Frage: Herr Geißler, glauben Sie noch an Gott?
Heiner Geißler: Ich habe große Zweifel.
Frage: Was verbinden Sie heute mit dem Glauben?
Geißler: Mich packt der heilige Zorn, wenn ich an die offizielle evangelische und katholische Theologie denke.
Frage: Dabei waren Sie als junger Mann Jesuit.
Geißler: Ich bin meinen damaligen Lehrern dankbar bis heute. Ich habe bei ihnen unabhängiges und barmherziges Denken gelernt. Ich habe dann mein persönliches und politisches Leben nach der Religion ausgerichtet.
Frage: Und jetzt nicht mehr?
Geißler: Ich habe mit den Jahren angefangen, an Gott zu zweifeln, habe nach der Wahrheit gesucht. Dabei ist mir meine religiöse Heimat immer mehr abhandengekommen. Aber ich kann sie behalten, weil ich die Verfälschung des Evangeliums durch die Theologie erkannt habe.
Frage: Macht Sie das traurig?
Geißler: Ich empfinde eine eigenartige Melancholie deswegen. Aber ich sehne mich nach der Theologie von gestern nicht zurück.
Frage: Sie sind jetzt 87 Jahre alt. Wiegen Gotteszweifel im Alter besonders schwer?
Geißler: Von 100 Leuten sterben 100. Ich habe keine Angst.
Frage: Glauben Sie noch ans Paradies?
Geißler: Das Paradies ist eine alttestamentarische, kindische und durch die andere abrahamitische Religion diskreditierte Vorstellung. Ich kenne Christen, die sagen, das muslimische Paradies sei viel besser: Die kriegen Jungfrauen, und wir sollen Halleluja singen. Was soll es denn auch für einen Sinn haben, dass dem eigentlichen ewigen Leben ein erstes sinnloses und rätselhaftes Leben vorgeschaltet wird?
Frage: Die Religion gibt vielen Menschen Hoffnung.
Geißler: Ja, denn Millionen Menschen können das jetzige Leben nur in der Hoffnung auf ein besseres Leben ertragen. Damit die christliche Religion aber nicht zum jede Revolution erstickenden Opium des Karl Marx wird, müssen die Kirchen an der Seite der hungernden, armen Menschen stehen.
Frage: Wann haben Sie begonnen, an Gott zu zweifeln?
Geißler: Es war ein langer Prozess. Ich habe als Bundesminister und Generalsekretär der CDU die Welt bereist. Dort habe ich das hundertfache Elend der Menschen gesehen.
Frage: Was hat Sie am meisten erschüttert?
Geißler: Kinder, die in Müllhalden nach Essbarem gesucht haben. Das Schicksal der Frauen in Kabul. Es gibt so viele Beispiele. In jeder Sekunde werden auf der Welt Tausende von Menschen getötet, gefoltert und vergewaltigt. Wenn die Schreie dieser Menschen auf einmal zu hören wären, dann wäre dieser Schrei so furchtbar, dass er alles Leben auslöschen würde. Das geschieht jede Minute seit Tausenden von Jahren. Warum versteckt sich Gott? Und was machen die Kirchen? Sie beten den Psalm 118, sie frohlocken, sie loben Gott. Das ist absurd.
Frage: Die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes ist uralt. Schon vor Jahrhunderten haben sich Theologen mit der Theodizee-Frage auseinandergesetzt.
Geißler: Und doch erlebt jede Generation diesen Skandal neu. Die christliche Theologie weiß eine schöne Antwort: Gott hat sich in der Person des Jesus mit den Menschen total solidarisiert und sie dadurch erlöst und befreit. Aber was ist das für ein Gott, der uns auf der Frage sitzen lässt, warum er Schmerz und Leid überhaupt ermöglicht hat – nur um uns hinterher mit dem komplizierten Manöver eines von einer Jungfrau geborenen Sohnes davon wieder zu befreien? Auch die anderen Antworten sind unglaubhaft. Das lässt sich einfach beweisen.
Frage: Und zwar?
Kommentare
Welch ein Drama, welch eine Theatralik!
Bleibt nicht alles Wissen Glaubenswissen - so doch auch die Menschwerdung in Christus?
Und so bleibt mir -wohl nicht alleine- völlig unerklärlich wie Sie, als doch halbwegs gebildeter Mensch, „Gott“ dennoch als System begreifen, etwa wie es die vom Opus Dei betreiben; oder gar als Theorie verstehen, mit der wie etwa die von der SJ die Welt verblenden; oder auch nur als Begriff fassen, mit dessen etwa wie die der OP den Mensch zu instrumentalisieren trachten?
Vielleicht, mein Lieber, ward es mal viel früher schon von Nöten, dass Er das zweite Gebot, das vom Bildnis, etwas mehr hätte absolut beherzt genommen?
So wäre Ihm wohl das Ding als Gott in der Welt doch erspart geblieben.
Fortan hätte es Ihm christlich gegottet statt tödlich ergrämt; Ihm wäre sehr viel mehr Freude im Stiften von Sinn gewesen - statt zynischer Humor im Picken dessen.
So bleibt´s wohlan unendlich schad, wie sehr Gott des Geißlers Leben allein hat doch so hoch verpfuschen können?
Ich stimme Geißler nur in den Dingen zu: an der Seite der Armen zu sein und gegen den Turbo-Kapitalismus zu sein.
Alles andere, was Geißler sagt, ist absurd, teilweise mit dem Evangelium nicht vereinbar. Das sollte ein Jesuiten-Schüler genau wissen. Ebenso die Abendsmahlgemeinschaft, was er auch wissen sollte. Mal schnell alles zusammenwischen geht nicht.
Aber was soll man von ihm auch erwarten. Es ist nicht das erstmal, dass er die beschmipft und beleidigt, von denen er einst kam, sowohl Kirche, wie Partei.
Aber Leute..... er hat doch recht!
Auch ich bin und bleibe ein Glied der (evangelischen) Kirche. Aber ich kann Heiner Geißler verstehen - viele kirchlichen Theologen predigen einen kleinmütigen Glauben: Ein Gott der einerseits total menschliche Züge trägt und andererseits die von ihm geschaffenen Naturgesetze angeblich beliebig außer Kraft setzen kann. An der nahezu wörtlichen Interpretation der biblischen Schriften wird oft krampfhaft festgehalten.
Statt dessen müsste man den ganzen Aberglauben über Bord werfen und auf die Kraft der Botschaft von Jesus Christus vertrauen. Damit könnten dann die menschengemachten Probleme unserer Welt, wie sie Heiner Geißler aufzählt, zusammen mit vielen Nicht-Christen endlich angegangen werden.