Die Erschöpfung ist Barbara Seebald ins Gesicht geschrieben, es ist schwül, und die Autofahrt war lang. Jetzt kauert sie im Schatten eines Baumes auf dem kleinen Spielplatz in Mödling. Ihre müden Augen wandern zu ihren vier Kindern. Die vierjährige Muriel krabbelt durch ein Holzhäuschen. Über ihr, auf dem Giebel des Häuschens, balanciert die sechsjährige Faye in schwindelerregender Höhe. Andere Mütter wären wohl längst eingeschritten, hätten vielleicht blaue Flecken und verstauchte Knochen dräuen sehen, doch Seebald wirkt ruhig. In ihrem violetten, knöchellangen Rock sitzt sie da, nippt an ihrer Glasflasche und sagt nichts. Eine "coole Mutter" – so würden manche Eltern die 43-Jährige bewundernd beschreiben. Eine, die nicht immerzu Gefahren lauern sieht, die Schürfwunden reinigt, ohne zu tadeln.
Ganz anders sah das der Richter am Landesgericht Graz, der Seebald am 5. März 2012 zu vierzehn Monaten bedingter Haft verurteilte: Seebald habe ihre jüngste Tochter Muriel grob vernachlässigt und ihr Verletzungen zugefügt, an deren Folgen das Mädchen sein Leben lang leiden werde.
Barbara Seebald ist HIV-positiv und hat Muriel infiziert. Am 1. Februar 2009 brachte sie das Baby per Hausgeburt zur Welt. Seebald wusste, was infizierten Schwangeren geraten wird, um eine Übertragung des Virus auf das Kind zu verhindern: Kaiserschnitt statt Spontangeburt, HIV-Medikamente während der Schwangerschaft, kein Stillen des Kindes, medikamentöse Therapie des Neugeborenen. Wer all dies Regeln befolgt, senkt das Ansteckungsrisiko auf unter zwei Prozent. Doch Seebald brachte das Baby zu Hause zur Welt, mit der Hilfe einer Hebamme, der sie die HIV-Infektion verschwieg. Nach der Geburt stillte sie das Baby. Als Muriel drei Monate alt war, begann sie heftig zu husten und zu fiebern. Die Eltern brachten sie ins Spital. Die Diagnose: schwere Lungenentzündung, Aids im Vollbild. Muriel war in Lebensgefahr, musste mehrere Wochen auf der Intensivstation verbringen. Erst drei Monate später konnte sie das Spital verlassen.
Ihre Mutter glaubt nicht an HIV. Sie hält das Virus für eine Erfindung der Pharmaindustrie. Alle Studien zu HIV und Aids seien von Pharmaunternehmen finanziert worden, alle HIV-Patienten, die lebenslang Medikamente schlucken, seien geknebelte Knechte einer finanzstarken, korrupten Branche, meint sie, und beruft sich dabei auf Wissenschafter wie den Molekularbiologen Peter Duesberg von der University of California in Berkeley, der für seine Krebsforschung international gerühmt, für seine Aids-leugnerischen Schriften jedoch scharf kritisiert wurde. Duesberg bezeichnet HIV als harmloses passenger virus, das mit der Krankheit Aids in keinem Zusammenhang stehe. Aids sei die Reaktion des Körpers auf Umwelttoxine, zu welchen Duesberg nicht zuletzt auch HIV-Medikamente zählt. Anders gesagt: Die HIV-Therapie verhindere nicht den Ausbruch des Immunschwächesyndroms, sondern provoziere diesen erst. Mit diesen Ansichten brachte es der deutsche Forscher zum Berater des südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki.
Barbara Seebald betrachtet sich selbst als lebenden Beweis für diese kruden Thesen. Als sie die Diagnose bekam, war sie 18 Jahre alt. Wo sie sich nach Ansicht der Mediziner angesteckt haben soll, will sie nicht öffentlich machen. Vier Jahre hätte sie noch zu leben, hatte es 1987 zu ihr geheißen. Heute ist Seebald vierfache Mutter. Sie nimmt keine Medikamente und ist nun zum fünften Mal schwanger.
Die drei älteren Kinder sind HIV-negativ getestet. Bei der ersten und der dritten Schwangerschaft habe sie "alles gemacht, was die Ärzte von mir verlangt haben", erzählt die Steirerin: Kaiserschnitt, Medikamente, Flaschenmilch. Das zweite Kind hingegen, den heute zehnjährigen Shima, hat Seebald normal geboren und auch gestillt. Shima hatte Glück und überstand den risikoreichen Weg durch den Geburtskanal heil. Seine kleine Schwester Muriel hatte hingegen Pech.
Die Vierjährige lebt heute in einem Kinderheim im niederösterreichischen Hinterbrühl, zwei Autostunden entfernt von der Mutter und den Geschwistern. Nur dort, so die Jugendwohlfahrt, sei gesichert, dass sie täglich mit Medikamenten versorgt werde. Die Obsorge wurde der Mutter entzogen. Nur zwei Mal im Monat darf sie ihr Kind sehen, jeweils drei Stunden lang – so wie heute. Dann macht sie sich mit den Kindern auf den Weg, lässt die vier Geschwister einen Nachmittag lang auf einem kleinen Spielplatz spielen und fährt abends wieder zurück in die Steiermark.
Durchschnittlich einmal pro Monat wird in Österreich eine HIV-positive Frau schwanger. Entscheidend ist, dass die Mutter weiß, ob sie infiziert ist oder nicht. Selbstverständlich ist das nicht. Jede vierte Patientin in Österreich erfährt erst dann von ihrer Infektion, wenn die ersten Symptome einer Aids-Erkrankung bereits aufgetreten sind. Flächendeckende HIV-Tests für Schwangere gibt es erst seit 2010, seit damals sind sie Teil der Mutter-Kind-Pass-Vorsorge.
Kommentare
Diagnose Verdrängung
Eine tragische Geschichte von Menschen, die offensichtlich mit der Krankheit überfordert sind. Leider beleuchten solche Berichte immer nur einen sehr engen Bereich und weichen weiterführenden Fragen aus, welche z.B. wäre: Warum war der verstorbene Ehemann von Frau Seebald positiv, bzw. wie ist die Ansteckungskrankheit in diese Ehe überhaupt gekommen? In diesem Zusammenhang stellt sich für mich die Frage ob die Plakate mit dem Slogan: ICH HABE HIV. nicht das Problem eher verharmlosen. Immerhin scheint es den Leuten auf den Fotos ganz gut zu gehen.
Das sind eben leider die Auswüchse...
...des stark zunehmenden wissenschaftsfeindlichen und esoterisch verblendeten Denkens in den Wohlstandsregionen.
Von jeder Logik und meistens auch von allen Beweisen verlassen, wird da von gefährlichen Impfungen, angeblich hoch wirksamen Alternativmethoden und gefährlichen Verschwörungen der etablierten Industrien und Strukturen fabuliert, die selbstverständlich so skrupellos sind, dass sie "auf Kosten der Gesundheit der Menschen" Informationen in großem Stil verschleiern und fehlleiten...
Zunehmende Maserninfektionen oder das Ablehnen hochwirksamer Therapien sind die Folgen.
Die Leidtragenden sind da dann auch meistens Kinder, die sich gegen den gefährlichen Schwachsinn ihrer Eltern nicht zur Wehr setzen können und diese Folgen auszubaden haben...
Überreaktion der Behörden
Hochwirksame Therapien, man denke nur an Contergan. Ein kritischer Umgang mit der Pharmabranche ist immer geboten.
Für mich ist es unglaublich, dass dieser Frau das Kind entzogen wird. Jetzt leidet es nicht nur unter Aids, sondern auch noch unter der Trennung von seiner Herkunftsfamilie. Wahrscheinlich eine Überreaktion der Behörden, die medialem Druck nicht standhalten können.
Es deutet doch nichts drauf hin, dass diese Frau ihrem Kind bewusst schaden wollte. Das zweite Kind war ähnlichen Einflüssen ausgesetzt und blieb gesund.
Schwierige sache
Wobei man dazu sagen muss, dass leider oft genug sei es in der Pharmaindustrie oder im medizinischen bereich große fehler und auch verschleierungen begangen wurden, was dann dazu führt dass einige Menschen überall betrug wittern und nichts mehr annehmen. Also die Medizin bzw. die Mediziner haben sich ja schon oft genug geirrt, dass ist das problem, genauso wie die usa es jetzt wieder schaffen liberalismus, Demokratie und moralische Ansprüche vollständig zu diskreditieren.
Ich finde gut, das shier auf die Problematik eingegangen wird, dass obwohl wir wohl alle dem zustimmen werden, dass das Kindeswohl höchste Priorität hat, jemanden zu nem kaiserschnitt und ähnlichem zu zwingen.
Es ist
nicht allein das Fehlverhalten der Pharmakonzerne. Es gibt einen ganzen Markt der aus dem Bestärken der Zweifel an der Schulmedizin Geld schlägt. Besonders perfide ist das einwirken auf Mütter, die meist das beste für ihr Kind wollen und diesem aus den besten Absichten heraus Schaden zufügen.
Auch hinter der Homöopathie, Anthroposophie usw... stecken Konzerne und Verbände.
Die Frau ist ein Opfer. Das nun Druck gemacht wird um das fünfte Kind zu schützen ist richtig. Man muss sich aber auch Gedanken machen, wie man die Frau und alle anderen vor der AIDS Leugnung und weiteren Fehlinformationen schützen kann.
Schlecht recherchiert
"Seebald wusste, was infizierten Schwangeren geraten wird, um eine Übertragung des Virus auf das Kind zu verhindern: Kaiserschnitt statt Spontangeburt, HIV-Medikamente während der Schwangerschaft, kein Stillen des Kindes, medikamentöse Therapie des Neugeborenen. Wer all dies Regeln befolgt, senkt das Ansteckungsrisiko auf unter zwei Prozent. "
Wie sich die Sache mit dem Kaiserschnitt verhält, steht nicht nur im Deutschen Ärzteblatt: "Mittlerweile entbinden nahezu überall in industrialisierten Ländern und auch in Deutschland in einigen Zentren bis zu 75 Prozent der HIV-positiven Schwangeren vaginal, weil unter konsequenter Einnahme einer ART mit Nachweis einer vollständig unterdrückten Viruslast der Kaiserschnitt keinen zusätzlichen Schutz vor Übertragung des HI-Virus für die Neugeborenen bringt – und weil die Gebärenden sich nicht ohne guten Grund einer Bauchoperation unterziehen möchten." (http://www.aerzteblatt.de...)
Qualitätsjournalismus setzt gründliche Recherche voraus. Dieser Artikel genügt keineswegs dem Anspruch.
Vielleicht doch nicht
Heute scheint dem wohl der Fall zu sein, jedoch 2008/2009 noch nicht. Ich denke, die Sache mit dem Kaiserschnitt bezieht sich auf diese Jahre.