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Am 17. Februar 2016 versammeln sich in Berlin-Treptow 17 Männer und Frauen zu einer geheimen Besprechung. Sie reden über die Terrorgefahr in Deutschland, über mögliche Anschläge. Wenn ihre Zusammenkunft anders verlaufen wäre, würden zwölf Menschen vielleicht noch leben.
Das Treffen, für 10.30 Uhr angesetzt, findet in einer ehemaligen preußischen Kaserne statt, zweiter Stock, Raum A242, ein gesichtsloses Tagungszimmer. Hier residiert das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum, kurz GTAZ, Deutschlands Antwort auf den 11. September 2001: ein zentraler Ort für alle Behörden, die Terroristen jagen. Das GTAZ ist Herz und Hirn der deutschen Terrorabwehr. Die Beamten fassen Beschlüsse, die über Leben und Tod entscheiden, sie gehen Listen mit potenziellen Attentätern durch. Auf einer dieser Listen steht an diesem Vormittag der Name Anis Amri.
Amri ist 24 Jahre alt, ein Asylbewerber aus Tunesien, die Fotos in den Akten zeigen einen jungen Erwachsenen mit dunklen Locken. Wie er sind in den vergangenen Jahren Hunderttausende Männer aus arabischen Staaten nach Europa gekommen, die allermeisten friedlich gesinnt. Ist Amri anders, ein Terrorist? Das ist die Frage, die sich die Beamten stellen.
Amri werbe dafür, "gemeinsam mit ihm islamistisch motivierte Anschläge zu begehen", und plane, sich in Frankreich "großkalibrige Schnellfeuergewehre" zu besorgen; mit diesen Worten hat ein paar Tage zuvor ein V-Mann aus Nordrhein-Westfalen die Ermittler gewarnt. "Die töten jeden Tag Muslime, also muss ich die auch töten", das soll Amri gesagt haben.
An der GTAZ-Sitzung in Berlin nehmen auch vier Polizisten aus Nordrhein-Westfalen teil. Sie sind beunruhigt. Sie glauben ihrem Informanten. "Aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt davon auszugehen, dass Amri seine Anschlagsplanungen ausdauernd und langfristig verfolgen wird", notieren sie nach der Sitzung in Berlin in einem Vermerk.
Ihre Kollegen vom Bundeskriminalamt (BKA) hingegen reagieren kühler auf die Warnung. Die Runde verständigt sich lediglich darauf, den Fall "ernst zu nehmen": Das BKA soll eine Bewertung erstellen, in der es später im Beamtendeutsch heißen wird, "der Eintritt eines gefährdenden Ereignisses im Sinne eines durch Amri geplanten Anschlags" sei als "eher unwahrscheinlich" einzuschätzen. Eher keine Gefahr also. Das wird von nun an die offizielle Einschätzung des GTAZ sein. Das Schriftstück ist fünf Seiten lang, auf den 29. Februar 2016 datiert und bis heute als "geheim" gestempelt, die ZEIT konnte es einsehen. Zwei Behörden, zwei Sichtweisen.
Die Tragik ist, dass sich die falsche Sichtweise durchsetzt – und nie wieder korrigiert wird.
Die nordrhein-westfälische Bewertung dagegen kommt der Wirklichkeit sehr nahe. Zehn Monate später, am 19. Dezember 2016, erschießt Anis Amri in Berlin einen polnischen Fernfahrer, fährt mit dessen Lastwagen über den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz und richtet ein Blutbad an. Zwölf Menschen sterben, Amri bekennt sich im Namen des "Islamischen Staates".
Mit dem Anschlag von Berlin endet für die Bundesrepublik eine Phase des relativen Glücks. Während in Großbritannien, Spanien, Frankreich, Belgien immer wieder Bomben explodierten und Terroristen um sich schossen oder Menschen überfuhren, war Deutschland von größeren islamistischen Anschlägen verschont geblieben. Zwar gab es Attentatspläne wie jenen der Sauerland-Gruppe, die einen Sprengsatz am Frankfurter Flughafen zünden wollte. Auch eine Terrorzelle, die vorhatte, Handgranaten in das Jüdische Museum in Berlin zu werfen. Und Al-Kaida-Mitglieder, die in Düsseldorf eine Bombe hochgehen lassen wollten. Aber da war eben auch das GTAZ, da war jener Raum A242, in dem sich Polizei und Verfassungsschutz versammelten und rechtzeitig einschritten, wenn es ernst wurde.
Kommentare
5. April 2017, 18:11 Uhr Editiert am 6. April 2017, 12:02 Uhr
was wurde editiert?
Oder geht ihr automatisch davon aus das die erste Fassung keiner gelesen hat.
Ach macht ja auch keinen Sinn, denn wieso sollten diejenigen dann die Zweite lesen.
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Der Kommentar, auf den Sie Bezug nehmen, wurde bereits entfernt.
Je mehr versucht wird zu vertuschen, um so mehr gewinnt die Feststellung vom Dezember 2016 an Richtigkeit:
"Die Ausländerbehörde tat nichts; und die Strafverfolger kümmerten sich nicht darum, dass die Ausländerbehörde nichts tat."
Entfernt. Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen. Die Redaktion/cj
Eklatantes Staatsversagen, das diverse Menschenleben gekostet hat. Konsequenzen für die Verantwortlichen? Nirgends in Sicht.
Exekutivversagen ... Staatsversagen wäre es, wenn es kein Gesetz gegen Mord und keine Richter gäbe, die diesen verurteilen. So hat die Exekutive versagt, nicht der Staat...
Welche Verantwortlichen ?
Steinmeier und Gabriel sind bereits nicht mehr in der entscheidenden Position von 2015.
Gauck ist ganz weg.
Ich bin gespannt, wer sich Anfang nächsten Jahres überhaupt noch für den entstandenen Schaden verantwortlich fühlt.
Die Exekutive ist eben auch Staatsgewalt. Abgesehen davon ist sie hier höchstwahrscheinlich nicht alleinverantwortlich.
++ Steinmeier und Gabriel sind bereits nicht mehr in der entscheidenden Position von 2015.
Gauck ist ganz weg. ++
Was haben Gauck, Steinmeier und Gabriel konkret mit Amri zu tun?
Zuständig waren die Innenminister Henkel, TdM (beide CDU), Jäger(SPD), der GBA der icht tätig werden wollte (CSU) sowie die zuständigen Behördenchefs und Mitarbeiter (LKAs, LfVs, BfV, Bamf...).
Wenn man "hinten" mit der Analyse beginnt
und die eigentlichen Ursachen beflissentlich übergeht, nur dann hat Amri nichts mit einer Realitätsfremden Asylpolitik zu tun und man hält sich noch Jahrzehnte mit Bauernopfern auf.
Allerdings funktioniert auch die Justiz nicht richtig: Gesetze, die de facto keine Anwendung finden wie das Gesetz zur Ausweisung bei begründetem Terrorverdacht - wie kann das denn sein? Widerspricht das Gesetz den Menschenrechten, soll es von.Verfassungsgericht gekippt werden. Widerspricht es nicht den Menschenrechten, soll es gefälligst angewendet werden.
Und dann die Messerstecherei/Hammerschlah und Gesicht etc. - was muss ein wütender Mensch noch tun , um ins Gefängnis zu kommen?
Merkel schon mal nicht, davon bin ich überzeugt. Die Frau hat von nichts Ahnung, sitzt jede Krise einfach aus, betreibt dann Experimentalpolitik und grinst dann doof in die Kameras, während sie Hirnfurze wie "Ich bin mir sicher, dass wir das schaffen können" absondert. Die Vorkehrungen zur Grenzsicherungen existierten, wurden aber von ihr blockiert. Mit ihren Selfies und Versprechen hat sie eine Massenmigration nach Europa und Deutschland ausgelöst, deren Ende nicht in Sicht ist. Und diese Massenmigration flutet Deutschland bis heute mit Irren bzw. Islamisten wie Amri, weil von Anfang auf das Prinzip "Wird schon klappen" vertraut wurde.
Staatsversagen stimmt schon, ist aber nur vordergründig verantwortlich. Im Grunde liegt es an unser aller Haltung:
Man hätte ihn wegen der Menge an Straftaten festnehmen können und man hätte ihn abschieben dürfen gemäß Artikel 58a.
Die technischen Fragen, wie die ganzen Vorgänge zusammengeführt werden können und wie der Verfassungsschutz mit Islamisten verfahren kann, die über Landesgrenzen hinweg aktiv sind, sind alle lösbar mit etwas Intelligenz und gutem politischen Willen.
De Maizière: "Er erzählt von einem Sexualstraftäter, den ein Gutachter für ungefährlich hielt und der deshalb aus dem Gefängnis entlassen wurde. Eine Woche später ermordete der Mann ein Kind. In Amris Fall sei es ähnlich gewesen, sagt de Maizière. Auch hier hätten die Behörden die Gefährlichkeit Amris beurteilt – und "gemeinsam eine sehr bittere Fehleinschätzung getroffen"."
Es gibt hier in D seit langem zu viel "Verständnis" für Täter - besonders wenn sie einer Minderheit angehören - und zu wenig Mitgefühl für Opfer.
Dieser blind spot ist nicht technisch lösbar, da müsste man seine innere Einstellung radikal ändern zum Thema Täter-Opfer.
Man muss dazu die Vergangenheit hinter sich lassen, in der Minderheiten die zu Unrecht Verfolgten waren und daraus nicht länger ableiten, man könne an Minderheiten heute einen Ausgleich herstellen. Man müsste die positiven Aspekte von Autorität wieder demokratisch nutzbar machen. Auch ein positiv besetzter Begriff von Patriotismus wäre hilfreich.