Heinrich Moll war 55, als er vor wenigen Wochen sein Diplom als "staatlich examinierter Altenpfleger" bekam. Der gelernte Drucker sprüht vor Lebensfreude, wenn er über seinen neuen Beruf erzählt: "Ich komme mit den Menschen zurecht und werde akzeptiert. Das ist ganz anders, als an einer 15 Meter langen Maschine zu arbeiten. Ein freundliches Lächeln, wenn man zur Tür hereinkommt, das ist etwas Schönes."
Fast vier Jahrzehnte war Moll Drucker. In dieser Zeit hat sich die Branche stark verändert. Als der dritte Betrieb, in dem Moll beschäftigt war, in die Insolvenz ging, wagte er den Neuanfang – und machte ein Praktikum in der Altenpflege. Das hat ihm so gut gefallen, dass er sich bei der Sozialholding Mönchengladbach als Senior-Azubi bewarb und dort seine Ausbildung machte.
Heinrich Moll ist ein Midlife-Boomer: In der Mitte seines Lebens ist er noch einmal aufgebrochen, Neues zu erkunden. Er gehört zu der zahlenmäßig starken und gut ausgebildeten Generation um die 50, deren Erfahrungen und Qualitäten auch morgen gefragt sein werden.
Der demografische Wandel schafft für Menschen wie Moll eine Vielzahl von neuen Möglichkeiten – und immer mehr Firmen erkennen das Potenzial darin. Noch kommen sie vor allem aus Branchen, die bereits über Fachkräftemangel klagen wie die Pflege, oder aus Regionen, in denen fast schon Vollbeschäftigung herrscht. Doch wer sich auf die Älteren einlässt, profitiert in vielfacher Hinsicht. Sie haben ein über Jahrzehnte erworbenes Erfahrungswissen. Kombiniert mit Weiterbildung, kann sich das vielfach auszahlen – für die Mitarbeiter, aber auch für die Firma.
Wie bei der badischen Großbäckerei K+U, die in einer Region mit sehr niedriger Arbeitslosigkeit ansässig ist und deshalb schon seit einigen Jahren Senior-Azubi-Programme für die Berufsbilder Fachverkäufer, Bäcker und Konditor anbietet. Neben Frauen nach der Familienphase finden sich vor allem Ungelernte in dem Programm. Alle haben Lebenserfahrung, die Firma traut ihnen viel zu. "Sie haben die Möglichkeit, schnell innerhalb des Unternehmens aufzusteigen", sagt der Geschäftsführer von K+U, Herbert Behringer. Auch für Akademiker gibt es bereits die ersten Weiterbildungsprogramme, die auf die Älteren abzielen. So hat der Chemiekonzern Lanxess in diesem Jahr ein Senior-Trainee-Programm für Frauen gestartet, die nach langer Pause wieder zurück ins Arbeitsleben wollen.
Noch sind es nur wenige Trendsetter, die Ältere in neuen Berufen ausbilden. Doch die Erfahrungen, die sie dabei machen, werden auch für ihre jüngeren Mitarbeiter immer wichtiger. Denn durch den demografischen Wandel verlängert sich nicht nur unsere Lebenszeit, sondern auch die Spanne, in der wir einer Erwerbsarbeit nachgehen.
Die Management-Professorin Lynda Gratton von der London Business School hat dazu über 200 Experten weltweit befragt und formuliert ihre Empfehlungen in ihrem Buch Job Future – Future Jobs als "Hinweise an Kinder zur Zukunft der Arbeit": "Über 60 Jahre eures möglichen Erwerbslebens werdet ihr die Möglichkeit haben, eure Arbeit deutlich vielfältiger zu gestalten. Ihr könnt eine Laufbahn einschlagen und nach 20 oder sogar nach 40 Jahren in einen anderen Bereich überwechseln."
In der Mitte noch mal neu aufbrechen
Gratton geht davon aus, dass das Leben dieser Alterskohorten "nicht einfach so verlaufen wird, dass eine Ausbildung am Anfang, eine Erwerbstätigkeit in der Mitte und die Rente am Ende steht. Stattdessen könnt ihr mit einer mosaikartigen Erwerbsbiografie rechnen, in der Aus- und Weiterbildungen zu verschiedenen Zeiten wichtige Steinchen sind."
Auf die Jungen kommt also eine deutlich längere, wahrscheinlich aber auch weit vielfältigere Arbeitskarriere zu. Sie werden zwar um Jahre länger, aber viel zeitflexibler arbeiten: Wechsel zwischen Voll- und Teilzeit je nach Lebensphase werden ebenso üblich wie Auszeiten vom Job.
Demografie-Pioniere wie der Maschinenbauer Trumpf in Ditzingen bieten das heute schon an. Trumpf hat ein "lebensphasenorientiertes Arbeitszeitmodell" eingeführt: Immer für die jeweils zwei nächsten Jahre können die Mitarbeiter dort ihre Arbeitszeit in einem Korridor zwischen 15 und 40 Wochenstunden selbst bestimmen. Wer mal ganz rausmöchte, kann sich eine Auszeit von bis zu zwei Jahren ansparen. In dieser Zeit kann man um die Welt reisen, aber beispielsweise auch eine Zusatzausbildung machen – oder sich beruflich ganz neu orientieren.
In den USA hat dieses Phänomen bereits einen Namen bekommen, die encore-career. Gut neun Millionen Amerikaner in der Mitte ihres Lebens haben sich schon für diesen "nächsten Beruf" entschieden, sagt Marc Freedman von der gemeinnützigen Organisation Encore.org. Dahinter steht die Idee, noch einmal aufzubrechen – ob aus wirtschaftlicher Notwendigkeit oder auch aus der Leidenschaft heraus, etwas Neues anzufangen. Anders als in Deutschland haben die amerikanischen Colleges und Universitäten sich bereits auf diesen Trend eingestellt. So gründeten 13 Colleges im Jahr 2008 die "Plus 50 Initiative" und entwickeln seitdem Ausbildungsprogramme speziell für die "Plus 50 Learners", also für die Bildungs- und Berufswechselwilligen ab 50.
Kommentare
"noch mal neu aufbrechen"
Viele dieser Menschen brechen vielleicht zum ersten mal auf, da sie als Heranwachsende mehr oder minder gezwungen wurden sich für einen bestimmten Beruf oder eine Richtung zu entscheiden. Umso höher ist dann die Motivation.
Guter Artikel, Danke.
Es geht voran
Gut an diesem Alter ist ja, dass die dicksten Bretter bereits gebohrt sind. Die Hütte oft bezahlt, die Kinder aus dem Haus und da gewinnt die Idee an Charme, unabhängiger vom Verdienst zu denken. Wer nicht nur aus dem puren Ego heraus der Meinung ist, weil er ein bestimmtes Alter erreicht hat, müsse er dies und jenes verdienen, dem fällt es leichter zu sagen, ich fange noch mal neu an. Ich bin auch nicht so karrierefixiert, als dass ich mir nicht vorstellen könnte, in naher Zukunft auch noch mal was Neues anzufangen. Ich habe noch gut 20 Berufsjahre vor mir, da stellt sich schon die Frage, ob man die restlichen 20 Jahre den gleichen Stiefel abspulen will oder ob man nicht die sich ergebenden Chancen durch den Demografiewandel für sich nutzt. Der Demografiewandel hat eben auch Vorteile. Die Machtverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt glätten sich. Zwar nicht aus sozialer Nächstenliebe durch die Arbeitgeber, aber das ist mir persönlich wurscht, solange ich davon profitieren kann.
Da ist was dran
Dieselbe Frage - ob ich die nächsten 20 Jahre immer den gleichen Stiefel abspulen will - stelle ich mir in letzter Zeit immer öfter und ich finde, der Gedanke, etwas ganz anderes zu tun, hat einen sehr großen Charme. Der Karrieregedanke wäre mir auch eher egal, nicht aber die Frage, ob ich es bei einem echten Wechsel schaffen würde, bei Brot und Arbeit zu bleiben, denn die Strecke, die vor mir liegt, ist vermutlich doch noch recht lang. Aber der Gedanke, dass einem die Option bei einem Verlust des Arbeitsplatzes heute eher offen steht als noch vor ein paar Jahren, ist doch sehr erfreulich.
Jobwechsel mit ü50?
Die Realität sieht heute oft anders aus: Man wechselt nochmal, verliert in der Probezeit seinen Job und ist dann arbeitslos. Der Fachkräftemangel gehört nämlich nach wie vor ins Reich der Fabeln (abgesehen von IT-Spezialisten im Mittelstand und ÖD sowie Ärzten und Pflegekräften).
Wir werden in ca. 15 Jahren tatsächlich einen Fachkräftemangel haben in der Hinsicht, dass wir jede Menge schlecht qualifizierte Erwerbspersonen haben. Das liegt einerseits daran, dass unsere "Einwanderungspolitik" keinerlei Wert auf Qualifikation legt und andererseits daran, dass Studiengebühren über 8 Jahre lang Menschen aus ärmeren Haushalten vom Studium abgehalten haben. Und mit Pisa kriegen wir auch noch unsere Schulen ruiniert - wer sich das koreanische System als Vorbild nimmt, kann auch gleich wieder einpacken!
Fabel?
"Die Realität sieht heute oft anders aus: Man wechselt nochmal, verliert in der Probezeit seinen Job und ist dann arbeitslos. Der Fachkräftemangel gehört nämlich nach wie vor ins Reich der Fabeln.
Vielleicht handelt es sich um Einzelbeispiele, aber die Realität ist heute in vielen Unternehmen schon so, dass mangels Alternativen der Altersdurchschnitt der eingestellten Bewerber höher liegt als noch vor wenigen Jahren. Selbst wenn man jung und billig einstellen wollte, bewerben tun sich oft älter und zumindest nicht billig.
Eine Freundin von mir hat Personalverantwortung, ihr Chef hätte gerne jung und billig. Bewerben tun sich aber überwiegend älter (40+), erfahren, qualifiziert und mit entsprechenden Gehaltsforderungen. Aus der Not heraus muss ihr Chef dann entsprechend einstellen. Es wird noch etwas am Gehalt gedrückt, aber viel Luft nach unten ist nicht. Berufsbild Sekretärin.
Ein Freund von mir, Ende Vierzig, kommt nicht aus der IT und hat aus eigenen Stücken in den letzten 5 Jahren zwei Jobwechsel hinter sich gebracht. Ohne Einschränkungen. Seine Branche boomt derzeit nicht gerade, aber auch da sind mangels Alternativen die Firmen auf die Erfahrung und das Know How von Leuten wie ihm angewiesen.
Ich will daraus keine Regel machen und glaube auch, dass ein Ü40 bei Arbeitslosigkeit sicher Probleme haben wird. Aber die Tendenz zeigt doch mehr und mehr in die Richtung, dass Unternehmen gezwungenermaßen auf Ü40 zurückgreifen müssen. Das war vor wenigen Jahren anders.
Ich suche eine Arbeit.
" Sehr geehrter/geehrte XXXX,
ich suche eine Arbeit, bei der ich die erworbenen fachlichen und praktischen Fähigkeiten kompetent einsetzen kann. Bisher folgte ich beruflich, meinem Interesse, sinnvolle biotechnologische Lösungen zu wirtschaftlich relevante Fragestellungen im Lebensmittelbereich und Mikrobiologie zu erarbeiten. Schwerpunkte lagen bei Haltbarkeitsbehandlungen von „Export-Früchten“ (mit Gamma-Strahlen und Hitze), Isolierung von biotechnologisch relevanten hyperthermophilen anaeroben Stämmen und Pilot-Versuchen zu dessen Kultivierung in Batch- und Fermentationsverfahren. Qualitäts- und Nachhaltigkeitsstrategien, sind Fragestellungen die mich nach meinem beruflichen Wiedereinstieg (2007) beschäftigten.
Fachspezifische Arbeitsabläufe und Verfahrenstechniken sind durch meine Berufspraxis an den Instituten für Lebensmitteltechnologie und Botanik der Central Universität (U.C.V.; Caracas, Venezuela) und durch meine Tätigkeit als Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Angestellte an den Instituten der Mikrobiologie und Meereskunde der C.A.U.- zu Kiel belegt. Nach meiner wissenschaftlichen Tätigkeit für Promotionsarbeiten, am I.F.M.-Geomar habe ich in Fulda eine Erziehungszeit für meine drei Söhne genommen."
.....bitte melden, Danke!