10.00 Uhr, 0 Stufen, 220 geladene Pakete
Der Bote parkt immer in der Mitte der Straße. "Kurze Wege, darauf muss man achten", sagt Stefan Maier. Er zwängt sich nach hinten, zu den Paketen. Ein Heizstrahler ist dabei, eine Mikrowelle, eine Matratze, ein Flachbildschirm, ein Fahrrad, Adventspäckchen und dazu, wie immer, haufenweise Bücher und Klamotten. Er greift zwei Amazon-Pakete, schlägt die Tür zu und einen Laufschritt an. Sein Tempo konstant zu halten, sagt Maier, sei das Wichtigste, auf keinen Fall zu langsam, aber auch nicht zu schnell, "ich muss ja den ganzen Tag überleben".
Maier, 32 Jahre alt, arbeitet für DHL, aber er ist nicht dort angestellt, sondern bei einem Subunternehmer. Man erkennt das kaum, weil Maier ein gelbes T-Shirt mit rotem DHL-Schriftzug trägt und in einem gelben DHL-Laster Pakete ausfährt. Zuständig ist er für 4.000 Haushalte in elf Straßen einer typischen Berliner Wohngegend: Kopfsteinpflaster, die Häuser sind fünf Stockwerke hoch, Altbauten ohne Aufzug, mit Seitenflügeln und Hinterhäusern, einige unsaniert. Auf dem Gehweg klebt Hundescheiße.
Im November hat die Deutsche Post DHL in Deutschland jeden Tag fünf Millionen Pakete zugestellt. Jetzt, vor Weihnachten, sind es acht Millionen. So viele wie nie zuvor. "Warum die Leute so viel bestellen? Na, aus Bequemlichkeit! Denkt doch keiner nach über die Prozesse, die da dranhängen", sagt Maier.
Am Haus angekommen, drückt er aufs Klingelschild, ohne zu schauen, "der Herr Baldic wohnt ganz oben". Wartet. "Hektik bringt gar nix." Beim zweiten Klingeln öffnet sich die Tür.
"Amazon-Bücher sind wenigstens nicht so schwer, aber ich muss damit oft in den fünften Stock rennen, das macht die Belastung aus." Maier nimmt jede Stufe einzeln und atmet bei jeder zweiten aus. Sein Körper, klein und drahtig, sieht von hinten aus wie ein sehr gerader Pfeil. An der Tür steht in weißem T-Shirt ein junger Mann und grinst. "Das ist Sport hier hoch, nicht?" Meier lächelt, scannt das Paket, hält den Scanner zur Unterschrift hin, wünscht einen schönen Tag. Erst beim Runtergehen sagt er: "400 bis 500 Höhenmeter lege ich zurück, einmal am Tag ist das Empire State Building locker drin."
Das Wort, das Maier – nach dem in die Klingelanlage geschickten "Die Paketpost ist da!" – am häufigsten sagt, ist: Kunde. "Ich denke immer aus Kundensicht", "immer kundenorientiert". Er bleibt freundlich, auch nach vielen Stunden und Beschwerden von Menschen, die ihre Pakete nicht bekommen haben oder wieder mal eines für ihre Nachbarn annehmen sollen.
10.30 Uhr, 340 Stufen, 212 geladene Pakete
Die Deutsche Post DHL ist der größte Logistikkonzern der Welt. In diesem Jahr rechnet sie mit einem Gewinn von bis zu drei Milliarden Euro. Der Chef heißt Frank Appel. Das Paketgeschäft nennt er den "wichtigsten Wachstumstreiber" seiner Firma, und Appel möchte, dass sie noch mehr Pakete ausliefert. Deswegen will er seinen "wichtigsten Wachstumstreiber" weiter optimieren: Noch rascher sollen die Pakete beim Kunden sein, möglichst schon am nächsten Tag, so schnell wie Briefe, verspricht Appel.
Zur Wahrheit über den Paketboom gehört auch, dass diejenigen den Preis drücken, die die Pakete verschicken: Experten schätzen, dass Händler wie Zalando gerade mal zwei Euro pro Paket bezahlen. Das dürfte die Kosten der Zusteller kaum decken. Den Druck gibt die Post nach unten weiter, immer tiefer, bis er bei Stefan Maier ankommt.
Jeden Morgen trifft Maier die anderen DHL-Zusteller an den Ladeluken. Lastwagen haben die Pakete über Nacht in riesigen Containern in eine Halle gekarrt, Lagerarbeiter verteilen sie früh morgens auf Rutschen. Am unteren Ende einer solchen Rutsche wartet Maier darauf, was der Tag ihm bringt. Er sucht seine Pakete heraus, sortiert sie und belädt seinen Transporter. Zwei Stunden dauert das.
In diesen beiden Stunden verdient Maier kein Geld, auch am Abend, wenn er den Wagen mit den nicht zugestellten Paketen zurückbringt, verdient er nichts. Geld verdient Maier nur, wenn er ein Paket zustellt. Pro Paket bekommt er rund 50 Cent. Wenn niemand da ist, der sein Paket annimmt, bekommt er nichts.
Maiers Tage dauern von 7.30 Uhr bis 19.30 Uhr, und oft arbeitet er an sechs Tagen in der Woche. Was soll ich denn machen, fragt sein Chef, ich habe niemand anderen, du musst kommen.
Wenn es gut läuft, bekommt Maier am Ende des Monats 1.500 Euro auf sein Konto überwiesen.
Wenn es schlecht läuft, bekommt Maier am Ende des Monats 1.000 Euro auf sein Konto überwiesen.
Ob es gut oder schlecht läuft, hängt nur davon ab, wie viele Pakete Maier zustellen kann.
Kommentare
Das Weihnachtsanliegen!
Advent und Weihnachten waren Ruhe und Besinnung, bis einer auf die Idee kam, dass Geschenke sein müssen !!
(zitiert von Unbekannt)
Weihnachtskrampf
!!
Kästner:
Morgen, Kinder, wird’s nichts geben!
Nur wer hat, kriegt noch geschenkt.
Mutter schenkte euch das Leben.
Das genügt, wenn man’s bedenkt.
Einmal kommt auch eure Zeit.
Morgen ist’s noch nicht soweit.
weiter: http://www.blogigo.de/kle...
noch eins von Tucholsky:
Nun senkt sich wieder auf die heim’schen Fluren
die Weihenacht! die Weihenacht!
Was die Mamas bepackt nach Hause fuhren,
wir kriegens jetzo freundlich dargebracht.
weiter: http://www.textlog.de/tuc...
und noch ein Lied vom Wiener Georg Kreissler:
https://www.youtube.com/w...
Was soll uns dieser Artikel sagen?
Dass es langweilige Arbeit gibt? Ja! Dass es schlecht bezahlte Arbeit gibt? Ja klar. Dass es unmoralisch ist, bei Zalando und Amazon zu bestellen? Dass es eigentlich ok ist, wenn man Kunden diszipliniert weil dies vor allem heftig arbeitende Tussen sind, denen das Geld aus den Ohren kommt?
Vielleicht mal einige weitere Gedanken dazu: das Paketzustellen ist nicht langweiliger und unmenschlicher als andere Tätigkeiten. Es würde auch nicht anders, wenn man z.B. 15 Euro die Stunde bezalen würde. Es würde lediglich anders, wenn man tatsächlich Kunden disziplinieren würde, in dem sie z.B. ihre Pakete nur noch in einem Shop oder einer Filiale abholen könnten. Aber dann hätte der Paketzusteller keinen Job mehr. Schon mal darüber nachgedacht, Herr Maier? Und sich von unfreundlichen Kunden tagtäglich das eine oder andere Unfreundliche anzuhören, gehört zum Job. Das erinnert mich an einen Artikel vor einiger Zeit, in dem sich FlugbegleiterInnen beschwerten über den ganzen Druck durch unfreundliche Fluggäste. Wahrscheinlich könnte man jeden dienstleistungsorientierten Beruf rauspicken zum Kunden-Bashing. Nur: wie sähe denn die Welt dann aus? In etwa so wie zu Zeiten der DDR, wo man sich freuen durfte, in einem Lokal bedient zu werden.
Also dem wackeren und aggressiven Paketzusteller sei gesagt: dann bilden sie sich fort, lernen was und machen eine Job, der Ihnen zusagt. Aber eines können sie mir glauben: den Kunden werden sie nie los.
wie wär's mit der botschaft
dass man sich nichts! aber auch gar nichts abbricht, wenn man freundlich ist zu seinen mitmenschen?!?
warum nicht dem paketzusteller entgegen kommen?
warum nicht ne flache wein od trinkgeld geben?
warum nicht mit einem rentner aus dem haus vereinbaren, das paket entgegen zu nehmen und dazu einen zettel am klingelschild hinterlassen?
dann muss man selbst seinen paketen nicht hinterher laufen, der zusteller freut sich...und der rentner meist auch, weil jmd ihn wahrnimmt.
ja kunden können arschig sein, aber es liegt an jedem von uns dies zu ändern...einfach, weil wir kunden sind!
Hundefutter und Waschpulver ....
.... bekommt man doch an jeder Ecke. Vor allem in dem beschriebenen Zustellgebiet, gibt es da einen Diskounter, der höchstens 200 Meter entfernt ist.
Für Solche Packete sollte man noch eine Steuer von 5 Euro draufschlagen.
Menschen von der Größe des Hr. Meier sollte man nicht solche Jobs geben, das ist menschenverachtend.
Hatte mal eine Briefträgerin, die war so klein daß sie sich strecken mußte um an die oberen Briefkästen zu kommen.
Gibt es bei der Post keine Berufsgenossenschaft ?
Die gibt es sicher -
aber der Zusteller ist ja nicht bei der Post angestellt; also dürfte die Berufsgenossenschaft nicht zuständig sein.
Noch ein Nachtrag an die Autorin Frau Kunze: Begriff Ausbeutung
Sofern Sie in ihrer doch recht reisserisch aufgemachten Überschrift mit "Ausbeutung" die Bezahlung meinen: die angesprochenen Summen sind ungefähr der Mindestlohn. Sofern sie mit "Ausbeutung" den z.T. stupiden und repetetiven Charakter der Arbeit meinen: dann wäre es schön, wenn Sie nie mehr etwas per Post bestellen, nie mehr in Hotels nächtigen (Reinigungskräfte), nie mehr Ihr Apple Labtop benutzen (Foxconn), Ihre Klamotten mal kritisch überprüfen, ob diese nicht in Bangladesch zusammengenäht wurden, Abends nicht mehr Essen gehen (Servicepersonal), keinen Wein mehr trinken (die Traubenschlepper), aber auch keinen gedruckten Bücher mehr lesen (fragen sie mal jemanden, wie es in Druckereien zugeht).
Ausbeutung
man muß es scheinbar immer wieder sagen: Ausbeutung findet immer und überall statt, wo Meschen nicht für sich, sondern für andere, nicht zur Bedürfnisbefriedigung, sondern für Profit arbeiten!
"Ausbeutung heißt, dass die produktiven Arbeiter fremdes Eigentum schaffen und dieses Eigentum über fremde Arbeit kommandiert." K. Marx, Grundrisse
Alle Ausbeutungsverhältnisse sind gekennzeichnet durch den Ausschluss des Arbeiters vom Produkt. ...
Ausgebeutete Produzenten haben nicht mitzusprechen bei der Teilung des gesellschaftlichen Reichtums in Genussmittel der Nichtarbeiter und in Produktionsmittel. K. Marx, Kapital I,
Wenn das Produkt der Arbeit nicht dem Arbeiter gehört, ... so ist dies nur dadurch möglich, dass es einem anderen Menschen außer dem Arbeiter gehört. Wenn seine Tätigkeit ihm Qual ist, so muss sie einem anderen Genuss ... Lebensfreude ... sein. K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte