Die Früchte, die dem Ackerbauern Kojo Ebeneku das Überleben sichern, verstecken sich unter kniehohem Gras. Barfuß stapft Kojo auf die spröden Furchen, Termiten krabbeln über seine Zehen, die rotbraune Erde knirscht. Er streicht das Gras beiseite, bückt sich und pflückt. Tomate für Tomate, Tag für Tag.
Kojo Ebeneku pflückt an gegen die Raupen, die seine Pflanzen fressen. Er pflückt an gegen die Preise, die fallen. Gegen die Bauern aus Europa, die auf riesigen Flächen subventionierte Tomaten pflanzen und sie in die Welt verschiffen. Er pflückt an gegen die Europäische Union, die diese Subventionen verteilt.
Der Bauer Ebeneku, 45 Jahre alt, ein drahtiger Mann mit drecksteifen Hosen, pflückt Tomaten seit seinem zehnten Lebensjahr. Er hat gelernt, wie man aus den dicksten und schönsten Früchten die Kerne pult und daraus Saatgut macht. Wie man mit der Machete blitzschnell Löcher in den Acker sticht und die Samen darin vergräbt. Wie man die Pflanzen düngt und gießt. Was er nicht gelernt hat: wie man ein Buch liest, wie man Wörter schreibt, wie man rechnet.
Heute wohnt er mit seiner Familie in einer runden Hütte aus Lehm, unter einem Dach aus Gras. Sein Dorf heißt Kualedor. Es liegt im Südosten Ghanas, dort, wo der afrikanische Kontinent sich nach Westen ausbeult. Ghana gilt als Vorzeigeland Westafrikas. Es gibt dort Frieden und freie Wahlen, das Bruttoinlandsprodukt wächst jährlich um vier Prozent und mehr. Viele Ghanaer träumen davon, dass aus dem Agrarland Ghana einmal ein Industrieland wird, mit Fabriken, die Arbeitsplätze und Wohlstand bringen. Doch bislang hat sich der Traum nicht erfüllt. Noch immer leben viele Ghanaer wie Kojo Ebeneku: als Bauern, deren Ernte gerade so zum Überleben reicht. Noch immer wollen viele vor allem eins: weg. Mehr als 170.000 Afrikaner sind im vergangenen Jahr nach Europa geflohen. 71.000 kamen aus Westafrika.
Langfristig, da sind sich Migrationsexperten einig, werden die meisten Flüchtlinge nicht aus dem Nahen Osten kommen. Viel mehr Menschen werden sich aus Afrika nach Europa aufmachen, um der Armut in ihrer Heimat zu entrinnen. Fast jeder in Kojo Ebenekus Dorf kennt jemanden, der geflohen ist: einen Cousin, einen Freund, eine Tante. Menschen, die auf Lastwagen gepfercht durch die Wüste fahren und in winzigen Schlauchbooten übers Meer. "Verzweifelte" nennt sie Ebeneku. Wirtschaftsflüchtlinge nennen sie die Staatschefs der Europäischen Union.
Die EU will nun "Fluchtursachen bekämpfen", sie will dafür sorgen, dass sich die Lebensbedingungen in den Heimatländern der Flüchtlinge verbessern.
Die Strategie klingt einleuchtend. Aber sie hat einen Haken: Die EU will nicht nur Hilfe nach Afrika schicken, sie will auch Handel mit Afrika treiben. Aber es ist ein Handel, der die Chancen von Bauern wie Kojo Ebeneku verschlechtert.
Warum die europäische Handelspolitik diesen Bauern schadet, versteht man, wenn man den Acker von Kojo Ebeneku verlässt und dem Weg der Tomaten folgt. Zu den Märkten und Straßenhändlern in Ghana, die keine heimischen Tomaten verkaufen, sondern Tomaten aus dem Ausland. Zu den riesigen Agrarkonzernen in Süditalien, die diese Tomaten produzieren und im großen Stil exportieren. Zu den Menschen, die diese Tomaten ernten. Am Ende wird man auf ghanaische Flüchtlinge treffen, die Tausende Kilometer weit gereist sind, die die Wüste durchquert und das Meer bezwungen haben, um in Europa genau dasselbe zu tun wie zu Hause: Tomaten zu pflücken. Dieselben Tomaten, die schließlich nach Afrika verschifft werden und dort die Preise drücken. Wollte die EU nicht alles besser machen?
Kommentare
"Wollte die EU nicht alles besser machen? "
WAS genau wollte die EU besser machen? BITTE antworten sie nicht mit Blick auf die idealistischen Gründungsvä#ter, sondern auf die in Brüssel sitzenden Beamten. WAS genau wollen die?
Ich wüsste es gerne.
"WAS genau wollen die?"
Z.B. sich die eigenen Taschen voll machen, die Demokratie untergraben und über so Sinnvolle Themen diskutieren wie die Dicke von Pizzaböden...
...interessanter Artikel, der mich aber pessimistisch stimmt, da ich nur noch Auswegslosigkeit sehe...
Oh es gibt einen Ausweg.
Schutzzölle für Entwicklungsländer und deren heimische Produkte.
Fertig.
Toller Artikel der immerwährende Ausbeutung der Afrikaner beleuchtet und erklärt wieso der Spruch ''Bleibt in eurem Land und baut es auf'' am Ende doch ziemlich obsolet ist.
"wieso der Spruch ''Bleibt in eurem Land und baut es auf'' am Ende doch ziemlich obsolet ist."
Das ist halt der Spruch, der sich vom gemütlichen Platz vor dem PC schön leicht sagen lässt.
Wo Lobby und Mafia zusammen treffen ist wohl nicht mehr zu erwarten.
Würde die deutsche Landwirtschaft heute noch so wie vor 100 Jahren produzieren, dann wären auch hier die Lebensmittel knapp und sehr teuer. So teuer, das die Armen sie sich kaum leisten könnten, damals lag der Prokopfverbrauch an Kartoffeln bei 300 KG im Jahr. Dahin möchte wohl kaum jemand ernsthaft zurück – und die Afrikaner wollen nicht auf diesem Stand eingefroren werden.
In Afrika ist es nicht anders, die „traditionelle Landwirtschaft“ erzeugt zu wenig und vor allem zu teuer. Wenn in Afrika trotz sehr günstiger klimatischen Bedingungen und sehr niedriger Löhne Geflügel nicht weit billiger als in D erzeugt werden kann, dann liegt der Fehler bei den afrikanischen Erzeugern bzw. bei den „beratenden Entwicklungshelfern“.
Mit modernen Produktionsmethoden ließen sich erstklassige Hähnchen günstiger als deutsche Geflügelreste anbieten. Damit wäre in Afrika sowohl den Erzeugern wie auch den Verbrauchern geholfen.