimmels und mit ihr die Freiheit, über die Ränder von Schubladen, Regeln und Systemen hinauszuwachsen – »alles Getier, das da lebt und webt, davon das Wasser wimmelt, ein jedes nach seiner Art, und alle gefiederten Vögel«. Schon in dieser ersten Ordnung lebt, webt, flattert es ja nur so vor sich hin.
Gestirne, Menschen, Tiere, Pflanzen – der göttliche Schmied hat alles gebaut
Der antike Kosmos entsteht zwar in griechischer Perspektive nicht als ein derart liebenswürdiger Wimmelzoo, doch auch er ist dem Chaos abgerungen, der gänzlichen Unordnung oder im Wortsinn von chaos: der dunklen Leere, die abgrundhaft ist wie die gleichnamige Bergschlucht auf dem Peloponnes. Der Dichter Hesiod – um nur eine besonders machtvolle Variante der frühgriechischen Schöpfungsmythen zu nennen – hat etwa 700 Jahre vor unserer Zeit in seiner Entstehungsgeschichte der Welt erzählt, wie aus diesem leeren Nichts des Chaos zunächst die Götter der Erde, der Nacht, der Unterwelt, der Liebe entstanden – bis aus ihnen nach und nach der kosmos entsprang: was wörtlich Ordnung bedeutet und auch Schmuck. Das sollte es sein, das war’s: eine harmonische, wohlgebaute Ordnung der Welt.
Bei Hesiod obwaltet noch die Vorstellung, dass der Götterchef Zeus eine Rechtsordnung setzt und also den Machtanspruch unter den Göttern regelt, doch in der antiken Staatsphilosophie taucht der Begriff kosmos bald auf, um Verfassungsformen und die Ordnung des öffentlichen Lebens zu bezeichnen, weshalb auf Kreta die höchsten Beamten kosmoi heißen. Auf dem Schild des Achill in Homers Ilias kann man diese Welt sehen: wohlgeordnet, Gestirne, Menschen, Tiere, Pflanzen, Steine, und Hephaistos, der göttliche Schmied, hat alles gebaut.
Die gute kosmische Ordnung, in der nichts fehlt und alles seinen Platz hat, wird nun beständig reicher an Bedeutungen: Anaximander versteht als Erster die Welt als einheitliches Ganzes, das den Charakter einer Rechtsordnung aller Dinge hat, Heraklit gibt die Idee der Gesetzmäßigkeit alles Existierenden hinzu, Empedokles dann die Liebe und den Streit als geradezu chemische Ordnungsprinzipien, und von Demokrit stammt der Gedanke, dass alles in einer Struktur atomarer Verbindungen zusammenhänge, eine Vorstellung, die im ersten vorchristlichen Jahrhundert durch den römischen Dichter Lukrez und sein Naturgedicht De rerum natura auch in die Geschichte der Kunst einging. Bis heute: Gerade hat im Berliner Wissenschaftskolleg der Shakespeare-Experte Stephen Greenblatt ein bewundernswertes Buch über Lukrez und die prägende Wirkung von De rerum natura auf das Denken der Neuzeit verfasst.
Kommentare
Apfel und Birnen
Der Artikel vergleicht Äpfel mit Birnen. Im Alltag ist Ordnung ein notwendiges Werkzeug. Und wie das mit Werkzeugen so ist: man hat Vorlieben. Was der Eine mit der Zange macht, tut der Andere lieber mit dem Seitenschneider. Und von Zeit zu Zeit wird der Werkzeugkasten (die Firma) - der veränderten Vorliebe oder Aufgabe entsprechend - eben umgeordnet.
Mit der konstruktiven Ordnung der Welt (Mathematik, Materie, Weltformel) hat unser Alltagswerkzeug 'Ordnung' nur den Namen gemein. Dass auch die Naturwissenschaften erst einmal begannen eine sichtbare, wahrnehmbare Ordnung herzustellen, war eben nur ein Anfang.
Ordnungsliebe
Was in diesem Artikel fehlt, ist der kulturelle Aspekt der Ordnungsverinnerlichung. Alle Kulturen ordnen die Welt, die sie umgibt, um ihr einen Sinn einzuhauchen. Die Besessenheit der deutsschprachigen Völker was Ordnung angeht allerdings ist ein kurioses Phänomen. Nirgendwo sonst sagt man "alles in Ordnung" wenn man meint, dass es einem gut geht oder alles stimmt. Dieser Ausdruck verrät viel darüber, wie man die die Welt sieht. Angelsachsen sagen nicht "everything is in order". Nein, es heisst "everything is fine". Alles ist gut. Und Franzosen meinen mit "tout est en ordre" nur: alles ist korrekt (sie haben sich z.B. korrekt ausgewiesen). Auch dass es in Deutschland z.B. ein "Ordnungsamt" gibt ruft bei Kulturfremden oftmals ungläubiges Stirnrunzeln hervor (was soll denn da geordnet werden?). Die Gleichsetzung von Ordnung mit Harmonie ist ein großes Rätsel deutschsprachiger Kultur. Man kann bekanntlich auch in schönster Unordnung ein Gefühl von tiefer Harmonie und Zufriedenheit empfinden.
Manchmal sieht man "geordnete" Wälder. Ein paar Hektar Fichten in Reih und Glied neben Buchen oder Kiefern in Monokultur. Alles in Ordnung? Wie schön ist doch ein naturbelassener Mischwald im Vergleich: Verschiedenartige große, kleine, alte, junge, kranke und gesunde Bäume, alles mit dem Anschein des Chaos, doch in Wahrheit beherrscht von einer feinen inneren Ordnung. Eine, die zu begreifen etwas Feingefühl verlangt. Doch bekanntlich ist der Ordnungsliebende ja nur zu faul zum Suchen.
Scheinordnung
Ordnung schaffen kann man nur dort, wo man selbst konkret auswählen kann, entscheiden kann. Dieser Ort sind die eigenen Gedanken, das eigene Bewußtsein. Ob ich dankbar bin oder im Dauerprotest gegen alles und jeden, ob ich meine Welt liebe oder hasse, ob ich meine Beziehungen geordnet habe (was ich von wem erwarte, was ich selbst zu geben bereit bin, wie ich meine Mitmenschen bewerte etc.). "Die Welt" gibt es nicht, es gibt nur die eigene Beziehung zu etwas, das wir als "Welt" bezeichnen können, wenn wir wollen. Diese subjektive Welt zeichnet sich dadurch aus, dass sie extrem wandelbar ist, je nachdem, in welcher Stimmung wir selbst uns befinden, welche Absichten wir verfolgen und welche Werte wir selbst haben. Dementsprechend verhält sich "Welt" zu uns. Sie spiegelt uns. Das so in Ordnung zu halten, dass wir damit leben können und wollen, ist unsere eigene Verantwortung. Es wäre naiv, zu erwarten, wenn ich etwas nicht mag, dass es mich mag. Also bemühe ich meine Kreativität und meinen guten Willen, meine Welt so zu ordnen, dass ich sie mag und dass sie mich mag. Ein gutes Jahr Euch allen, voller Liebe und Kreativität!
Ohne Ordnung wäre unser Gehirn überfordert
dennoch scheint mir, dass wir immer mehr Undordnung erzeugen. Einerseits versucht unser Gehirn möglichst immer gleiches zu tun, um Energie zu sparen. Unser Autopilot hilft so unser bewusstes Denken, das nur wenige Bits pro Sekunde schafft zu entlasten (siehe http://bit.ly/nAlVJZ ).
Auf der anderen Seite sieht es so aus, dass wir mit jeder Antwort auf eine Frage wieder mehr neue Fragen aufreißen. Ähnlich wie das mit den Mandelbäumen ist. Egal wie tief ich in die Ordnungsstrukturen eintauche, es gibt kein Ende. So vermute ich fast, dass wir auch keine Weltformel finden werden.
Der Auto sah unsere ökonomische Welt auch immer ungeordneter werden. es sieht immer weniger so aus, als könnten unsere Politiker das Finanzchaos noch irgendwie lichten. Ist es zu komplex geworden, als dass es noch beherrschbar ist? Oder ist die Zentralisierung zu stark fortgeschritten, als dass das Ganze noch zu steuern ist? In der Regel sind gerade die kleinen Strukturen die agileren. Also weg vom EU-Monster? Und schon gar nicht an ein Weltmonster denken! Wir sollten die Welt wieder entkomplizieren. Die Entscheidungen wieder dort treffen lassen, wo das Leben stattfindet. In den Kommunen.Weg von den Vereinheitlichungen und hin zur Vielfalt.Warum sollte es nicht mehr als ein Geld geben? Zur Zeit gehört alles Geld den Banken, dass sie uns allen nur leihen .Warum sollten die Regionen nicht ihr eigenes Geld nutzen. Wenn dann das Große den Bach runter geht, wäre in den Regionen immer noch das Leben möglich ...