DIE ZEIT: Herr Steinbrück, was ist Beinfreiheit?
Peer Steinbrück: Die Reichweite, nicht naturgeborene sozialdemokratische Wähler zu erreichen.
ZEIT: Wie groß ist Ihre Beinfreiheit noch?
Steinbrück: So groß, wie sie von Anfang an war. Da hat sich nichts verändert. Weder werde ich meinen politischen Charakter verfremden noch schauspielern oder etwas inszenieren. Auf Ironie muss ich einstweilen wohl verzichten.
ZEIT: Ihr Problem war doch nicht die Ironie, sondern mangelndes Gespür, so wie bei Ihrer Äußerung, dass Kanzler zu wenig verdienen.
Steinbrück: Die war sicherlich nicht glücklich. Und Punkt.
ZEIT: Sie selbst sind als Hoffnungsträger gestartet und dann in den Umfragen abgestürzt. Wie erklären Sie sich das?
Steinbrück: Dazu habe ich mit Äußerungen, die zu Erregungen geführt haben, beigetragen, wobei die Medien der Sache ihre eigene Dynamik gegeben haben.
ZEIT: Sie meinen die Äußerungen zum Kanzlergehalt?
Steinbrück: Natürlich. Obwohl sie weder neu noch auf mich persönlich bezogen war. Es war in den Medien ein Topthema – und das hat natürlich eine Trefferwirkung.
ZEIT: Sie wollen so bleiben, wie Sie sind. Gleichzeitig kann es nicht schaden, wenn man mit neuen Herausforderungen auch etwas lernt. Was haben Sie in Ihrer Zeit als Kanzlerkandidat gelernt?
Steinbrück: Dass Äußerungen von mir auf einer anderen Folie abgebildet werden – die Folie heißt Kanzlerkandidatur. Aussagen, die ich früher schon getroffen habe und nun wiederhole, wie etwa zum Kanzlergehalt, haben eine ganz andere Wasserverdrängung.
ZEIT: Ist das nicht angemessen? Immerhin bewerben Sie sich ja um das politisch bedeutendste Amt.
Steinbrück: Ja, aber sollte es nicht vornehmlich um politische Inhalte gehen? Fragen Sie doch danach, wofür der Steinbrück politisch steht. Manchmal scheint mir, dass die Psychologie von Politikern interessanter ist als ihre Standpunkte.
ZEIT: Zu einem Politiker gehört auch Glaubwürdigkeit. War nicht ein Kernproblem Ihrer bisherigen Kandidatur, dass Sie sich inhaltlich ganz schön angepasst haben? Nur nennen Sie das dann eine »Lernkurve«. Als Person bleiben Sie ein Polterer und sagen: Ich bleibe, wie ich bin. Wäre es umgekehrt nicht besser?
Steinbrück: Lesen Sie mal meine Nominierungsrede als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen vom November 2002. Dort habe ich bereits von den Fliehkräften, von der Drift der Gesellschaft gesprochen. Mir ging es schon damals um sozialen Zusammenhalt, darum, dass die Gesellschaft nicht weiter in Arm und Reich auseinanderdriftet. Ich habe mich da überhaupt nicht verändert. Wer mich auf Finanz- und Wirtschaftspolitik reduziert, hat mich nur in meinem letzten Amt wahrgenommen. Das ist aber nicht der ganze Steinbrück.
ZEIT: Lassen Sie uns über Ihren Blick auf Deutschland reden. Ist Deutschland ein ungerechtes Land?
Steinbrück: In manchen gesellschaftlichen Erscheinungen: Ja. Das Bildungssystem ist undurchlässig, die Einkommens- und Vermögensentwicklung fällt auseinander, der Arbeitsmarkt ist gespalten.
Kommentare
ôh je.
"DIE ZEIT: Herr Steinbrück, was ist Beinfreiheit?
Peer Steinbrück: Die Reichweite, nicht naturgeborene sozialdemokratische Wähler zu erreichen."
ja, das merkt man.
darüber wird dann der 100%tige sozialdemokrat ein vielleicht 5-10%tiger spd-wähler.
Hochnässig...
ist er wirklich. Er hat behauptet Ludwig Erhard wäre, wenn er heute leben würde, in der SPD.
Das wäre der gute Ludwig sicher nicht, er hätte die Koffer gepackt und in Asien, Amerika oder Südamerika einen Beraterauftrag oder Lehrstuhl angenommen. Die SPD heute ist weder liberal/libertär noch kommt in irgendeinen Bereich die Idee der "formierten Gesellschaft" vor. Die Staatsgläubigkeit der Partei "SPD" ist doch so gross wie nie (siehe NRW: Stress, Rauchen alles wird staatlich geregelt).
Steinbrück hat seine Fachkenntnisse in Sachen in Finanzen Prima bei der WestLB gezeigt.
Diese Wahl wird zeigen das das Medien Orakel Helmut Schmidt eben nicht immer recht hat.
Entfernt. Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen und bitte beteiligen Sie sich mit inhaltlichen Beiträgen. Danke, die Redaktion/jz
Schönes Interview....
...und wäre Steinbrück ein politisch unbeschriebenes Blatt und hätte nicht schon längst als aktiver Politiker einen großen Anteil an den Missständen, die er jetzt beklagt, auf Grund seiner Aussagen allein würde ich den Mann wahrscheinlich wählen.
Aber leider lassen sich seine Ankündigungen, was er politisch geändert sehen möchte und sein früheres Wirken diametral, so dass, lieber Peer Steinbrück, mir leider, leider der Glaube fehlt, dass Sie es diesmal ernst meinen.
Meine Stimme hat er
Ich bin ein sogenannter Wechselwähler. Und auch wenn Steinbrücks sozialdemokratisches "Geklingel" in seinen Ausführungen durchaus Misstöne beinhaltet bzw. Wunschträume formuliert - wie sehr doch wünsche ich, dass er den "Mehltau Merkel" endlich als Kanzler beenden wird, bevor eine neue Ewigkeit des gefühlten Stillstands, wie ehedem bei/mit Kohl, sich Bahn brechen kann.
Zudem mag ich noch seinen Humor.
Entfernt. Bitte verzichten Sie auf rein provokative Beiträge. Danke, die Redaktion/jz