Die Wissenschaft, so lautet ein Max Planck zugeschriebenes Bonmot, schreitet mit einer Beerdigung nach der anderen voran. Der Physiknobelpreisträger meinte damit, dass sich neue Ideen erst durchsetzen, wenn die Verfechter überholter Ideen sterben – die Beerdigung ist eine Befreiung.
In den Wirtschaftswissenschaften wurden in den vergangenen Jahren viele Ideen beerdigt, die zuvor als sakrosankt gegolten hatten. Insbesondere nach der Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009 haben die Ökonomen ihr Theoriegebäude infrage gestellt und entrümpelt. Die Krise hat klargemacht, dass viele wirtschaftliche Zusammenhänge nicht geklärt und viele Vorstellungen überholt sind. Dazu gehört die Annahme, dass Märkte stets effizient sind – eine wichtige Hypothese vieler ökonomischer Modelle, die zunehmend angezweifelt wird.
Paradoxerweise wird die Ökonomie noch heute in der Öffentlichkeit häufig für wissenschaftlich bereits entsorgt geglaubte Ideen angegriffen. Das dürfte auch daran liegen, dass neue Erkenntnisse nur langsam ins Alltagsbewusstsein durchsickern. Und es trägt dazu bei, dass noch viele Altlasten in der Ökonomie übrig geblieben sind – trotz der Entrümpelungsaktion nach der Finanzkrise.
So geht zum Beispiel die ökonomische Theorie noch – völlig selbstverständlich – davon aus, dass Individuen mehr und besser arbeiten, je mehr Lohn sie erhalten. Das setzt allerdings voraus, dass Menschen ausschließlich extrinsisch motiviert sind. Die intrinsische Motivation wird dabei völlig vergessen, auch wenn sie beispielsweise bei vielen sozialen Tätigkeiten oder bei einer Arbeit im Umweltbereich extrem wichtig ist: Menschen arbeiten nicht um des Geldes willen mehr, sondern weil ihre Arbeit sie zufrieden macht und sie überzeugt sind, das Richtige zu tun. Wer solche Zusammenhänge ausklammert, läuft Gefahr, die intrinsische Motivation der Arbeitnehmer durch extrinsische Anreize zu verdrängen – etwa durch einen leistungsbezogenen Lohn. Dieser Verdrängungseffekt ist gefährlich: Er kann bewirken, dass Menschen ihre Leistungsbereitschaft sogar reduzieren, wenn man ihnen mehr Geld bietet – ganz anders als von vielen Ökonomen postuliert.
Ebenfalls eine Schnapsidee ist die Vorstellung, dass es ökonomisch sinnvoll ist, wenn jeder Mensch in seinem eigenen Haus wohnt, weswegen der Staat Wohneigentum steuerlich fördern sollte. Denn Hausbesitz kann, und das wurde lange vernachlässigt, die Mobilität auf dem Arbeitsmarkt einschränken und somit letztlich die Arbeitslosigkeit erhöhen. Zudem ziehen die Steuervergünstigungen Kapital aus produktiveren Wirtschaftsbereichen ab. Und der Hausbesitz führt auch noch zu längeren, unproduktiven Pendlerstrecken. Noch schwerer aber fällt ein anderer großer Irrtum ins Gewicht: Viele Politiker und Wirtschaftswissenschaftler glauben, dass es den Menschen eines Landes umso besser geht, je mehr Waren und Dienstleistungen das Land produziert. Sie sind überzeugt, dass ein höheres Bruttoinlandsprodukt (BIP) auch zufriedener macht – und unternehmen deswegen alles, damit es stärker wächst. So auch US-Präsident Donald Trump, der behauptet, die Wirtschaft werde während seiner Amtszeit Jahr für Jahr mit Raten von drei Prozent wachsen – mehr als in jedem der vergangenen zehn Jahre.
Allerdings zeigt der langfristige Trend für verschiedene Länder, dass ein gestiegenes BIP über einen langen Zeitraum keineswegs bedeutet, dass die Menschen zufriedener sind. Ein Beispiel dafür ist der extreme Entwicklungssprung der chinesischen Volkswirtschaft. Im Zeitraum von 20 Jahren, zwischen 1990 und 2010, hat sich das BIP pro Kopf in China vervierfacht. Doch laut Umfragen stagnierte das Glücksgefühl der Chinesen. Das zeigt: Wenn die Wirtschaft wächst, wächst die Zufriedenheit nicht unbedingt; es ist deswegen wichtig, auch andere Glücksfaktoren zu berücksichtigen.
"Nichts ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist" lautet ein anderer berühmter Satz, er wird Victor Hugo zugesprochen. Aber das reicht eben meistens nicht, wie John Maynard Keynes bemerkte, denn die "Schwierigkeit liegt [meistens] nicht in den neuen Ideen, sondern darin, von den alten wegzukommen."
Kommentare
Eine sehr bedeutende und sich fatal auswirkende Schnapsidee der Wirtschaftslehre ist die These der Substituierbarkeit von Gütern - wer solch gefährlichen Schwachsinn verbreitet, würde ich gern mal ein paar Tage in einem Container voller Luxusgüter einsperren, dem es nur an einem mangelt: Wasser und der Möglichkeit, aus den Luxusgütern irgendwie Wasser zu gewinnen. Leider ist auf der realen, endlichen Erde eben nicht alles irgendwie substituierbar, und bestimmte Ressourcen, die einmal weg sind, können weder ersetzt noch irgendwie wieder zurückgewonnen werden - und zwar nicht aus technischen, sondern aus physikalischen Gründen. Das hat übrigens bereits der Ökonom Nicolas Geogescu-Roegen Anfang der 1970er in seiner Arbeit "The entropy law and the economic process" deutlich gemacht - aber wesentliche naturwissenschaftliche Grundlagen werden auch heute noch in der Wirtschaftslehre ignoriert - weshalb ich sie nicht als "Wissenschaft" bezeichnen kann.
Auch wer - zweites Beispiel - noch nicht mal anerkennen will, dass exponentielles Wachstum in einem begrenzten System nicht dauerhaft funktionierten kann, der hat diese Bezeichnung nicht verdient.
MfG, Ijon Tichy
Tut mir Leid für Sie und auch Ihren Kommentator, aber dass alle Güter substituierbar sind, kann nach einem Wirtschaftsstudium nur jemand behaupten, der das Fach verpennt hat, in dem auch Limitationalität behandelt wird. Allen anderen kann man das Nichtwissen verzeihen, so auch Ihnen.
Gibt es denn auch schon die Tendenz eher nach Argumenten als nach Anhängern zu suchen? Am Ende denkt man wirklich über logische, seriöse Diskussionen nach? Oder würde so etwas dann doch zu weit gehen?
Wäre mir neu das die Menschheit logische und seriöse Ideen außerhalb der Wissenschaft jemals angenommen hätten. Das Verhalten darf man großzügig als Schizophren bezeichnen. Bestes Beispiel ist z.B. bei der Milch gewesen "Bauern müssen genug Geld verdienen können - Oh Milch im Sonderangebot für 42 cent, schnell zugreifen."
Menschen sind nicht grundsätzlich deswegen Böse, Sie sind nur dumm. Sie weißen Herdantriebe auf und keinesfalls Kollektivwissen. Ist doch alles gesagt worden, Fakten auf den Tisch gelegt, überprüft, veranschaulicht, von U- bis Dystopien skizziert - Ja meine Güte was wollen Sie denn noch diskutieren? Fehlen ihnen noch frei verfügbare Daten? Studien? Wann ist denn genug davon vorhanden um ihre Meinung zu bilden?
Entschuldigen Sie meine proteische Persönlichkeit aber es liegt doch an ihnen was Sie nun schwerer gewichten wollen. Soll ich Sie überzeugen oder nur ihr Wissen bestätigen?
Können Sie ihre Anfrage daher genauer definieren oder würde so etwas dann doch zu weit gehen?
Wer klammert was aus?
1. "Menschen arbeiten nicht um des Geldes willen mehr, sondern weil ihre Arbeit sie zufrieden macht und sie überzeugt sind, das Richtige zu tun."
Hier klammert der Autor selbst aus - nämlich die Tatsache, dass mehr Geld durchaus die Zufriedenheit des Arbeitenden steigert.
2. "dass es den Menschen eines Landes umso besser geht, je mehr Waren und Dienstleistungen das Land produziert."
Unter den aktuellen Bedingungen in D. ist die Aussage sinnlos, wenn das Land einen Exportüberschuss von ca. 250 Mrd. hat. Die Produktivität ist zwar hoch, aber die Einkommen entsprechen nicht der Leistung.
3. In Wahrheit greift wohl eines in das andere, wie der Autor im vorletzten Absatz anerkennt.
"Hier klammert der Autor selbst aus - nämlich die Tatsache, dass mehr Geld durchaus die Zufriedenheit des Arbeitenden steigert."
Ja, weil das auf den Niedriglohnsektor nicht zutrifft und auch nicht auf jeden Menschen. Jeder arbeitet aus unterschiedlichen Gründen.
"Die Produktivität ist zwar hoch, aber die Einkommen entsprechen nicht der Leistung."
Ist in ihrem Exportüberschuss auch das abfließen von Kapital vorhanden? Eine viertel Billion mag viel klingen, ich bezweifle allerdings das hierzulande Fremdinvestoren ihr Kapital automatisch legal ins Ausland schaffen und dabei hohe Steuern riskieren.
"In Wahrheit greift wohl eines in das andere, wie der Autor im vorletzten Absatz anerkennt."
In Wahrheit muss wohl ein Vorgesetzter sich mit seinen Untertanen auseinandersetzen und kennenlernen was Sie nun genau benötigen oder entsprechend mit gewünschten Prämissen einstellen - bei flachen Hierarchien eine Endlosaufgabe denn je nach Lebenslage des Arbeiter ändert sich der Anspruch.
Auch vermisse ich die Wahrnehmung der, bis ins lächerliche entlarvten neoliberalen Idee als das, was sie ist: eine Form von ökonomischem Faschismus (siehe Naomi Campel, Arundari Roy etc.). Milton Friedman war einer der schlimmsten Wirtschaftstheoretiker des 20. Jahrhunderts. Millionen Menschen haben ihre Existenz verloren oder sind in der Schuldenfalle hängen geblieben. Basis dieser großen Dummheit ist die Idee von der unbegrenzten Vermehrung des Reichtums Weniger, zu Lasten des Gemeinwohls. Das ist aber in den ökonomischen Fakultäten noch nicht angekommen. Wirtschaftswissenschaft ist zur Ideologie verkommen. Gemessen wird, was das Modell bestätigt. Menschliches Leid kommt dabei überhaupt nicht vor. Vieleicht ändert sich das langsam. Zu wünschen ist es.
Das praktisch Erschreckende ist, dass viele Einzelunternehmer sehr wohl dem Bild des Einkommensmaximierer entsprechen, obwohl die Wirtschaftswissenschaft gerade hofft, dass es primär um den Nutzen und nicht das Einkommen geht.
Wäre die Nutzenmaximierung der Fall, könnte man z. B. darauf hoffen, dass ein Arzt oder Rechtsanwalt vor allem objektiv überlegt, was im gegebenen Fall angemessen ist und nicht subjektiv, wie viel er daran verdienen kann.