Im Base_camp in der Berliner Mittelstraße sitzt Matthias Seilinger* vor einem Latte macchiato und sieht ziemlich schwul aus: Jeans und Stoppelbart, ein grün-rot klein gemustertes Hemd und darüber eine Weste aus demselben Stoff. »Nein«, er lacht, er hätte kein Problem damit, wenn der Eindruck stimmen würde. Doch Seilinger, 40, ist verheiratet – mit einer Frau – und heterosexuell. Das allerdings war schon mal ein Problem für ihn.
Seilinger, ein Kunsthistoriker aus Österreich, hat zwei homosexuelle Cousins, eine lesbische Cousine, und auch sein Bruder ist schwul. Nicht die gesamte Verwandtschaft goutierte es, als er sich zur Heterosexualität bekannte. Gegenüber der gleichgeschlechtlichen Übermacht– »4:3 in meiner Generation« – habe er sich geradezu rechtfertigen müssen. »Zwischen meinen älteren Cousins ist mir meine Heterosexualität in der Pubertät schwergefallen«, berichtet er. »Wenn die Minderheit zur Mehrheit wird, dann muss auf einmal der Hetero auf Toleranz hoffen. Ist das nicht spannend?«
Seilingers Familie illustriert eine lange bekannte Beobachtung: Homosexualität häuft sich unter Verwandten. Das bekannteste Beispiel ist eine deutsche Literatendynastie – Thomas Mann und seine Kinder Klaus, Erika und Golo. Auch Zwillingsstudien zeigen, dass die Veranlagung genetisch vermittelt wird. Indes konnte nie recht geklärt werden, welche Erbanlagen Menschen auf gleichgeschlechtliches Begehren polen. Ein nachvollziehbarer Erbgang ist nicht ersichtlich.
So allgegenwärtig gleichgeschlechtliche Sexualität ist, erscheint sie dennoch als ein höchst rätselhaftes Phänomen der menschlichen Biologie. Es stürzt Evolutionstheoretiker und Anthropologen seit Darwins Tagen in Erklärungsnöte und fasziniert Sexualmediziner wie Seelenkundler.
Doch gerade jetzt, während in der deutschen wie in der europäischen Politik der Umgang mit Schwulen, Lesben und gleichgeschlechtlichen Partnerschaften debattiert wird – gelegentlich in schriller Tonlage –, präsentieren drei Evolutionsforscher erstmals eine valide Theorie zur Biologie der Homosexualität. Ihr Szenario erklärt nicht nur den Erbmodus. Es kann zudem diverse Spielarten geschlechtstypischen Rollenverhaltens höchst elegant enträtseln.
Träfe die Hypothese der US-Amerikaner William Rice und Sergey Gavrilets sowie des Schweden Urban Friberg tatsächlich ins Schwarze, wäre eine ohnehin vorherrschende Erkenntnis über den allerletzten Zweifel erhaben: Homosexualität ist wie Heterosexualität definitiv eine angeborene, biologisch fundierte und vollständig normale Variante des Begehrens. Ebenso wenig wie Heterosexuelle haben Homosexuelle die Wahl, auf welches Geschlecht sie ihr Verlangen richten. Spätestens mit dieser Einsicht sähen sich homophobe Bewegungen und Konfessionen wohl gezwungen, ihre Ablehnung gleichgeschlechtlicher Beziehungen zu revidieren.
Die Ressentiments gegen Homosexuelle sitzen noch immer tief. In Frankreich demonstrierten bis zu 100.000 Menschen gegen die Verabschiedung eines Gleichstellungsgesetzes. In den Vereinigten Staaten wäre ein schwuler Präsident fast so undenkbar wie ein ungläubiger. Und global ist die Situation der Schwulen und Lesben beklemmend. In Teilen Afrikas und der muslimischen Welt ist es regelrecht lebensgefährlich, homosexuell zu sein.
Auch Deutschland ist in dieser Frage von Normalität offenbar noch weit entfernt. Zwar sind Homosexuelle in höchsten Regierungsämtern hierzulande inzwischen gang und gäbe, das Vor-und-zurück bei der Homo-Ehe sorgt jedoch nicht nur in den Unionsparteien für Zündstoff. Die (christliche) Union wisse nicht mehr, was Gott sich gedacht habe, als er Mann und Frau schuf, klagte die Frankfurter Allgemeine Zeitung vergangene Woche. Nach der Rückwärtsrolle der CDU Anfang dieser Woche stellt sich eher die Frage, wie es zum Kernbestand konservativer Identität gehören kann, dass Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden.
Zumindest hat das Bundesverfassungsgericht bei seiner Entscheidung zum Adoptionsrecht vor einigen Tagen wenig Zweifel gelassen, dass es jeder Ungleichbehandlung in dieser Sache Verfassungswidrigkeit attestieren wird. Spätestens wenn Homosexualität wissenschaftlich definitiv als naturgegeben eingestuft ist, wird sich auch der katholische Klerus bewegen müssen: Soweit Rechtsfolgen für die Betroffenen entstehen, steht die Amtskirche mit ihrer Haltung (»Ja zum Sünder, Nein zur Sünde«) schon jetzt eigentlich im Konflikt mit den Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung.
Kommentare
Ist es nich eigentlich egal, ob Homosexualität angeboren ist oder nicht?
Es sollte zumindest egal sein.
"Ist es nich eigentlich egal, ob Homosexualität angeboren ist oder nicht?"
Ja genau! Was wäre denn gewonnen, wenn die homosexuelle Entwicklung von Genen programmiert würde? Hätte die Homosexualität dann ihre seelische und soziale Anstößigkeit verloren? Wäre dann die Homophobie beseitigt? Auf gar keinen Fall. Der Hass der Normalen auf die Homosexuellen wie die Angst vor ihnen ist "unabstellbar", solange beide für die Heterosexualität konstitutiv sind und dazu noch weitgehend dem Bewusstsein entzogen. Solange es Hetero- und Homosexualität als gesellschaftliche Sexualformen gibt, solange wird das so sein.
Wilde Spekulationen
Jetzt ist als doch etwas, was die genetische Veranlagung blockiert. Wenn man sich einmal den Querschnitt wissenschaftlicher Arbeiten nebeneinander legt, kommt dann doch die vage Vermutung auf, daß Wissenschaft generell der Kategorie Queer angehört - alles ist möglich.
Nun, für mich ist klar, daß Wissenschaft das sowieso nicht (er)klären kann, außer durch willkürliche Spekulationen, weil mentale Veranlagungen Bestandteil der substanziellen Beschaffenheit des Bewußtseins sind und sich dies generell von der Physiologie und materiellen Beschaffenheit des Menschen differenziert. Sämtliche mentalen Veranlagungen, wie z.B. die der individuellen Persönlichkeit und Begabungen sind nicht vererbbar und somit zeigt alleine dieses Sachverhältnis, wie es sich damit verhält.
Enttäuscht von der überschrift...
Tunte sagt man nicht das ist schon ziemlich beleidgend, man saugt genau so wenig das jemand schwul aussieht, nichts sieht schwul aus kein auto und auch keine Person. Eine Person kann nur schwul sein
Andersein eckt an? Warum eigentlich? Es ist doch normal!
Die Biografie eines Homosexuellen kann problemlos verlaufen, von Annahme geprägt, von Selbstakzeptanz und damit auch von Anfang an von für einen selbst normales homosexuelles Empfinden. Sie kann auch ganz anders verlaufen und das heißt dann z. B. starke Depressionsneigung, Selbsthass, Angst- und Panikstörung usw. Wie kommt es zu solchen Unterschieden? Nun, die Sozialisation spielt natürlich eine entscheidende Rolle. Sich selbstbewusst als schwul annehmen zu können war bis vor nicht allzu langer Zeit so gut wie nicht möglich. Gerade Kleinstadt- und dörfliche Milieus und ein christlich geprägtes Umfeld waren und sind dem sogenannten Coming Out wenig zuträglich. Kommt man dann als Homosexueller auch Dank solcher Artikel irgendwann ml zu mehr Selbstbewusstsein und Eigenliebe, stellt man im Zweifel fest, dass man sehr viel verpasst hat mit 45 Jahren Lebensalter. Man sieht, dass es funktionierende langjährige Beziehungen unter Homosexuellen gibt, man merkt am eigenen Leib, wie schmerzhaft unerfüllte Liebe sein kann, man begreift, dass man ganz normal empfindet, wenn man tiefe Liebe einem anderen Mann gegenüber empfindet. Mir scheint es wichtig zu sein, Homosexuelle stark zu machen von Anfang an. Ich merke heute, dass Veränderungen möglich sind, wenn auch nur langsam. Auf Grund von Selbsthass und Selbstablehnung habe ich mich durch eine Sucht fast zugrunde gerichtet. Heute weiß ich: Ich bin o.k. als Homosexueller und meine Gefühle sind richtig.