Das Berliner Haus für Poesie hat 200 Dichtern einen Fragebogen geschickt, um ein Bild davon zu gewinnen, wie es um die finanzielle Situation der Dichtung in Deutschland bestellt ist. 114 Lyriker haben geantwortet. Auch wenn das Ergebnis keinen überraschen dürfte, ist es doch aufschlussreich, die ökonomische Seite des Dichterlebens einmal in aller prosaischen Klarheit vorgeführt zu bekommen. Drei Viertel der Befragten, teilt das Haus für Poesie mit, leben mit einem Jahresbruttoeinkommen unter dem Bundesdurchschnitt von 32.486 Euro. 77 Prozent erzielen mit ihrer schriftstellerischen Arbeit 10.000 Euro und weniger, beziehen also den größeren Teil ihrer Einkünfte aus anderen Tätigkeiten. 45 Prozent der Lyriker, die keiner anderen Beschäftigung nachgehen, leben unterhalb der Armutsgrenze, die bei 11.759 Euro im Jahr liegt.
Die Künste sind, was ihre Refinanzierung betrifft, höchst unterschiedlich. Die bildende Kunst hat einen geradezu midasartigen Markt hervorgebracht, der alles zu Gold verwandelt, was er anfasst. Zeitgenössische Komponisten leben von öffentlichen Aufträgen, Theaterautoren von Tantiemen. Für Romanautoren gibt es einen funktionierenden Markt, bei dem zumindest jeder eine Chance hat, sein Glück zu probieren. Lyriker hingegen nehmen, von wenigen Ausnahmen wie Jan Wagner abgesehen, gar nicht teil am Buchmarkt. Ihre Bücher haben Auflagen von unter 1000 Exemplaren. Ihre Kontoeingänge stammen nicht von Verlagen, sondern von Lyrikveranstaltern.
Das durchschnittliche Honorar für eine Lesung liegt zwischen 250 und 350 Euro. Deshalb fordern die Lyriker jetzt ein Grundeinkommen und bessere Ausstattung von Lyrikveranstaltern und entsprechende Mindesthonorare. Man kann das gut verstehen. Aber will man wirklich eine Gesellschaft, in der jeder einen Anspruch darauf hat, von dem, was seine Herzensangelegenheit ist, leben zu können? Dann müsste es staatliche Institutionen geben, die entscheiden, wer offiziell als Lyriker und damit als Leistungsempfänger anerkannt wird. Gottfried Benn ging jeden Tag in seine Praxis für Haut- und Geschlechtskrankheiten. Natürlich hat er geklagt, seine Lyrik hat davon eher profitiert. Vielleicht ist es ja sogar ein Privileg, dass sich Lyrik nicht pekuniarisieren lässt? Für die bildenden Künste ist ihre extreme Kapitalisierbarkeit längst zu einem schleichenden Gift geworden, bei dem der Inhalt eines Kunstwerks sein Preis ist.
Kommentare
Es gibt nur eine richtige Lösung: Das bedingungslose Grundeinkommen.
Nur so können sich Menschen der Kunst und dem freien Denken widmen ohne Geldsorgen haben zu müssen.
Wenn es so weiter geht, wird es in 20 Jahren deutlich weniger Dichter, Musiker und Denker geben...
Ist es geschichtlich betrachtet nicht eher so, daß die meisten Künstler eher im unteren Einkommenssegment angesiedelt waren? Natürlich gab es immer den ein oder anderen der einen reichen Gönner finden konnte, so wie es auch heute erfolgreiche ausnahmen gibt. ausgestorben sind die Dichter, Musiker und Denker deswegen nicht im Ansatz.
Es gibt im Zuge der fortschreitenden Automatisierung durchaus gute Gründe langsam über ein Grundeinkommen nachzudenken. Das Überleben der Kust sehe ich jedoch nicht als Grund. Sie überlebt auch so.
"Deshalb fordern die Lyriker jetzt ein Grundeinkommen und bessere Ausstattung von Lyrikveranstaltern und entsprechende Mindesthonorare."
:D Ja, logisch, nichts anderes... darauf, dass sehr vielen Leuten eben schlicht deren geistige, ähem, 'Winde', schlicht keinen Pfennig wert sind, kommen sie nicht.
Ich habe jetzt mal in die Studie geschaut, immerhin sind es nur 11% der Befragten, die ein Grundeinkommen verlangen.
Zu den Lyrikveranstaltungen und Veranstaltern, schwer zu beurteilen. Vielleicht verdienen sich die Veranstalter ja eine goldene Nase damit und speisen die Dichter mit einem Taschengeld ab - ich bezweifle es, aber wer weiß. In dem Fall wäre es vielleicht Zeit für Dichterstreiks und eine Dichtergewerkschaft.
Ich nehme aber auch an, es ist eher die bittere Realität der Marktwirtschaft. Und ich selbst habe auch nicht das geringste Interesse an Gedichten und würde ein Grundeinkommen für Dichter ebenso ungern mitfinanzieren wie eines für Jogger oder Hobbygärtner oder Autobastler.
"Drei Viertel der Befragten, teilt das Haus für Poesie mit, leben mit einem Jahresbruttoeinkommen unter dem Bundesdurchschnitt von 32.486 Euro. 77 Prozent erzielen mit ihrer schriftstellerischen Arbeit 10.000 Euro und weniger, beziehen also den größeren Teil ihrer Einkünfte aus anderen Tätigkeiten."
Hier ist etwas nicht ganz schlüssig. Wenn 77% (also etwas mehr als drei Viertel) max. €10.000 mit Schreiben verdienen, dann bedeutet das höchstens, dass mindestens zwei Prozentpunkte davon genug anderweitig aufstocken, um auf oder über den Bundesdurchschnitt zu kommen. Ob der Rest der 77% überhaupt etwas dazuverdient, kann man aus dem obigen nicht herleiten.
Man sollte jemand fragen, der wirklich etwas von Kultur versteht:
https://www.youtube.com/w...
Vielleicht hilfreich - ein Link auf die Studie selbst:
http://www.haus-fuer-poes...