An gezielte Nadelstiche der AfD, an Worte wie "Volksverräter", "Lügenpresse" oder "Extremismuskanzlerin" hat man sich fast schon gewöhnt. Aber am vergangenen Wochenende wurde eine Grenze überschritten.
Der AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland hatte in einer Rede im Eichsfeld über die Integrationsbeauftragte Aydan Özoğuz gesagt, man solle ihr an Ort und Stelle doch einmal erklären, was deutsche Kultur sei. "Danach", so hatte er hinzugefügt, "kommt sie nie wieder hierher, und wir werden sie dann auch, Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen können." Das Wort "entsorgen" benutzt zu haben hatte Gauland zunächst bestritten, um dann, als Videoaufnahmen auftauchten, auf SPD-Politiker zu verweisen, die der Bundeskanzlerin dasselbe angedroht haben.
Auch dieses war ekelhaft, zugegeben. Aber hier geschieht etwas Neues. Einer Frau, die in Hamburg geboren ist, einer mit ausreichend vielen Stimmen des deutschen Volkes gewählten Abgeordneten des Bundestags, einer sozialdemokratischen Staatsministerin, wird hier im Grunde angedroht, sie nach einer Deutsch-Lektion im Eichsfeld – Gaulands begeistert applaudierende Zuhörer haben die physischen Implikationen von "danach wird sie nie wieder herkommen" sofort kapiert – wie stinkenden Müll nach Anatolien zu verklappen, und zwar weil: ihre Eltern aus der Türkei kommen. Ausländer raus.
Ich bin im Iran geboren. Was geschieht dereinst mit mir? Bin ich deutsch genug?
Der Glutkern der AfD, der die Herzen ihrer Anhänger höherschlagen lässt, hat sich radikal gewandelt. Es ist längst nicht mehr der Aufstand gegen eine Hauruck-Politik in Sachen Euro oder Flüchtlinge. Es ist – in mittlerweile unverhohlener Gestalt – das Ressentiment, kleinmütig, gefährlich und hässlich. Die AfD ist keine konsequentere Union, dies ist eine innere Feinderklärung. Nach dem Parteitag im April hatten viele angenommen, Gauland sei die Integrationsfigur, die als hindenburghafter Elder Statesman den Rechtsaußen Björn Höcke einhegen und besänftigen werde. Das Gegenteil ist nun der Fall.
Kurz vor dem historischen Kyffhäusertreffen des rechtsextremen "Flügels" der AfD, einem Heimatabend an historischem Ort in geschlossener Gesellschaft mit Reden und Gesang, zu dem sowohl Gauland als auch der ursprünglich wirtschaftsliberale Vorsitzende Jörg Meuthen mit größter Selbstverständlichkeit anreisen, hat Gauland klargestellt: Er kann besser höcken als der inzwischen kaum noch lautstark über die Stränge schlagende thüringische Landesvorsitzende selbst. Höcke jedenfalls ist in öffentlichen Statements bisher noch vor Deportationsandrohungen gegen konkrete Personen zurückgeschreckt. Der nächste Bundestag, in dem Gauland womöglich als Oppositionsführer der drittstärksten Partei reüssiert, kann sich also auf einiges gefasst machen.
Frau Özoğuz hatte sich Gaulands Unmut zugezogen, weil sie eine demokratische Selbstverständlichkeit artikuliert hatte: dass wir permanent aushandeln, wie wir hier miteinander leben wollen. Jenseits der Sprache, so die Integrationsbeauftragte, gebe es nichts spezifisch Deutsches. Für diese Auffassung soll sie außer Landes geschafft werden.
An dieser Stelle sei eine persönliche Bemerkung gestattet. Ich bin im Iran geboren, mein Vater ist Iraner. Über die AfD zu berichten macht mir Vergnügen, weil ich konservatives Denken interessant finde und der Meinung bin, es bräuchte eine intelligente konservative Opposition im Bundestag. Es darf auch gern was Wirtschaftsliberales sein. Es war ein Unding, dass sich während der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 nicht eine einzige kritische Stimme im Plenarsaal erhob.
In Gesprächen mit AfD-Politikern habe ich mich dabei ertappt, wie ich meinem Gegenüber die jämmerliche Frage stellte: "Wenn Sie mal am Drücker sind, wie ist das dann mit jemandem wie mir? Darf ich bleiben? Bin ich deutsch genug?" Alle haben mir das Gleiche geantwortet: "Aber Frau Lau! Natürlich dürfen Sie bleiben!" Das Entlarvende an dieser vorläufigen Gutmütigkeit ist, dass die Befragten sich mit größter Selbstverständlichkeit die Entscheidung darüber vorbehalten, ob sie auch dann noch gilt, wenn man, wie Frau Özoğuz, etwas Unbotmäßiges sagt. Als Mariam L. eines Tages aus unruhigen Träumen erwachte, fand sie sich in ihrem Bett in eine Ausländerin verwandelt. Eine Partei, die in den Leuten so etwas auslöst, ist keine intelligente konservative Opposition.
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Kommentare
Ihren Brief "kalkulierter Hass" hätten Sie sich sparen können. Ich habe gestern, nach ein klein wenig Recherche, diverse Aussagen von linken/linksliberalen Zeitungen gefunden und von Politikern, die das Wort "entsorgen" bisher benutzt haben, ohne dass sich ein veritabler Shitstorm über sie ergossen hat.
Herr Broder hat heute noch einen netten Beitrag ("Die entsorgte Nation) dazu geschrieben. Kurz und knapp. Für alle Aufgeregten bzw. Durchgedrehten, dürfte das ein ziemlicher Wirkungstreffer sein.
Bitte keine persönlichen Geschichten, die nicht direkt mit dem Thema zu tun haben und die wir nicht überprüfen können. Wir wünschen uns eine differenzierte und mit Argumenten geführte Diskussion des Artikelthemas. Danke, die Redaktion/fb
Es geht doch gar nicht primär um den Begriff "entsorgen". Es geht darum, dass die AfD gebürtige(!) deutsche(!) Staatsbürger(!) ausweisen möchte, wenn deren politische Meinung ihnen nicht passt. Das ist (Rechts)extremismus pur, klar unserer Verfassung widersprechend und in der Tradition und im Geiste des Nationalsozialismus.
Ja, entsorgen ist kein schönes Wort und man kann sich darüber aufregen.
Aber - Gauland ist nicht der erste der es verwendet. Drei Beispiele (von einigen):
1) Der Tagesspiegel, 12.11.2012, ...Nach der Grünen-Urwahl zeigt sich SPD-Chef Sigmar Gabriel zuversichtlich für einen Regierungswechsel im kommenden Jahr. Es gebe jetzt das gemeinsame Ziel von SPD und Grünen, nicht nur die Regierung Merkel abzulösen, sondern „rückstandsfrei zu entsorgen“, sagte Gabriel am Montag in Berlin.
2) Spiegel online, 9.9.2014, Kommentar zu EU-Spitzenjobs - Letzte Ausfahrt Brüssel -
Der polnische Regierungschef gibt sein Amt auf, um nach Brüssel zu wechseln. In Deutschland wäre so ein Schritt undenkbar. Wir entsorgen in der EU lieber unsere politische B-Prominenz. ... Von Christian Rickens
3) Süddeutsche Zeitung, 17. Mai 2010, 20:58 Uhr, Designierter EU-Kommissar Oettinger - Entsorgt in Brüssel -Günther Oettingers Ernennung trägt klassische Züge Merkel'scher Problementsorgung. - Ein Kommentar von Martin Winter
UND: Was ist mit der Aussage von Aydan Özoğuz??? Warum regt sich da keiner drüber auf (außer die AFD)??? Ist doch auch sehr mißachtend und - so sehe ich das - bedenklich!
In keinem einzigen der von Ihnen genannten Beispielen hat jemand gefordert, gegen die Verfassung zu verstoßen und deutsche Staatsbürger aus politischen Gründen auszuweisen. Was soll das Relativieren?
kann mir jemand sagen um was es handelt wenn man schreibt
" Jenseits der Sprache, so die Integrationsbeauftragte, gebe es nichts spezifisch Deutsches."
was genau sagte die Integrationsbeauftragte Frau Özoğuz , es muss doch etwas mehr sein als dies Satz!!??
Guter Punkt, das Orginal hat wohl kaum einer der rechten Eiferer (gar vollständig!) gelesen (was schon darab erkennbar ist, dass permanent davon geschrieben wird, Özoğuz hätte den Satz "gesagt" - tatsächlich war es ein geschriebener Artikel): https://causa.tagesspiege...
Dort schreibt Sie u.a. "Deutschland ist vielfältig und das ist manchen zu kompliziert. Im Wechsel der Jahreszeiten wird deshalb eine Leitkultur eingefordert, die für Ordnung und Orientierung sorgen soll. Sobald diese Leitkultur aber inhaltlich gefüllt wird, gleitet die Debatte ins Lächerliche und Absurde, die Vorschläge verkommen zum Klischee des Deutschsein. Kein Wunder, denn eine spezifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifizierbar. Schon historisch haben eher regionale Kulturen, haben Einwanderung und Vielfalt unsere Geschichte geprägt. Globalisierung und Pluralisierung von Lebenswelten führen zu einer weiteren Vervielfältigung von Vielfalt. "
In dem Zusammenhang ist der Satz nicht nur zweifellos richtig, sondern auch banal - oder möchte jemand ernsthaft bestreiten, dass es z.B. zwischen Bewohnern des Schanzenviertels und alteingesessenen Bewohnern eines oberfränkischen Straßendorfes viel mehr Gemeinsamkeiten gibt als die Sprache (wenn überhaupt)? Schon bei der für Gesetze maßgebenden Frage der Rechte Homosexueller kämen diese Bevölkerungsgruppen nicht zusammen.
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