Vom Rheinland nach Ostberlin
Der Kabarettist und Liedermacher Rainald Grebe, 43, absolvierte seinen Zivildienst in einer Bielefelder Psychiatrie, ehe er kurz nach dem Mauerfall in den Ostteil Berlins zog.
In Freyburg an der Unstrut hatte Rainald Grebe mal schweren Ärger. Er gastierte da vor Ostrentnern. Als Grebe mit seinem Thüringen-Lied begann, schwappte stille Empörung hoch. Schließlich macht er sich darin über eine der erfolgreichsten Leichtathletinnen der DDR lustig. Die blonde Weitsprung-Olympiasiegerin Heike Drechsler, sang Grebe, "könnte auch aus Weißrussland sein". Und Goethe, heißt es despektierlich, sei "extra aus’m Westen hergezogen", obwohl die Thüringer den Dichter als den Ihren begreifen. Das Publikum fühlte sich verhohnepipelt.
Unmut gab es auch im Saal eines Dorfes bei Guben. Dort versuchte Grebe, sein beinahe schon legendäres Brandenburg-Lied unters Volk zu bringen, darin heißt es: "In Brandenburg, in Brandenburg ist wieder jemand gegen einen Baum gegurkt! / Was soll man auch machen mit 17, 18 in Brandenburg?"
Rainald Grebe stammt aus Frechen bei Köln, aus Nordrhein-Westfalen also. Das Paradox besteht darin, dass er im Osten zwar nicht immer verstanden wird, diesen Osten selbst aber besser versteht als viele andere aus dem anderen Landesteil. Denn Grebe ist in den Osten regelrecht geflohen. Man muss sich dieses Frechen bei Köln nämlich als einen recht spießigen Ort vorstellen; zumindest für einen Menschen, der sich anschickt, Künstler zu werden. Seine Eltern, sagt Grebe, zählten zur typisch westdeutschen Nachkriegsgeneration. Er fühlte sich wie in einer "Trutzburg", umgeben von "Besitzstandswahrern". Er sagt: "Es war alles da, nur das Wichtigste fehlte: das Leben. Es war die Not der Notlosigkeit."
Er wollte weg, weit weg. Grebe, gerade 18 geworden, suchte etwas, was ganz anders war als das bürgerliche Milieu, das er verabscheute. Und was wäre da passender gewesen als die untergehende DDR, in der gerade so etwas wie Anarchie ausbrach?
Grebe trampte durch den Osten und erlebte in Magdeburg die ersten Durchmischungen von real existierendem So- zialismus und Kapitalismus. Einen leuchtenden ec-Automaten und eine große Werbung für Elephant-Bier inmitten einer grauen Stadtlandschaft. "Das war so ein Schockmoment", sagt er. Nicht wegen der grauen Stadtlandschaft, sondern wegen des ec-Automaten und der Bier-Werbung. Leipzig und Weimar samt Buchenwald folgten. Wie Bolle amüsiert sich Grebe noch immer über einen schwulen Hessen mit Hawaii-Hemd und Wohnwagen, der ständig ausrief: "Da muss doch Leben rein!" Grebe selbst zog nach Berlin-Mitte, wo es seinerzeit noch wild zuging. "Ich wollte den Osten kennenlernen. Das war das Rockigste, was dieses Land zu bieten hatte. Ohne Ämter, ohne Polizei, ohne Gema. Dieses Aufgerissene passte mir ins Leben rein." Er begann an der Schauspielschule Ernst Busch in Berlin und schloss als diplomierter Puppenspieler ab. 1999 ging er mit einer Gruppe von Kollegen ans Theaterhaus Jena und blieb bis 2004 als Schauspieler, Regisseur, Dramaturg. Ihn beschlich das Gefühl "absoluter Freiheit".
Grebe ist nun überwiegend als Solist unterwegs, zuletzt vor allem mit der deutsch-deutschen "Kapelle der Versöhnung". Die Kritiker überschlagen sich, rühmen ihn als einzigen deutsch-deutschen Entertainer. Die Säle sind voll.
Seine Thüringen- und Brandenburg-Lieder sind, wenn man so will, eine Symbiose. Hier guckt in Wahrheit nicht der arrogante Metropolenbewohner auf abdriftende Ostlandstriche, im Gegenteil: Der Hauptstädter schaut mit heimlicher Zuneigung auf jene Art Provinz zurück, aus der er selber stammt. Er macht das Kleine stark gegen das Große, indem er es ernst nimmt, hämisch wie mitfühlend. Rainald Grebe jedenfalls sagt, es seien "Wiedervereinigungslieder". Womöglich sind es aber auch Liebeslieder. Selbst wenn das in Freyburg an der Unstrut damals keiner so richtig verstanden hat.
Von Heidelberg nach Leipzig
Peter Krakow, 72, kam nach dem Mauerfall nach Sachsen und wurde Vorstandschef der Sparkasse in Leipzig. Dort lernte er seine heutige Frau Ilona, 64, eine Floristin, kennen.
Wenn Peter Krakow seine Liebste ein bisschen aufziehen will, und das kommt häufiger vor, dann sagt er: "Na, meine kleine Ostmaus, wie geht’s uns denn heute?" Ilona Krakow, genannt Loni, stichelt auch manchmal zurück. "Wenn ich mal Dinge nicht kapiere, dann sage ich: Peter, ich komme nun mal aus der DDR." Ilona Krakow stellt sich in diesen Momenten ein bisschen dumm, natürlich ohne es zu sein. Sie kokettiert.
Ilona und Peter Krakow lieben sich seit mehr als 20 Jahren. Dabei ist das nicht nur deshalb eine Rarität, weil sie aus dem Osten kommt und er aus dem Westen. Es ist auch so, dass der Pensionär mal Vorstandschef der Sparkasse Leipzig war mit jetzt rund 1.900 Mitarbeitern und einer Bilanzsumme von neun Milliarden Euro, während sie ein kleines, aber feines Blumengeschäft mit sechs Angestellten führt, das sich "Werkstatt für florale Objekte" nennt. Sparkassen-Chef heiratet Blumen-Mädel, titelte die lokale Zeitung, als die beiden sich das Jawort gaben.
Ost-West-Paare gab es schon vor dem Mauerfall. Allein zwischen 1984 und 1988 wurden "6.160 Anträge auf Eheschließung zwischen Bürgern der DDR und Bürgern der BRD abschließend bearbeitet". So steht es in den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit. 4.510 Paaren wurde die Hochzeit erlaubt.
Kommentare
Die Zeit und die ostdeutsche Geografie - Nachholbedarf
Vielleicht hat sich der Unmut beim Publikum in Freyburg an der Unstrut auch geregt, weil Freyburg nicht in Thüringen liegt...
Die Henri-Nannen-Schule scheint auch nicht mehr das, was sie einmal war.
Nicht so ernst nehmen!
Wer kennt sich schon in den,für einige immer noch,nagelneuen Bundesländern aus. Grade Sachsen-Anhalt kennt doch kein Mensch! Thüringen haben die meisten wenigstens schon mal gehört. ;-)
"Wessis", die im Osten leben, scheinen ja etwas besonderes, wenn nicht sogar exotisches zu sein. Sonst würde man ja nicht über sie berichten.
'Das Wichtigste fehlte: das Leben!'
Ich kann Herrn Grebe nur zu gut verstehen.
Ich bin Mitte der 90er aus der Region Aachen beruflich nach Dresden umgezogen, und wurde vom Freundes- und Familienkreis immer wieder verständnislos gefragt "Gibt's denn hier keine Jobs für dich? Warum in den Osten? Warum Dresden?" Ja, warum? Weil ich über den Tellerrand blicken wollte, und ich dieses gelangweilte Couch-Potatoe-Wohlstandsbewahrer-Dasein satt hatte! Rückblickend war es die beste Entscheidung meines Lebens, denn die gemachten Erfahrungen haben mich für immer verändert, und ich kann nur den Kopf schütteln wenn ich heute aus dem Familienkreis gefragt werde "Wann kommst du denn jetzt wieder zurück?".
Wie glücklich sich der schätzen darf, der diesen Schritt tut!
Nach meinem Umzug aus dem gemütlichen Baden-Württemberg ins umbrüchige Dresden fiel mir eine ungeheuerliche Arroganz auf, die ich selbst in meiner Generation (unter 30-jährige) feststellen musste. "Bei uns ist es doch viel schöner, was willst du denn da?", "In den Osten? Echt jetzt?" usw.
Von der anderen, ostdeutschen Seite wird man gelegentlich - von ebenfalls Zugezogenen, wohlgemerkt - als Gentrifizierer betitelt, nur, weil der Ruf aus Berlin so allumfassend ist (und tierisch nervt!).
Doch wer ein Mal die Schönheit der Landschaft begriffen, die Freundlichkeit und Bodenständigkeit der Einwohner erlebt hat, muss wirtschaftlich bessere Perspektiven des Südens nicht als wichtigste Maxime begreifen. Welch ein Glück!
Sachsen-Anhalt
Ist nicht so einfach. Freyburg/Unstrut liegt in Sachsen-Anhalt, und die Menschen, die in Sachsen-Anhalt wohnen, sind nicht etwa welche, die Sachsen anhalten, sondern heißen Sachsen-Anhaltiner.
Wer lesen kann is klar im Vorteil
im Text steht nämlich nicht, dass die Unstruter sich verhonepipelt fühlten weil sie Thüringer sind sondern, weil in den Liedern Symbole Thüringens, die jeder kennt, verarscht werden. Brandenburg ist das Lieblingslied meines Freundes, der gebürtig aus Halle/ Saale kommt und sich aber so was von als Sachse versteht, dass er das Wort Anhaltiner für sich nicht kennt. Die Anhaltiner sind die Menschen um Magdeburg, die bezeichnen sich auch als solche. Also immer mal flach mit die Bälle.
Das Lied Brandenburg beziehe ich immer auch auf den Süden von Mecklenburg, wo die Jugendlichen auch über 50 km zum feiern fahren müssen und sich ab und an mal um nen Baum wickeln. Mit dem "Was solln wir auch anderes machen" bin ich aufgewachsen.
Und ehrlich, Rentner in den 90ern, egal aus Ost oder West. Ganz komische Spezies. Total festgefahren und eingerostet. Die haben noch nie Humor gehabt.
Rainald Grebe
So mal als Beispiel:
http://www.youtube.com/wa...