Als ich am Abend im Hotel noch einmal meinen Computer anmache, um diese Tasche zu finden, die meine Frau sich zum Geburtstag wünscht, geht mir ein Satz nicht mehr aus dem Kopf, den ich am Morgen in einem lichtdurchfluteten Großraumbüro in der Münchener Innenstadt gehört hatte: "Wir kämpfen um Sie, jeden Tag, mehrmals."
Diesen Satz hätte ein Lehrer sagen können, ein Priester vielleicht oder ein Arzt auf einer Intensivstation. Gesagt hat ihn aber Alexander Gösswein, 44, ein Mann, der daran arbeitet, mich besser zu kennen als ich mich selbst.
Vor meinem Abflug nach München fiel mir auf, dass mich eine der Taschen, die ich vor ein paar Tagen in die engere Wahl genommen hatte, im Internet verfolgt. Klein, braun, Leder, nicht zu schick, aber auch nicht zu lässig war sie. So in etwa hatte ich die Wünsche meiner Frau verstanden. Immer wieder erscheint diese Anzeige, auch wenn ich nicht nach ihr suche. Sie ist, egal wo ich bin: Wenn ich morgens die Nachrichten lese auf handelsblatt.com, wenn ich beim Schreiben nach einem Wort suche auf woxikon.de, wenn ich recherchiere auf gruenderszene.de oder wenn ich mich ablenken lassen will auf bild.de. Woher weiß die Tasche, wo ich bin?
Ich habe mir nie wirklich viele Gedanken darüber gemacht, was mit meinen Daten im Netz passiert. Ich nutze Google Mail, Facebook und den App-Store. Ich mag es, wenn Amazon mir bislang unbekannte Bands vorschlägt, die sich dann auch noch als gut entpuppen. Ich schätze es sehr, mich meinen Freunden Juli und Albert nahe zu fühlen, obschon sie in New York und Barcelona wohnen. Und mal ehrlich, ich bin Journalist, ohne Google könnte ich nicht arbeiten. Als Google-Chef Eric Schmidt daher im August 2010 das Ende der Freiheit im Internet verkündete, habe ich nicht mal mit den Schultern gezuckt. "Zukünftig wird es für die Menschen", sagte Schmidt, "sehr schwer werden, etwas zu sehen oder zu kaufen, was nicht in gewisser Weise für sie maßgeschneidert wurde."
Mir war immer klar: Der Preis, den ich für den kostenlosen Service im Netz zahle, sind meine Daten. Auf deren Basis schalten die Konzerne auf ihren Plattformen Werbung. Ich habe diesen Deal immer akzeptiert. Doch jetzt, wo mich diese Tasche verfolgt, frage ich mich zum ersten Mal: Ist dieser Deal überhaupt gut für mich?
Auf der Suche nach einer Antwort bin ich in jenem lichtdurchfluteten Münchener Büro gelandet. Hier sieht jeder jeden, auch Alexander Gösswein hat seinen Schreibtisch hier. Gösswein ist Deutschland-Chef des französischen Technologieunternehmens Criteo, eines der führenden Anbieter von zielgenauer Onlinewerbung. Criteo hat 4.000 Kunden weltweit, hierzulande unter anderen eBay, Dell, Zalando, Otto, Lidl und Tchibo, seit der Gründung 2005 ist es von drei auf 750 Mitarbeiter gewachsen, 2011 betrug der Umsatz 200 Millionen Dollar. Aktuellere Zahlen gibt es nicht. Als ich Gösswein frage, ob das daran liege, dass es heute sehr viel mehr sei, lächelt er bloß. Dann sagt er diesen Satz: "Wir wollen dem richtigen Nutzer das richtige Produkt zur richtigen Zeit anzeigen. Und damit wir das können, kämpfen wir um Sie, jeden Tag, mehrmals."
Der komplexe Rechenprozess dauert nur hundert Millisekunden
Um zu verstehen, was Gösswein meint, muss man erklären, wie Werbung im Internet überhaupt funktioniert. Es ist nicht wie im Fernsehen. Wer in Deutschland Wer wird Millionär? schaut, bekommt dieselbe Werbung gezeigt, ganz egal, ob er in München oder Flensburg vor dem Fernseher sitzt. Tippen in diesen beiden Städten aber zwei Menschen in genau derselben Sekunde bei Google "Wer wird Millionär?" ins Suchfenster ein, werden sie zwei völlig unterschiedliche Seiten bekommen – mit völlig unterschiedlicher Werbung. Zum einen liegt das daran, dass sich Google merkt, wonach Sie bislang in Ihrem Leben gesucht haben, und daraus ableitet, was Sie in Bezug auf "Wer wird Millionär" am meisten interessieren könnte, zum anderen liegt das an Unternehmen wie Criteo.
Kommentare
Faustregel
Es gibt eine einfache Faustregel im Netz: Wenn das Angebot kostenlos ist, bist DU die Ware!
Beispiel Facebook. Die User sind nicht etwa die Kunden von Facebook, sondern die User sind die Ware. Sie erzeugen Daten. Vergleichbar mit den Kühen im Stall des Bauern; die Kühe sind nicht die Kunden, sondern die Ware, die Milch generiert. Weder an Daten noch Milch ist grundsätzlich etwas Schlechtes, man muss es nur wissen.
Meine Kinder habe ich darauf hingewiesen, bevor sie bei Facebook und Co Mitglieder wurden. Sie wissen bescheid, melden sich unter einem Pseudonym an wie ihre Klassenkameraden auch, und tauschen nur das Wesentliche aus. An ihnen verdient Facebook kaum etwas.
Es ist im Netz wie im richtigen Leben. Sei ein wenig vorsichtig und denke ein wenig nach über das, was du tust. Dann wird dir nicht viel passieren, und keine Handtasche wird dich verfolgen.
@1 - Dieter Altmann: Aber bitte nicht den Umkehrschluss
Ihrer Aussage
"Wenn das Angebot kostenlos ist, bist DU die Ware!"
wagen (der ist rein logisch ohnedies falsch):
Rasche Abhilfe gegen verfolgende Handtaschen:
1. AdBlock installieren (Freeware).
2. Click&Clean nutzen (Freeware) und den Browser über dieses AddOn schliessen.
3. Anonym surfen und generell vorsichtig mit den persönlichen Daten umgehen.
E voilà!
RequestPolicy
Es gibt noch eine effektivere Methode: Request Policy
Dabei kann festgelegt werden, auf welche Domains zugegriffen werden darf. Z.B. kann so verhindert werden, dass Domains auf google-analytics.com, ivwbox.de oder sonstige Domains dieser Art zugreifen.
Der Nachteil ist (wie bei fast jeder Methode zur eigenen Absicherung): Es ist wesentlich unkomfortabler als einfach alles zuzulassen, denn manchmal funktionieren Webseiten eben erst, wenn man bestimmte Verbindungen zulässt.
(Z.B. zu googleapis)
Immerhin kann man sich so aber Adblocker sparen, denn wenn die Verbindung gekappt wird und keine externe Verbindung zugelassen wird, hat sich das auch mit der Werbung.
Nun hab ich prinzipiell nichts gegen Werbung und würde diese (soweit nicht zu nervig) auch anzeigen lassen, aber eben nur, wenn dabei nicht Millionen von Informationen gesammelt werden würden.
Werbung ist nicht das was mich stört, die Profile sind es.
Die Handtasche war aber nicht kostenlos
Ihr Beispiel taugt leider nicht. Der Autor hat ja für die Handtasche bezahlt. Vielleicht etwas weniger als im stationären Handel, aber das nennt man dann eben Marktwirtschaft. Vielleicht hätte er bei längerer Recherche sogar im stationären Handel die Handtasche billiger gefunden. Das Beispiel hinkt also.
Und genau das ist ja das, was mich als Verbraucher nervt. Selbst, wenn ich dafür bezahle, werde ich mit Werbung penetriert. Ich bin ZEIT-Abonement und das seit über 20 Jahren. Wenn man so will, habe ich als treuer ZEIT-Abonemt ZEIT-Online überhaupt erst möglich gemacht. Und trotzdem fordert man mich auf, doch bitte meinen Add-Blocker auszuschalten, damit das Angebot von ZEIT-Online finanziert werden kann. Nein, mache ich nicht. Ich wäre ja sogar bereit, für ein Online-Angebot zu bezahlen, aber nicht mal das trauen sich die Verlage, sie müllen mich lieber mit Werbung zu. Meine Kritik richtet sich gar nicht mal an ZEIT-Online allein, es ist eine generelle Kritik. Ich habe gar nichts gegen Werbung generell. Aber inzwischen scheint sie zum Selbstzweck verkommen. Man nehme nur das Beispiel Sky. Mal völlig werbefrei, heute fast vergleichbar mit normalen Fernsehsendern. Die kriegen den Hals einfach nicht voll. Und der Kunde muss es ausbaden.
Egal ob bezahlt oder nicht. Werbung ist überall. Und dass der Verbraucher irgendwann zum Selbstschutz greift (hier Add-Blocker) ist nur verständlich. Ich bin das Geblinke, Gepoppe, Zugemaile irgendwann eben leid.
@3 - nfamia: Bevro Sie anderen hinkende Vergleiche ....
.... unterstellen, denken Sie doch erst mal nach.
1.) Wie bereits festgestellt ist der Umkehrschluss rein logisch immer falsch
2.) Geht es nicht um die Handtasche, die nichts kostet, sondern Internetseiten, die nichts kosten, obwohl Sie eigentlich etwas kosten müssten ....
3.) Deklarierte der Nutzer dessen Aussage Sie kritisieren dies als "Faustregel"
Tja, Herr Daniel Müller, dass dieser Beitrag gleich flankiert
wird von den Trakkern:
Audience Science
Double Click
InfoLine
Optimizely
VG Word
Webtrekk
verstärkt auf der einen Seite Ihre Botschaft auf der anderen Seite birgt das schon ein gehöriges Stück Ironie und Ihre Warnung und Mahnung verpufft.
Da fehlen noch welche
Mein Ghostery zeigt außerdem noch an:
GoogleAnalytics
Meetrics
NugAdd
Und alle wollen sie wissen, wohin ich denn surfe, wenn ich diesen Artikel hier zu Ende gelesen habe...