Gesundheitsminister Hermann Gröhe gibt sich angesichts der Bedrohung durch Ebola ungerührt. "Durch das hervorragende Gesundheitssystem in Deutschland besteht für die Bürgerinnen und Bürger kein Anlass zur Sorge."
Das britische Gesundheitssystem probte unterdessen den Ernstfall. In verschiedenen Teilen des Landes simulierten Freiwillige die Symptome einer Ebola-Erkrankung, Rettungskräfte streiften Schutzanzüge über und rasten mit den Simulanten zum nächstgelegenen Krankenhaus. Jenseits des Atlantiks machte der amerikanische Präsident Barack Obama Ebola zur Chefsache. Er versprach 500 Millionen Dollar für Westafrika und ließ die Kontrollen an den heimischen Flughäfen noch einmal verschärfen, nachdem ein erkrankter Liberianer in Dallas zunächst von einem Krankenhaus zurückgewiesen worden war und später eine Krankenschwester mit dem hochgefährlichen Virus angesteckt hatte. Reagieren Briten und Amerikaner hysterisch und die für ihre German angst berüchtigten Deutschen besonnen? Das wäre ja mal was.
Das Personal an deutschen Krankenhäusern ist überlastet
Das Mantra der deutschen Gesundheitsbehörden und Politiker war bislang: "Unser Gesundheitssystem ist gegen das Virus gut gerüstet", "Mit Schutzkleidung und unseren ausreichenden Kapazitäten auf Isolierstationen lässt sich eine Ausbreitung des Virus verhindern" und ansonsten bitte "Keine Panik". Angesichts der aktuellen Entwicklungen in den USA und in Spanien gerät diese Ruhigstellung der Öffentlichkeit immer mehr zur Verharmlosung. Das offene Benennen möglicher Schwachstellen oder die Übungen in Großbritannien sind keine Panikmache, sie schärfen die Sinne.
Immer wieder hat sich das Ebola-Virus anders verhalten als erwartet. Früher galt die Regel, dass extrem tödliche Viren über den Ort des ersten Ausbruchs nicht hinauskommen. Westafrika belegt inzwischen das Gegenteil. Dann hieß es, schuld an der Verbreitung seien nur afrikanische (Un-)Sitten und Gebräuche wie die Waschung der Toten. Eine sehr kolonialistische Sichtweise, die das Problem mental auf sicherer Distanz hielt und auf eine afrikanische Angelegenheit reduzierte. Das eigene Gesundheitssystem sei bestens präpariert, meinte man auch in Spanien – und dann konnte eine infizierte Pflegehelferin noch tagelang andere Menschen in ihrer Umgebung gefährden. Fehler sind menschlich und können auch hierzulande passieren.
Was, wenn der erste Patient nicht gleich vom Flughafen aus seinen Weg in eines der 50 Isolierbetten findet, sondern in ein normales Krankenhaus oder in eine schlichte Hausarztpraxis? Das medizinische Personal an deutschen Krankenhäusern ist an vielen Orten überlastet. Darüber hinaus taten sich die Mediziner lange Zeit schwer damit, die Hygieneregeln einzuhalten, das förderte die Verbreitung antibiotikaresistenter Keime in deutschen Krankenhäusern. Die Erfahrung zeigt, dass Ärzte, Schwestern und Pfleger die angemessenen Prozeduren mitunter vergessen. Das Personal in normalen Krankenhäusern braucht jetzt Auffrischkurse im Umgang mit ansteckenden Patienten.
Eine mögliche Schwachstelle ist der Übergang von der ambulanten Krankenversorgung bei den Hausärzten hin zur stationären Behandlung. Viele deutsche Hausärzte bilden sich regelmäßig fort und werden sich vielleicht sogar schon auf den Fall vorbereitet haben, dass ein Patient mit entsprechender Vorgeschichte – Ankunft aus Westafrika oder Kontakt zu einem Ebola-Kranken – vor ihnen sitzt. Aber es gibt auch niedergelassene Ärzte, die nicht so aktiv sind. Ein Arzt verkennt die Lage, und der Patient gelangt unter Umständen erst mit Verzögerung in eine Spezialabteilung. In dieser Gemengelage ist es denkbar, dass sich das Virus eben doch in Deutschland verbreitet. Die Landesärztekammern müssen noch offensiver die niedergelassenen Ärzte informieren.
Auf dem Papier ist Deutschland gut gerüstet. Keinesfalls aber ist dadurch schon gesichert, dass in der Praxis alles reibungslos abläuft. Was geschieht eigentlich, wenn die 50 Betten auf den Isolierstationen voll belegt sind? Katastrophenschutz und Gesundheit sind Ländersache, und der neue Ebola-Beauftragte der Bundesregierung, Walter Lindner, koordiniert zurzeit vor allem die Hilfe für Westafrika. Wäre es angesichts der vielen Unwägbarkeiten nicht nützlich und richtig, den neuen Beauftragten gleich die innerdeutsche Virusabwehr koordinieren zu lassen?
Der Gegner ist unsichtbar, beweglich und unberechenbar. Die Annahme ist, dass ein Mensch erst ansteckend ist, wenn er Symptome zeigt. Bisher hat sich diese Regel bestätigt. Aber so innig wie bisher vermutet muss der Kontakt mit den Kranken für eine Infektion offenbar nicht sein. Die spanische Pflegehelferin soll sich beim Ausziehen des Schutzanzuges lediglich einen kontaminierten Arbeitshandschuh durch das Gesicht gewischt haben. Hierzulande wäre das kein Problem, versichern deutsche Experten, bei uns werde der Anzug desinfiziert, bevor er ausgezogen wird.
Immer wieder geschieht etwas, was eigentlich nicht hätte vorkommen dürfen. Für Gesundheits-Chauvinismus gibt es jedenfalls keinen Grund. Im Umgang mit dem Ebola-Virus ist etwas weniger Hochmut und etwas mehr Demut angebracht – damit der Erreger sich nicht wie in Westafrika ungehindert verbreiten kann.
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Kommentare
Ebola, Irrationalität und "gefühlte Angst"
O-Ton auf dem Bahnsteig, kurz nach einem Anschlag (Madrid, London?):
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Pers.1: Es ist ein sehr unsicheres Gefühl, jetzt mit der Bahn zu fahren!
Pers.2: Ja, wir wollen auch so weit wie möglich auf das Auto umsteigen, das ist viel sicherer!
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Die o.a. Sätze widersprechen jeglicher Statistik, wurden aber wohl sehr ERNST gemeint. . Genau das trift auch nMn. für Ebola zu.
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Die Wahrscheinlichkeit sich HIER zu infizieren ist um POTENZEN kleiner als, MRSA, Autounfall, schwere Infektion...... im Alltag, aber zw. RATIO und empfundener Angst können wir Menschen nur sehr schwer umschalten, unterscheiden.
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DAS gleiches Phänomen finden sich im Bereich "Schwerkriminalität", Kindesmissbrauch, Bedrohungsgefühl, Unsicherheit im Städten,Nachts.... usw. gefühlt massiver Anstieg, die Zahlen, die Kriminalstatistik sagen genau das Gegenteil aus.
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Der Mensch, das einzige Wesen auf diesem Planeten das rational DENKEN kann?
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So ganz sicher bin ich mir da nicht!
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Meint Sikasuu
Natürlich haben sie statistisch gesehen recht...
Wenn ich den Spieß jetzt umdrehe, ist es wahrscheinlicher von einer Kuh totgetreten als von einem Hai gefressen zu werden.
Ist es deshalb jetzt sicherer mich mit 3 Bullenhaien im Becken zu tümmeln, als mich auf eine Weide zu setzen?
Problematisch ist in Deutschland meines Erachtens nach die Arroganz mit der man ein hochgefährliches Virus behandelt.
Völlig überzogene Hype
Für eine regionale Epidemie, wie sie fast jedes Jahr in Westafrika auftritt, ist es eine bemerkenswerte Hype, die auch hier erzeugt wird. Wikipedia: "Ebolafieber".
Warum? Der eigentliche Hintergrund scheint mir politische Angstmacherei zu sein, um von anderen Themen abzulenken. Zum Beispiel von dem Versagen der Systeme im Westen und dem ökonomischen Niedergang.
R.I.P.
"Für eine regionale Epidemie, wie sie fast jedes Jahr in Westafrika auftritt, ist es eine bemerkenswerte Hype, die auch hier erzeugt wird."
In Westafrika gab es Ebola bisher überhaupt nicht. Soviel zur Substanz Ihres Kommentars.
Widersprüchlich ...
... wäre es in meinen Augen, wenn man einerseits die Risiken von Ebola betonte, gleichzeitig aber Hilfe für Infizierte anböte und so die Risiken gleichsam "importierte". Als Verantwortliche muss man sich da wohl entscheiden.
Kein Widerspruch!
Sie meinen:
" Widersprüchlich ...
... wäre es in meinen Augen, wenn man einerseits die Risiken von Ebola betonte, gleichzeitig aber Hilfe für Infizierte anböte und so die Risiken gleichsam "importierte". Als Verantwortliche muss man sich da wohl entscheiden."
Infizierte unter kontrollierten Bedingungen (Spezialflugzeug, durchgehende Quarantäne usw.) zur Behandlung aufzunehmen stellt ein eher geringes Risiko dar verglichen damit, Menschen einreisen, die nicht wissen, dass sie infiziert sind (und entsprechend viel Kontakt mit Anderen haben).
Außerdem kann so Erfahrung im Umgang mit der Krankheit in Isolierstationen gesammelt werden.
Und vor allem:
Wenn es Hilfe für Infizierte gibt, steigt die Motivation, dass sich Leute melden, die den Verdacht haben, infiziert zu sein. Und diese Hilfe gibt es um so eher, als dass Helfer damit rechnen können, im Ernstfall in ihrem Heimatland versorgt zu werden.
Stellen Sie sich mal vor, Sie fühlen sich krank und befürchten, dass es Ebola sein könnte. Sie würden die Symptome wahrscheinlich verstecken (und andere gefährden), wenn Sie befürchten müssten, unter miesen Umständen in ein Lager gepfercht zu werden, wo Sie dann GARANTIERT Ebola bekommen, wenn Sie es noch nicht haben.
Auch deshalb (neben humanitären Gründen) ist Hilfe wichtig: Wenn sich die Leute vom Gesundheitssystem keine Hilfe versprechen, ist der Kampf um das Isolieren von Infizierten schon verloren.
Unsinniges Kolonialismus-Argument
> Dann hieß es, schuld an der Verbreitung seien nur
> afrikanische (Un-)Sitten und Gebräuche wie die
> Waschung der Toten. Eine sehr kolonialistische
> Sichtweise, die das Problem mental auf sicherer
> Distanz hielt und auf eine afrikanische Angelegenheit
> reduzierte.
Das ist doch Unsinn. Niemand hat diese Sitten als "Unsitten" gewertet, sondern es ist eine nüchterne Betrachtung, dass der persönliche direkte Kontakt mit den Toten die Verbreitung befördert. Niemals wurde das als alleinige Ursache ausgemacht.
Viel mehr spielt die Lokalisation des Ausbruchs in Ballungszentren eine Rolle und die in West-Afrika anders als in Zentralafrika, fehlende Erfahrung mit der Seuche.
Schließlich darf vielleicht noch angemerkt sein, ohne als Kulturchauvinist zu gelten, dass der niedrige Bildungsstandard vor Ort mit dazu führt, dass medizinische Helfer als Schuldige gesehen werden.
Und, nennen Sie mich verrückt, es wird im Westen wohl nicht so schnell passieren, dass man Helfer aus Unwissenheit lyncht. Das ist der Eindämmung der Seuche nämlich auch nicht förderlich.
Nachtrag
Ich finde es auch erschreckend, wie ein Mediziner hier so wesentliche Schwachstellen in der Versorgung in West-Afrika einfach mal so ausblendet. Da mussten Einweg-Schutztextilien gewaschen werden, weil man keinen Ersatz hatte! Das ist erstens nicht sonderlich gut zur Eindämmung und zweitens etwas was in Deutschland so nicht passieren wird.
Oder ist das jetzt auch postkolonialistische Überheblichkeit festzustellen, dass wir es viel besser haben als die Leute in West-Afrika?