DIE ZEIT: Warum sind Sie Hirnforscherin geworden?
Tania Singer: Ich wollte es lange nicht werden, schon weil mein Vater Wolf Singer denselben Beruf hat. Also habe ich erst mal Psychologie studiert und auch lange am Theater gearbeitet. Erst nach meiner Doktorarbeit in Psychologie merkte ich: Wenn ich verstehen will, wie sich Menschen verhalten, dann muss ich auch erfahren, was im Hirn geschieht. Also ging ich nach England, um Neurowissenschaft zu lernen.
ZEIT: Sie sind "soziale Neurowissenschaftlerin".
Singer: Ja, dies ist ein ganz junges Fach, das es offiziell erst gut ein Jahrzehnt lang gibt. Die Idee: Man untersucht nicht mehr, wie nur der Einzelne fühlt und denkt – sondern, wie das Gehirn weiß, was die anderen fühlen und denken.
ZEIT: Wollten Sie sich so vom Vater abgrenzen?
Singer: Nein, ich habe einfach eine Leidenschaft fürs Thema Empathie und soziales Miteinander. Und wenn Sie schon meine Familie nennen, dann rührt dieses Interesse eher daher, dass ich als eineiiger Zwilling geboren wurde. Ich bin sozusagen als ein Wir zur Welt gekommen, nicht als ein Ich . Ich hatte früh das Gefühl, dass sich die Gesellschaft zu sehr auf den Einzelnen konzentriert. Also wollte ich erforschen, wie wir uns in Beziehungen verhalten. Ich kümmerte mich etwa um das Phänomen der emotionalen Ansteckung: Wie werden Ihre Gefühle zu meinen Gefühlen?
ZEIT: Eine Ihrer Arbeiten handelt davon, wie wir den Schmerz anderer verstehen können.
Singer: Ja, ein Experiment zur Empathie. Was geht im Gehirn vor sich, wenn ich mit einem anderen Menschen mitfühle? Wir haben zum Beispiel Paare in die Scannerumgebung gebeten. Die Frau wurde gescannt, während sie entweder selbst Schmerzen erlitt oder nur sah, wie ihr Mann Schmerzen erlitt. Wir verglichen dann die Gehirnaktivität in beiden Fällen, und tatsächlich, im zweiten Fall wurden Teile der Aktivierung wieder sichtbar, die auch die Schmerzverarbeitung zuvor ausgelöst hatte.
ZEIT: Aber das ist abhängig davon, um wen es geht.
Singer: Genau, das war der zweite Schritt. So schien es zunächst, als fühlte der Mensch immer mit, und das relativ unbewusst und automatisch. Aber oft sieht man in der Realität, dass Empathie fehlt. Also kam die Frage auf, welche Faktoren die mitfühlende Reaktion blockieren.
ZEIT: Und?
Singer: Wenn zum Beispiel im Laufe ökonomischer Geldspiele jemand unfair spielt, oder wenn jemand nicht zur eigenen, sondern zu einer fremden Gruppe gerechnet wird, und diese Personen nun Schmerzen erleiden, zeigt sich eine verringerte mitfühlende Reaktion im Gehirn. Im Gegenteil beobachten wir dann sogar, dass die Wahrnehmung von Leid im anderen Gefühle wie Schadenfreude oder Rache auslöst.
ZEIT: Kann man sagen, das System der Investmentbanker, getrieben vom Kampf Mann gegen Mann um den höchsten Bonus, unterdrückt die Empathie zugunsten anderer Gefühle?
Singer: Das müsste man genau untersuchen. Ich vermute zumindest, dass das mit Sucht verbundene System des "Ich will mehr" hierbei stark im Spiel ist. Insgesamt legt unsere Gesellschaft auf Leistungsmotivation und Wettbewerb sehr großen Wert, auch die meisten wirtschaftlichen Institutionen sind so ausgelegt. Aber die soziale Neurowissenschaft zeigt auch, dass der Mensch kein sogenannter Homo oeconomicus ist, der nur seine eigenen Bedürfnisse kennt, sondern dass jeder Mensch die Bedürfnisse und Gefühle anderer in Körper und Gehirn mitrepräsentiert.
Kommentare
Logisch
„Die Neurowissenschaftlerin Tania Singer plädiert für eine neue Balance zwischen Konsum und Sichkümmern – und für Meditation statt Machtspiel.“
Na klar macht sie das -- Sie ist eine Frau. :)
No offense, aber mir als Mann geht das ab und ist es nicht so wichtig. Ich schäme mich auch nicht dafür, um das mal vorauseilend festzustellen.
Ihren Vater bewundere ich sehr.
Das tut mir leid für Sie!
aber: wie im Artikel steht, kann man - wenn dann will - auch als Mann Mitgefühl trainieren...
... da geht also - wenn Sie es wollen - mit Sicherheit noch was...
(immerhin interessiert Sie das Thema?! zumindest haben Sie ja offensichtlich wenigstens den Teaser gelesen?)
noch eine kleine Anmerkung: dieses Gefühlsding macht ja - hab ich nämlich auch selber erst lernen dürfen - dass man sich selber auch besser mitbekommt. So "Fühlenlernen" steigert die Lebensqualität wirklich enorm!
Danke. Gut auf den Punk gebracht!
Als Anmerkung zu dieser Passage:
"Unsere Vorlieben müssten sich so verändern, dass wir sagen: Weniger ist mehr. Wenn ich jetzt weniger arbeite, aber mehr Zeit für echten Kontakt mit anderen habe, erledige ich auf kurze Sicht vielleicht nicht ganz so viel, aber dafür gibt es echte Begegnungen, die wiederum mehr Vertrauen und Lebenszufriedenheit nach sich ziehen.
ZEIT: Klingt gut, bloß verlieren die Menschen nicht gerne etwas, das sie haben."
Möchte ich zu bedenken geben, dass mE viele die "DDR hinterher trauern" gar nicht der DDR hinterher trauern, sondern dem Gefühl der Zufriedenheit das sie aus dem "weniger ist mehr" verbunden mit tiefen, stabilen, erfüllenden sozialen Kontakten hatten. Auch half man sich gegenseitig viel mehr, wusste mehr voneinander … auch weniger Produkte machten die Erfahrungen mit dem wenigen viel intensiver. Während wir als Kinder Stunden und Tage gemeinsam mit dem zusammen erhaltenen Spielzeug spielten beobachtete ich später, dass ich als Weihnachtsmann mit 2 Säcken von Spielzeug keine Freude mehr erzeugen konnte: das Kind fasste das eine an, dann das andere und verlor schnell Interesse an allem …
Noch ein Beispiel …
Arzt A) Motivation: Karriere, Geld, Ansehen weniger anderen zu helfen: Resultat ist eher, dass er bei den Patienten nach dem was sie finanziell bringen entscheiden, dass er eher angenervt ist, wenn er Zeit "verliert" indem er dem Patienten zuhören "muss" etc. Der Patient wiederum fühlt sich beim Arzt nicht wirklich wohl …
Arzt B) Motivation: anderen zu helfen und Mitgefühl: Resultat, er erlebt die Patienten anders, intensiver, durch das Anteilnehmen, aus diesem springt eine tiefe Zufriedenheit und eine positive Erfahrung für beide …
Kann man gut im Alltag beobachten: mitfühlende Menschen sind zufriedener und glücklicher – egal ob Mann oder Frau.
Ich habe bei Kindern angefangen (bei Theaterprojekten) nur noch Gemeinschaftsspiele (bei denen es keine Gewinner/Verlierer gibt) zu machen. Das Resultat war, dass sie viel glücklicher miteinander, mit sich selbst waren und eine gute kooperative Atmosphäre entstand.
Kooperation vs. Wettbewerb
Ich meinte in meinem vorherigen Beitrag Kooperationspiele …
Kooperationsspiele machen alle Beteiligten zu gewinnern, was man heute win win Situation nennt. Wettkampfspiele unterteilen in Verlierer und Gewinner, es gibt also immer benachteiligte. Die Strategie nur für sich zu handeln oder das eigene Team, grenzt also immer aus und grenzt ab und hinterlässt Verlierer, die ihrerseits diesen Verlust wieder auszugleichen wünschen, da er sie unglücklich macht.
So zu handeln, dass alle Beteiligten Nutzen haben (was Mitgefühl letztlich auch bewirken kann) ist daher viel cleverer als nur Eigennutz gegen oder zu lasten anderer anzustreben.
Im Übrigen auch interessant: Experimente mit Ratten und Kindern haben gezeigt, dass diese helfen, auch wenn sie keine Belohnung erhalten. Der Homo oeconomicus ist in der Tat naiv und das Produkt des begrenzten Denkens egoistischer Gemüter, die ihre eigene Einstellung einfach auf andere projizieren, wissenschaftlich ist das bestimmt nicht und es wird durch genügend Gegenbeispiele widerlegt.
Theorie und Praxis...
klaffen mal wieder auseinander.
Ich habe noch nie einen Max-Planck DirektorIn getroffen, welcher durch Altruismus zu seinem Job kam.
Ein lebender Widerspruch, sozusagen wie so oft im Elitenstaat!
Der / die enaechste bitte!
Danke!