DIE ZEIT: Herr Stock, Sie haben mit deutlichen Worten davor gewarnt, Bürger bei der Forschungsplanung zu beteiligen. Normale Bürger! Was befürchten Sie von denen?
Günter Stock: Meine Sorge ist, dass gesellschaftliche Einzelinteressen die Grundlagenforschung schwächen könnten und damit den Humus der Wissenschaft. Wo nach ganz neuen Erkenntnissen gesucht wird, da muss die Freiheit kreativer Wissenschaftler besonders groß sein.
Uwe Schneidewind: Das unterschreibe ich, Herr Stock – aber Sie lenken ab! Uns geht es um angewandte Forschung und um die großen Rahmenprogramme in Berlin und Brüssel. Dahinein fließen fünf von sechs Euro der öffentlichen Forschungsförderung. Wie diese Milliarden ausgegeben werden, entscheiden immer die gleichen Netzwerke aus Wissenschaft, Politik und Industrie im engen Schulterschluss. Die Zivilgesellschaft aber redet nirgendwo mit ...
ZEIT: Deshalb drängt jetzt Ihr Netzwerk "Nachhaltige Wissenschaft" gemeinsam mit einer Plattform von Umwelt- und Entwicklungshilfeverbänden auf eine "demokratische Forschungswende"?
Schneidewind: Ja. Und wenn wir Beteiligung fordern, dann kommt Herr Stock mit dem Totalitarismus-Vorwurf!
ZEIT: Dieser Satz hat provoziert, Herr Stock: "Im 20. Jahrhundert haben wir in Deutschland zweimal auf bittere Weise erfahren, was es bedeutet, wenn Forschung und Wissenschaft ausschließlich in den Dienst sogenannter gesellschaftlicher Interessen gestellt werden." Kann man den Wunsch nach Beteiligung von Umweltschützern oder kirchlich Engagierten mit der Gängelung durch Nazis und DDR-Ideologen gleichsetzen?
Stock: Ich ziehe keinen direkten Vergleich. Ich erinnere lediglich an Erfahrungen, die wir in Deutschland gemacht haben. Die Nazis vertrieben innerhalb von nur zehn Jahren die wichtigsten Leute aus einer faszinierenden Wissenschaftslandschaft, die über Jahrhunderte gewachsen war. Es dauerte bis weit in die siebziger Jahre, bis deutsche Forscher wieder an der Weltspitze mitarbeiten konnten. Auch die Akademie der Wissenschaften in der DDR hat Inhalte bis ins Detail kontrolliert.
ZEIT: Heute leben wir in einer Demokratie.
Stock: Das hat niemand bestritten. Aber wir müssen auch heute sehr genau darauf achten, dass Innovation ein sensibler Prozess ist und wissenschaftliche Durchbrüche sich von niemandem herbeibefehlen, herbeiwünschen oder organisieren lassen. So wäre zum Beispiel unsere Informationsgesellschaft nie entstanden, hätte ein demokratischer Entscheidungsprozess sie beschließen sollen. Wir brauchen die Forschungsfreiheit außerdem, damit vermeintliche Wahrheiten – Dogmen – gestürzt werden können, wie zuletzt in der Stammzellenforschung. Diese haben wir in Deutschland aus ethischen Gründen früh verboten. Auswege aus dem Dilemma haben dann kreative Kollegen im Ausland gefunden.
Schneidewind: Herr Stock, Sie versuchen, ein legitimes Interesse im Keim zu ersticken: die praxisnahe Wissenschaft vielstimmiger zu steuern. Schließlich stehen wir vor der riesigen Herausforderung, eine nachhaltige Gesellschaft zu schaffen.
ZEIT: Wo sehen Sie da Defizite, Herr Schneidewind?
Schneidewind: Bei der Energiewende konzentriert sich fast alles auf Technologieforschung. Nur ein, zwei Prozent der Ausgaben fließen in gesellschafts- oder wirtschaftswissenschaftliche Forschungsprojekte. Dabei wissen wir zu wenig darüber, wie wir Technologien ökonomisch vorantreiben und die Bürger zur Mitwirkung gewinnen können. Beim Verkehr investiert die Bundesregierung 500 Millionen Euro in die Elektromobilität. Aber es fehlen neue Konzepte für Mobilität und Stadtplanung. Diese Schieflagen gäbe es nicht, hätte die Zivilgesellschaft mitgeplant.
ZEIT: Müssen dafür aber unbedingt Kirchenvertreter oder Leute vom Naturschutzbund Nabu in einem Beirat des Bundesforschungsministeriums (BMBF) sitzen oder im Senat der DFG, der Deutschen Forschungsgemeinschaft?
Schneidewind: Die Industrie sitzt ja auch drin! Warum haben die Forschungsmanager vor deren Einfluss keine Angst?
Stock: Sie wissen selbst: Fast 70 Prozent der gesamten Forschung spielt sich in den Laboren der Industrie ab. Da sollte man sich schon darüber austauschen, woran zum Beispiel die Auto- oder Pharmaindustrie gerade arbeitet – auch um Kooperationen zu ermöglichen.
Schneidewind: Umso wichtiger sind andere Perspektiven dort, wo wir öffentliches Geld ausgeben. Aber wenn Landesregierungen wie in Nordrhein-Westfalen jetzt Vertreter der Zivilgesellschaft in die Gremien aufnehmen wollen, dann lehnen Sie das als politische Steuerung der Wissenschaft ab!
Günter Stock hielt jüngst eine scharfe Rede: Als Verbände an der Forschungsplanung beteiligt werden wollten, verglich er das mit der totalitären Gängelung der Wissenschaft zur Nazi-Zeit und in der DDR. Stock ist Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.
Uwe Schneidewind fühlt sich durch Günter Stocks Rede provoziert. Der Wirtschaftswissenschaftler streitet in mehreren Netz werken für mehr Demokratie in der Forschung. Sie soll dazu beitragen, dass die Gesellschaft nachhaltiger wird. Schneidewind machte sich als Präsident der Universität Oldenburg einen Namen als Hochschulrefomer.
Kommentare
"Normale Bürger"?
Unter normalen Bürgern verstehe ich etwas anderes. Die heutige Forschung, besonders in Disziplinen, in denen die Worthülse "Nachhaltig" überproportional auftaucht, ist von seinesgleichen bereits heutzutage in ungeheuerlicher Weise durchsetzt.
Die Wissenschaft verliert durch Interessenvertreter seines Schlages die Fähigkeit zur objektiven Unbefangenheit...von wissenschaftlicher, ergebnisoffener Forschung kann da schon lange nicht mehr geredet werden...;(
Gutes Interview!
Die Position von Herr Stock, der sich stark auf die Wissenschaftsfreiheit beruft, wäre für mich allerdings sehr viel überzeugender, wenn DFG, BMBF und EU die Drittmittel einfach nur nach der Größe vermuteten Erkenntnisgewinn vergeben würden. Tatsächlich erfolgt aber eine bewusste Steuerung der Themen, die gefördert werden.
Auch ansonsten scheint mir Herr Stock eine extrem idealisierte Vorstellung des Wissenschaftsbetriebs zu vertreten. Selbstverständlich sollten ein Wissenschaftler kritisch sind, dieses Ideal bedeutet doch aber selbstverständlich nicht das auch jeder Wissenschaftler tatsächlich kritisch sind. Es sollte auch kein Mensch einen anderen umbringen, dennoch gibt es diverse Mörder. Kritisch sollte man also, egal ob selbst Wissenschaftler oder nicht, auch dem Wissenschaftsbetrieb selbst gegenüber sein. Dafür kann es durchaus helfen, wenn der Wissenschaftsbetrieb auch von Externen mit kontrolliert wird.
Problematisch ist aber natürlich der mangelnde Sachverstand. Während Laien natürlich helfen können, die grundsätzlichen Förderschwerpunkte mitzubestimmen, sind sie aber kaum in der Lage festzustellen, ob ein Vorschlag überhaupt realistisch umsetzbar ist und ob er den aktuellen Wissenstand vergrößern könnte oder nur Bekanntes zum x-mal wiederholt.
Die merkwürdigen Ansichten eines Herrn Stock
Ich schreibe es nur ungern, aber: Obwohl die deutsche Wissenschaftslandschaft durch die Nazis einen sehr großen Aderlass erdulden mußte, viele Emigranten haben dann für die USA an der Atombombe geforscht, gab es im Dritten Reich sehr viele Erfindungen, die unsere Gesellschaft nachhaltig verändert haben: Computer, Raketen, Düsentriebwerke und Fallschirm, um nur mal eine Auswahl aufzuführen.
Durch die Nähe zur Wirtschaft und deren unsäglichen Drittmittel wird unser Wissenschaftsstandort seit längerem korrumpiert und fällt daher immer weiter zurück. Eine notwendige, kritische Auseinandersetzung unterbleibt, weil Sponsoren ihre Gelder zurückziehen könnten. Das geht sogar quer über Fachbereiche. Die Drittmittel aus der Wirtschaft gehen kaum in die Grundlagenforschung, sondern machen Uni und Hochschule zur verlängerten Werkbank der Konzerne. Statt ihre Forschungsabteilungen auszubauen, subventionieren wir mit unseren Steuergeldern die Konzerne.
Bei den Forschungsvorhaben haben sich leider auch Zirkel herausgebildet, die sich gegenseitig empfehlen und damit die knappen Forschungsgelder unter sich aufteilen. Mit Freiheit der Forschung hat das nicht mehr viel zu tun, dafür aber mit Seilschaften.
Warum sollte nicht auch die Gesellschaft über die Forschungsrichtungen mitentscheiden können? Letztendlich sollte der Souverain, also das Volk das letzte Wort haben.
DIe Lobbyverbände reden eh schon mit
Wenn wirtschaftliche Interessengruppen öffentliche Universitäten einspannen dürfen, dann darf die Gesellschaft auch mitreden. Es läuft viel zu viel an den Unis, das den gesellschaftlichen Konsens nicht hätte. Indect ist so ein Beispiel.
http://de.wikipedia.org/w...
Rückkehr ins geozentrische Weltbild?
Herr Schneidewind scheint das Rad der Geschichte zurückdrehen zu wollen. Nach Galileis Verurteilung setzte sich das heliozentrische Weltbild durch...dies war nur möglich durch die Trennung kirchlicher Interessen von der Wissenschaft. Die Behauptung, dass heutzutage kein Mitspracherecht besteht ist schlicht unglaublich;))) Ich erinnere nur den metaphysisch angehauchten "Beirat" zum Ausstieg aus der Atomkraft...von "Wissenschaft" keine Spur...
@ 4:
Nach Galileis Verurteilung setzte sich das heliozentrische Weltbild durch...dies war nur möglich durch die Trennung kirchlicher Interessen von der Wissenschaft.
Sie täuschen sich. Damit sich das heliozentrische Weltbild durchsetzen konnte, war es vor allem nötig, bessere Voraussagen zu liefern, als die bisherigen Modelle. Zur Zeit Galileis gab es aber sehr ausgeklügelte geozentrische Modelle, die genauer als die Vorausagen von Galilei waren. Denn Galilei hatte zwar Recht was die Position der Sonne betraf, ging aber fälschlicherweise davon aus, das sich die Planeten in Kreisbahnen um die Sonne bewegen, während die tatsächlichen Bahnen Ellipsen sind. Durchgesetzt hat sich das heliozentrische Weltbild als Kepler mit ihm auch genauere Voraussagen liefern konnte als die bisherigen Modelle.
Dazu kommt: Die Vorbehalte gegen Galilei waren zum Teil einfach auf Galileis undiplomatischen Still zurückzuführen, seinen langjährigen Förderer öffentlich in einem Buch als Idioten zu bezeichnen ist halt nicht sonderlich clever, besonders wenn er gerade Papst geworden ist. Und: Galileis Theorien haben gegen den damaligen, von Aristoteles geprägten, Mainstream der Physik widersprochen.