Seit Tagen knallt die Sonne vom Himmel, sieben, acht Grad, viel zu warm für Dezember, doch Berni Huber fürchtet sich nicht vor zu wenig Schnee, sondern vor zu viel. Der Geschäftsführer des Skigebiets Grasgehren steht vor der Hauptkasse, nebenan stakst eine Anfängerin aus der Skischule, ein paar Meter weiter klammern sich Dreijährige an das Zugseil des Kinderlifts. Die meisten Berge in Bayern sind zu dieser Zeit noch grün, der Rest von Deutschland sowieso, aber hier, in einem Bergkessel auf 1.440 Metern, in dem es nichts gibt außer den fünf Liften und sechs Häusern des Skigebiets, sind die Hänge schon seit Wochen weiß. "Grasgehren ist ein Schneeloch", sagt Huber.
Die Wolken kommen meist aus Westen, vollgesogen überm Bodensee, stauen sie sich an der Gipfelkette der Allgäuer Alpen. Mehr Schnee fällt in Deutschland nur auf der Zugspitze, man nennt die Gegend auch Bayerisch Sibirien. Nicht schlecht für ein Skigebiet. Das Problem ist nur: Wenn es richtig schneit, kommt kaum jemand hier hoch. Die einzige Zufahrt, der Riedbergpass, ist so steil und kurvig, dass man bei Starkschnee leicht von der Straße rutscht. Letzten Winter, sagt Huber, hatten sie auf dem Pass an 23 Tagen Schneekettenpflicht, 16 davon in der Hauptsaison. An einem Drittel der besten Tage standen statt 1.500 oder 2.000 Besuchern nur 300 oder 400 an der Kasse.
Seit Langem schon schwebt Berni Huber die Lösung des Problems vor: eine Anbindung ans Skigebiet Balderschwang, das auch bei Starkschnee gut zu erreichen ist. Balderschwang liegt gleich hinter dem Riedberger Horn, der höchsten Erhebung der Gegend. Von Grasgehren, wo Berni Huber zur runden, unbewachsenen Kuppe des Berges hinaufblickt, führt schon ein Lift auf den Kamm unterhalb des Gipfels; würde man von der Balderschwanger Seite auch einen Lift zum Kamm bauen und vom Kamm aus eine neue Piste zurück zum Balderschwanger Parkplatz, dann könnte man von dort oben in beide Richtungen abfahren. Die Skigebiete wären verbunden. Es könnte so einfach sein für Berni Huber – wären da nicht ein paar Dutzend Hühner, eine 44 Jahre alte Karte und die Naturschützer, die sagen, dass Hubers Projekt die gesamten Bayerischen Alpen bedrohe.
"Rettet das Riedberger Horn" stand auf einem Plakat, das 120 Demonstranten im Oktober 2015 vor der bayerischen Staatskanzlei ausrollten, unter ihnen Vertreter der internationalen Alpenschutzkommission Cipra, des Deutschen Alpenvereins (DAV), des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND) und des Landesbunds für Vogelschutz in Bayern (LBV). Die eigentliche Botschaft war der zweite Teil des Schriftzugs: "Hände weg vom Alpenplan!"
Naturschützer befürchten einen Dammbruch
Der Alpenplan, 1972 erlassen, um die Neuerschließungen von Skigebieten einzudämmen, schreibt vor, wo in den Bayerischen Alpen Verkehrswege gebaut werden dürfen, also Straßen, Gleise, Wege, Pisten, Lifte. Und wo nicht. In der strengsten Kategorie des Raumplans, der Zone C, die 43 Prozent der Alpenfläche umfasst, meist höhere Lagen, ist, abgesehen von Forst- und Almwegen, jede Erschließung verboten. Der neue Lift verliefe in Zone C; mit seinem Bau würde zum ersten Mal in 44 Jahren eine Grenze des Alpenplans überschritten. Die Naturschützer befürchten einen Präzedenzfall, einen Dammbruch, der anderen alpinen Großprojekten in Zeiten der Schneeknappheit den Weg in geschützte Hochlagen bahnt.
Das Schlupfloch, das den Liftbau am Riedberger Horn ermöglichen könnte, existiert seit 2005, unter einem amtlichen Namen, der klingt, als fände jemand nach dem Après-Ski nicht zurück auf die richtige Piste: Zielabweichungsverfahren. Damit lassen sich Ausnahmeregelungen zu Raumplänen durchsetzen. Nach zehn Jahren Planung haben die Gemeinden Balderschwang und Obermaiselstein, zu der das Skigebiet Grasgehren gehört, das Verfahren im Frühjahr 2015 beantragt. So wurde das Riedberger Horn zum Politikum, das die CSU spaltet: Umweltministerin Ulrike Scharf ist strikt gegen die Pläne, Fraktionschef Thomas Kreuzer dafür. Heimatminister Markus Söder wird in der
Allgäuer Zeitung
mit den Worten zitiert: "Ob dieser Skilift die Alpen aus den Angeln hebt? Davon bin ich nicht überzeugt." Jetzt im Januar soll das bayerische Kabinett entscheiden.
Die Spuren winden sich bis zum letzten Busch
"Wenn das so weiter geht", sagt Berni Huber, "äußert sich auch noch der Papst zum Riedberger Horn." Huber, Ende 40, grau meliert, hat den Teint und den Schneid von einem, der sein Leben auf der Piste verbringt. Jahrelang fuhr er beim Ski-Weltcup, Kombination, Abfahrt, Super-G, 1992 startete er bei den Olympischen Spielen. Die Grasgehrener Hänge fährt er ab, seit er drei ist, schon sein Vater war hier Geschäftsführer. "Viele von denen, die jetzt alles besser wissen", sagt er, "waren noch nie hier."
Er läuft von der Hauptkasse rüber zur Hütte der Bergwacht und steigt auf einen Motorschlitten. Gestern, am Sonntag, bildeten sich noch Schlangen vor den Grasgehrener Liften, heute ist kaum etwas los auf den meist einfachen Pisten. Ein paar Familien wedeln die flachen Abfahrten auf der Ostseite des Kessels hinunter, auf der Westseite, unterhalb des Riedberger Horns, hüpfen Snowboarder über die Rampen eines Funparks. Huber kurvt seinen Motorschlitten eine Familienpiste im Westen hinauf, umfährt einige Waldinseln und parkt neben der Bergstation eines Schlepplifts nahe am Kamm des Berges.
Gleich hier an der Bergstation, sagt Huber, beginnt die Zone C. Er blickt hinauf zum Gipfel. "Zone C – da denkt doch jeder an unberührte Hänge." Dort oben aber winden sich die Spuren der Skitourengeher über die ganze Breite des Berges, bis zum letzten Busch. Das Riedberger Horn, so sieht es aus, ist längst erschlossen.
Kommentare
Aufgrund des Klimawandels wird der Abfahrtsskilauf in Deutschland wohl ein Auslaufmodel werden. Es wäre zu traurig, für die verbleibenden Jahre noch mehr Natur zu zerstören.
Nicht nur traurig, sondern ein Umweltverbrechen.
Hier handelt es sich nicht um eine Lebensnotwendigkeit, sondern um Freizeitvergnügen.
Es wird weltweit so viel zerstört, wir müssen endlich aufhören, um unseren Nachkommen wenigstens noch einen Rest zu bewahren.
Im Artikel klingt es in einem Halbsatz an: Ganz unbemerkt werden die Alpen bereits durch „Forst und Almwege“ zerstört. Wenn man viel in den Alpen unterwegs ist, wird man bemerken, daß man alleweil auf Straßen stößt, die noch in keiner Landkarte verzeichnet sind. Das sind schwerwiegende Wunden in Berghängen, da die Erosion nach und nach die ganzen Hänge oberhalb der Trassen ins Rutschen bringen kann.
Im Vergleich sind Lifte landschaftsschonende Verkehrsmittel, da dafür keine großen Erdbewegungen nötig sind, und Lifte einigermaßen rückstandsfrei auch wieder entfernt werden können.
Solange der Alpenplan nicht auch jedweden Straßenbau unterbindet, ist er leider nicht viel wert.
"...und Lifte einigermaßen rückstandsfrei auch wieder entfernt werden können."
Die Betonung liegt leider auf 'können'.
Da es nicht einfach ist, die tonnenschweren Betonfundamente wieder zu entfernen, geht der 'Broterwerb' in der Regel vor:
"Zurzeit ist ein Rückbau leider eher die Aus-
nahme. In Bayern ist der Abbau bisher nicht
vorgeschrieben. Die Behörden können anord-
nen, so eine Anlage zu beseitigen. Auch in der
Alpenkonvention, deren Protokolle Deutsch-
land unterzeichnet hat, ist der Rückbau nicht
zwingend vorgeschrieben. Nur wenn neue
Anlagen die alten ersetzen, müssen diese laut
Alpenkonvention abgebaut werden. Aber in
Deutschland sind diese Protokollvorschriften
noch nicht in nationale Rechtsverordnungen
umgesetzt worden.
Gesetzlich nicht vorgeschrieben, erfolgt der
Abbau daher meist nur, wenn sich ein Lift wie-
der verkaufen lässt. Der Abbau ist teuer und
erfordert viel Sachkenntnis, Zeit-, Material und
Arbeitsaufwand. "
https://www.mountainwilde...
Wird uns nicht seit ca. 25 Jahren gebetsmühlenartig eingeredet, daß Winter mit Schnee ein Auslaufmodell ist?
Und jetzt entdecken Touristenorte ein Geschäft, in das sie aber erst einmal irre Summen investieren müssen, die sich erst in etlichen Jahren amortisieren können?
Entweder die Klimaforscher oder die Investoren sind gewaltig auf dem Holzweg.
Wo in diesem Winter (trotz El Nino) noch Schnee ist bzw. war, da gibt es auch in den nächsten 20 Jahren noch ganz gute Aussichten. Später dürfte ein Winter wie dieser als normal gelten.
Balderschwang ist übrigens keinesfalls schneesicher. Hier z.B. ein Bild mit brauen Pisten zu Weihnachten: http://www.bergfex.de/bal...
Von einer "Verbindung zweier Skigebiete" kann man hier kaum sprechen; es handelt sich auf der Seite von Obermaiselstein um zwei getrennte Bereiche mit je zwei bis drei erschlossenen Hügeln und der Abstand zu dem (dritten) Bereich in Balderschwang ist größer als das ganze "Skigebiet".
Interessanterweise liest man nichts von vorgeschlagenen Ausgleichsmaßnahmen.
So wäre es durchaus möglich, die ca. 12 km lange Straßenverbindung zwischen Obermaiselstein und Balderschwang-Schwabenhof aufzuheben und Balderschwang künftig nur noch von einer Seite anzufahren, nämlich talabwärts über Burst und Krumbach, und das ganzjährig. Das mittlere der drei "Skigebiete" (Liftverbund Grasgehren) wäre dann nur noch auf Skiern erreichbar und der dortige Parkplatz könnte renaturiert werden. Für die Touristen wäre eine derartige Beruhigung auch attraktiv, gerade auch im Sommer.
Ein Kompromiss, den die Naturschützer vermutlich akzeptieren könnten. Aber vermutlich nicht die für die eigene Nutzung aufs Auto fixierten Kommunalpolitiker.
Ihr Vorschlag in Ehren... aber nach dem Bau der riesigen Tobelbrücke in Grasgehren ist er bereits Makulatur. Die Brücke hat auch noch den "Vorteil", dass eine große Menge Parkplätze ohne fliessenden Verkehr entstanden sind. Wäre doch jammerschade, wenn man da keine Lifte zur verfügung stellen würde. Hinterfotzige Taktik!