ZEIT Geld: Herr Akerlof, wann sind Sie das letzte Mal persönlich dazu verführt worden, etwas zu kaufen, das Sie eigentlich gar nicht wollten?
George Akerlof: Ich war zu Hause, da kam jemand mit Steaks vorbei. Die sollte er angeblich in der Nähe ausliefern, habe dort aber niemanden angetroffen. Ich kaufte die Steaks. Schon als ich die Tür schloss, schwante mir, dass ich ihm auf den Leim gegangen war. Nach dem ersten Bissen wusste ich es sicher.
ZEIT Geld: In Ihrem neuen Buch nennen Sie so etwas "Phishing". Ursprünglich beschreibt das Wort, wie Internet-Betrüger Nutzer in eine Falle locken, um Passwörter zu stehlen. Tricksen uns im echten Leben tatsächlich Menschen auf ähnliche Weise aus?
Akerlof: Phishing bedeutet im echten Leben, dass ich jemanden dazu bringe, etwas zu tun, was gut für mich ist – aber nicht gut für den anderen. Das passiert sehr oft. Auch mir.
ZEIT Geld: Der Deckel Ihres Buches zeigt ein biblisches Motiv: eine Schlange mit einem Apfel am Angelhaken. Das erinnert daran, dass schon Adam und Eva verführt wurden. Was wissen Ökonomen heute über Phishing?
Akerlof: Das Problem der Ökonomen ist, dass sie unterschätzen, wie oft es auf Märkten passiert. Sie glauben, dass effiziente Märkte uns geben, was wir wollen. Aber die geben uns eben auch das, was wir in unseren schwachen Momenten wollen. Und dieses Problem verändert das Leben vieler Menschen massiv.
ZEIT Geld: Können Sie das an einem Beispiel erklären?
Akerlof: Wir kaufen fast alle sehr oft impulsiv ein, ohne darüber nachzudenken. Viele Menschen lassen die Folgen ihres Konsums dann aber nicht mehr ruhig schlafen, weil sie die Rechnungen nicht bezahlen können. Wenn Leute Monat für Monat ihr ganzes Gehalt ausgeben, obwohl sie besser einen Teil sparen sollten, dann läuft etwas verkehrt.
ZEIT Geld: Der klassische Ökonom würde sagen: Die Leute können gut selbst entscheiden, ob sie ihr Geld ausgeben oder sparen! Was ist falsch daran?
Akerlof: Nehmen Sie ein anderes Beispiel: Wir essen viel zu viele Süßigkeiten, obwohl sie schlecht für uns sind. In den USA sind heute fast 70 Prozent der Menschen übergewichtig. Das führt zu großen Problemen im Alter.
ZEIT Geld: Und was hat das mit Phishing zu tun?
Akerlof: Was wir tun, hängt oft mit den Geschichten zusammen, die wir über uns erzählen. Und genau das könnten sich Regierungen zunutze machen. Sie könnten den Leuten also häufiger erzählen, dass zu viel essen uns krank macht. Beim Thema Rauchen ist in den USA genau das passiert. Und das hat wiederum die Anti-Raucher-Kampagnen gestärkt. So ist die Zahl der erwachsenen Raucher von 40 auf 18 Prozent gefallen.
ZEIT Geld: Sie behaupten, dass wir nicht nur beim Konsum verführt werden, sondern auch auf den Finanzmärkten. Was haben Sie beobachtet?
Akerlof: Die meisten Leute wissen nicht, wie sie ihr Geld richtig anlegen. Selbst Experten geben es für die falschen Anlageformen aus. Nur so lässt sich ein Teil der Ausschläge an den Börsen erklären. Alle kaufen plötzlich Aktien, manche nehmen dafür sogar Kredite auf. Wenn die Börse dann kracht, haben sie wirklich Probleme.
ZEIT Geld: Wir irren, wenn wir glauben, wir könnten unser Geld richtig anlegen?
Akerlof: Eine Privatperson kann nie wirklich wissen, was hinter einer Anlage steckt – solange nicht Aufsichtsbehörden dafür sorgen, dass umfassend informiert wird. Es ist also extrem wichtig, dass Geldanlagen vom Gesetzgeber streng reguliert und kontrolliert werden. In den USA passiert das viel zu wenig: Das Budget der Aufsichtsbehörde ist zu klein, um den Markt ausreichend zu überwachen.
ZEIT Geld: Die Finanzkrise hat doch gezeigt, welche Gefahren drohen. Hat das nicht zu Reformen geführt?
Akerlof: Ja. Aber diejenigen, die andere zu einer Geldanlage verführen wollen, haben immer wieder neue Ideen.
ZEIT Geld: Kann der Staat da mithalten?
Akerlof: Ganz wird er das Problem nie lösen – daher brauchen wir möglichst gute Aufsichtsbehörden. Und wir müssen andere Geschichten über uns, den Staat und die Märkte erzählen. Es gibt eben nicht nur die effizienten Märkte, die die Ersparnisse sinnvollen Investitionen zuführen und so für das ökonomisch beste Ergebnis sorgen. Es gibt auch den Wilden Westen, das Kasino.
ZEIT Geld: Und wenn Sie die negativen Effekte überschätzen?
Akerlof: Wir haben auf allen Märkten ähnliche Phänomene entdeckt. Experimente zeigen zum Beispiel: Wenn Leute mit Kreditkarte einkaufen gehen, geben sie mehr Geld aus, als wenn sie nur Bargeld dabeihaben. Das spricht doch sehr gegen die klassische ökonomische These eines rationalen Konsumenten.
ZEIT Geld: Liegt das an fehlendem ökonomischem Wissen?
Akerlof: Nein. An einem der Experimente nahmen sogar Studenten der Harvard Business School teil. Wer mit Kreditkarte zahlen durfte, bot für ein Ticket für ein Basketballspiel fast doppelt so viel wie die Barzahler – dabei sollten diese zukünftigen Wirtschaftsexperten doch rational mit ihrem Budget umgehen! Wir Menschen können einfach viel weniger stark kontrollieren, was wir kaufen, als wir es von uns denken. Auch die Leute an der Wall Street glauben, sie seien so smart und vorsichtig – aber im Boom kaufen sie viel zu viel.
ZEIT Geld: Ist Phishing eigentlich illegal?
Akerlof: Oh nein, das meiste ist völlig legal. Deswegen sollten die Leute ja auch besonders aufpassen.
Kommentare
Wenn mir jemand etwas anbietet, mit dem ICH Geld verdiene, werde ich hellhörig. Wenn es dann noch so ist, dass ich damit mehr verdienen soll als ein Kredit kostet, dann schrillen die Alarmglocken.
Warum? Wenn das so toll ist, dann kann der Empfehlende doch zu jeder Bank gehen und selber einen Kredit bekommen. Wozu braucht er dann mich?
Aber ich kann mich noch an Einladungen meiner Bank zu einem "persönlichen Gespräch" erinnern, die ich immer gerne wahrgenommen habe. Da wurde zunächst anscheinend privat gesprochen. "Wie geht es denn Ihrer Frau?".
Das habe ich dann immer bis zum Erbrechen auf der privaten Ebene gehalten. So lange, bis dem Berater der Kragen geplatzt ist. "Hier geht es doch um Ihre finanzielle Zukunft!". "Aha. Und da wollen Sie mir diese verbauen, indem Sie hier Provisionen abziehen und mir irgendwelchen Mist andrehen? Schreiben Sie mir, was Sie mir empfehlen und warum. Das lese ich dann und entscheide mich. Gruß an die Gattin, schönen Tag!"
Nur so kann man Phishing begegnen: Den Leuten die Zeit stehlen. Sich einfach mal den Mumpitz reinziehen und Fragen stellen. Nicht direkt auf Konfrontation gehen, sondern die Sache noch so aussehen lassen, dass man mitmachen könnte.
So mache ich es auch bei Telefonanrufen. "Ach. Moment. Ich mache gerade den Herd aus." Dann den Hörer weglegen und dann kann man nach einer halben Stunde beruhigt auflegen.
Sie tauschen trotzdem ihre private unbezahlte Zeit gegen die Zeit in der der andere zumindest sein Festgehalt verdient. Stichwort: Trick 17 mit Selbstüberlistung.
[Ich kaufte die Steaks.]
Ein Nobelpreisträger kauft Fleisch an der Haustür von einem Fremden. Realsatire!
Auch Nobelpreisträger sind nur Menschen mit Schwächen wie jeder andere.
Auch Nobelpreisträger können sich irren. Und dieser hier gibt Empfehlungen, die ich im Kern für völlig verfehlt halte.
Angst ist ein schlechter Ratgeber und bewußt anderen Angst machen nie eine besonders gute Idee. Das gilt für Geldanlagen genauso wie für Gesundheitswarnungen. Das Ergebnis sind nämlich keineswegs rationale, sondern angstgetriebene Entscheidungen, die immer ebenfalls irrationale Elemente enthalten. Wenn man den Leuten zum Beispiel pausenlos einhämmert, daß sie weniger essen müssen dann wird ein Teil von ihnen in die Magersucht abgleiten, ein anderer Teil wird den Gewichtsverlust auf andere Weise erreichen wollen, die problematisch sein kann (Bulimie, Operationen), ein weiterer Teil wird dank des berüchtigten Jojo-Effekts das Gegenteil dessen erreichen, was er erreichen wollte, und ein Teil wird von vornherein sagen "Das schaffe ich sowieso nicht" und sich mit noch mehr Essen trösten wollen.
Unter dem Strich ist der "gute Rat" dann für eine Mehrheit ein schlechter Rat gewesen. Aber Experten ficht das nicht an, sie erklären diese Mehrheit dann einfach für selber schuld.
Bei Geldanlagen gilt das natürlich auch.
Irrationales Verhalten muß einfach vorausgesetzt werden, und die Grenzen zwischen erlaubt und verboten beim Ausnutzen dieser Irrationalität müssen vom Gesetzgeber festgelegt werden. Ansonsten muß ein Staat das irrationale Verhalten einfach aushalten und der einzelne muß ggf. mit den negativen Folgen seines Handelns leben.
Das kommt sicherlich bei Privatanlegern vor.
Aber bei den institutionellen Anlegern und den Spekulanten wird das eher selten sein und die bestimmen den Marktverlauf.
Hier zählt mehr die Fundamentalanalyse oder die technische Analyse.
Das Problem, wie bei jeder Analyse, ist hier jedoch, dass man die Analyseergebnisse in den richtigen Kontext setzen muss und dann die richtigen Schlüsse ziehen muss.
Daran versagen viele oder lassen sich von ihrem Bauch leiten (der aber oft auch richtig liegt).
Ein sehr gutes Interview. Vielen Dank ZON dafür.
Ich habe während meines Wirtschaftswissenschafts-Studium in den 1980er Jahren mehrfach in den Vorlesungen zur Volkswirtschaftslehre von Prof. Hickel von ebendemselben gehört, dass Aktien an den Börsen rein aufgrund von Bauchentscheidungen gehandelt werden und dass man diesen Bauchentscheidungen sehr sehr vorsichtig entgegnen sollte. Und dass diese nur selten mit dem wirklichen Wert eines Unternehmens übereinstimmen sondern eher im Sinne einer Self-Fulfilling-Prophecy wirken
Ich bin deshalb immer wieder erstaunt, wieviel Raum den Börsennachrichten bei den Nachrichtensendungen gegeben wird. Da wird etwas wichtig genommen, was es eigentlich nicht sein sollte.