Kennenlernen
An einem Freitag, nach Mitternacht, ändert ein Chat zwei Leben: Mahmoud sitzt auf einem Sofa in einer Wohnung im Istanbuler Viertel Esenler. Auf seinem Smartphone loggt er sich auf Lovoo ein, einer Dating-Plattform. In seinem Profil hat er nur ein paar Fotos hochgeladen. Er wischt und wischt über das Display. Dann sieht er eine Frau, lange blonde Haare, blaue Augen, weiche Gesichtszüge, sie lehnt in einem schwarzen T-Shirt an einer Graffiti-Wand und lächelt. Sabine heißt sie. Mahmoud gibt ihr ein Herz.
Sabine, 49 Jahre alt, aus Hamburg, wacht nur knapp 20 Kilometer entfernt, im touristischen Viertel Sultanahmet, in einem Hotelbett auf. Sie macht Ferien mit einer Freundin. Sie blickt auf ihr Smartphone und öffnet die Dating-App. 93 Männer liken sie. So viele Herzen bekommt sie in Deutschland nie. Aber in Istanbul sind Frauen wie sie begehrt. Viele Männer hoffen auf einen One-Night-Stand mit einer Touristin.
Sabine antwortet nur einem: große braune Augen, Kinnbart, kurze schwarze Haare, ernster Blick, schmale Lippen, das Hemd offen, 22 Jahre alt. Mahmoud.
"Was für ’ne Rakete", denkt Sabine. Und schreibt eine Nachricht auf Englisch:
20. Februar 2015, 4.40 Uhr: "Du bist wirklich süß, aber Du wohnst in Istanbul und ich in Hamburg. Und ich fliege heute zurück."
20. Februar 2015, 8.01 Uhr: "Oh mein Gott, Du bist auch so süß. Wann fliegst Du?"
20. Februar 2015, 23.50 Uhr: "Hi ... Ich bin schon um halb acht geflogen und wieder zu Hause. Wenn Du magst, können wir hier schreiben."
So fing es an, mit Sabine und Mahmoud. Sabines Heimat ist der Deich in Leer in Ostfriesland, und Mahmoud stammt aus Damaskus, der Stadt der Jasminblüten. Als Student floh er vor dem Diktator Assad, seine Eltern, seine Geschwister, viele Freunde ließ er in Syrien zurück. Sabine glaubt an Gott, Mahmoud an Allah. Sie ist heute 52, er 25 Jahre alt.
Kann das Liebe sein? Oder ist es eine unausgesprochene Vereinbarung? Sex gegen Sicherheit? Zuneigung gegen Geld?
Zwei Jahre lang haben sich Sabine und Mahmoud für diese Geschichte in ihrem deutschen Alltag begleiten lassen. In langen Gesprächen erzählten sie, wie sie sich kennenlernten, wie sie um ihre Beziehung kämpften. Immer offener sprachen sie über ihre Gefühle und zeigten schließlich intimste Nachrichten aus ihren Smartphones.
Man sieht das jetzt häufiger: ein junger Flüchtling, eine ältere deutsche Frau. Wie ein leiser Verdacht taucht dann oft diese Frage auf: Kann das Liebe sein?
Heute, zweieinhalb Jahre nach ihrem ersten Chat in Istanbul, zweifelt Sabine manchmal. Eigentlich ist sie eine selbstbewusste, offenherzige Frau, die früher als Flugbegleiterin um die Welt flog. Jetzt sitzt sie in ihrer gemeinsamen Dreizimmerwohnung in Hamburg-Fuhlsbüttel und schluchzt, während sie alte WhatsApp-Nachrichten auf DIN A4 ausdruckt. Überall in der Wohnung stehen gerahmte Selfies von ihr und Mahmoud, die Wände sind in warmem Orange und Gelb gestrichen. Auf dem Regal leuchtet eine mit Mosaiken verzierte Lampe aus der Türkei, daneben eine Buddha-Figur aus Bali.
"Ich möchte den Mann von damals zurück", schreibt sie auf einen Post-it-Zettel, klebt ihn auf die zusammengerollten Nachrichten, steckt alles in Mahmouds schwarzen Rucksack und zündet sich eine Zigarette an.
"Ich habe doch alles für Mahmoud getan", sagt sie.
Sabine sagt, mit Worten habe alles begonnen. Sie schrieben auf Englisch, das sie beide nicht perfekt sprechen.
23. Februar 2015, 0.26 Uhr: "Ich habe mich in Dich verliebt, Sabine."
23. Februar 2015, 0.29 Uhr: "Hast Du gesagt, dass Du Dich in mich verliebt hast? Ich hab mich nicht getraut, das zu sagen!"
23. Februar 2015, 0.30 Uhr: "Warum nicht?"
23. Februar 2015, 0.30 Uhr: "Weil es so verrückt war nach so kurzer Zeit ... Aber es fühlt sich so an, und ich bin glücklich, weil Du auch so fühlst."
Sabine und Mahmoud schicken sich Selfies, machen einander Komplimente, planen gemeinsame Radtouren durch Wälder und Rucksackreisen nach Thailand. Sie verlieben sich ineinander, ohne sich je geküsst zu haben oder nebeneinander aufgewacht zu sein.
Sie verlieben sich vor allem in ihre eigene Sehnsucht nach einem neuen Leben zu zweit.
Im Chat kann jeder mehr so sein, wie er eigentlich gern wäre: Sabine macht sich in ihrem Profil zehn Jahre jünger. Mahmoud gibt an, dass er im Libanon geboren wurde. Er fürchtet, dass Sabine ihm – wie einige Frauen zuvor – nicht mehr antworten würde, wenn sie erfährt, dass er aus Syrien geflohen ist.
Doch dann gestehen sie einander ihre Geheimnisse. Er erzählt ihr, woher er wirklich kommt, und sie ihm, wie alt sie wirklich ist. Sie beschließen, einander zu vertrauen.
Kommentare
Als ich die Überschrift gelesen habe, war ich durchaus neugierig auf die Geschichte. Ich dachte, hier geht es um ein Paar, das wie Emmanuel und Brigitte Macron mutig gegen alle anfänglichen Widerstände seine Liebe lebt.
Aber nein, bei dieser Geschichte kann ich nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen angesichts so großer Naivität bei einer fast 50jährigen Frau, die bereits drei gescheiterte Ehen hinter sich hat. Was verbindet sie mit diesem Mann außer erotischer Anziehung? Nichts! Schlimm genug für Sabine, aber warum muss darüber in der Zeit berichtet werden? Erkenntnisgewinn: null.
Ganz schön gewagt, hier Ferndiagnosen zu stellen, ohne die Leute zu kennen. Manchmal braucht Menschen fast gar nichts zu verbinden und sie können trotzdem eine erfüllte Beziehung genießen. Man darf halt nicht den Anspruch stellen, man müsse alles teilen bis hin zum gemeinsamen Musikgeschmack.
Prinzipiell fände ich es auch nicht weiter verwerflich, jemanden durch Heirat aus einer Notlage zu helfen, oder sich durch eine solche helfen zu lassen. Ist auch eine Art von gelebter Nächstenliebe. Man sollte allerdings mit offenen Karten spielen. Gleichwie, ob das hier der Fall war oder nicht oder inwieweit kann uns beiden am Ende egal sein ;-)
Hallo carpe diem,
Ich bin die Sabine um die es hier geht. Reaktionen wie Ihre waren vorauszusehen. Genau DAS habe ich versucht zu verhindern. Unsere Geschichte ist eine ganz wunderbare Geschichte, die hier leider nicht wiedergegeben wurde. Die ganze Vorgeschichte fehlt. Sämtliche negativen Klischees und Vorurteile werden bedient. Unser Vertrauen wurde missbraucht und alles Schöne und Gute wurde weggelassen. Ich bin bereits mit der ZEIT deswegen in Verbindung. Es ist sehr bedauernswert dass Sie von uns durch diesen unterirdischen Artikel über uns genau das Bild bekommen, das der Bericht von uns zeichnet. Sehr gern würde Ich Ihnen erzählen wer wir wirklich sind aber das Kind ist wohl schon in den Brunnen gefallen. Wir sind stinksauer. Nur soviel: wir sind alles andere als die ältere Dame mit dem Jüngling sondern ein stinknormales Paar. Ja und wir sind wie die Macrons. Die müssten sich auch gegen solch ein Gequatsche behaupten. Wir haben schier unüberwindbare Hürden genommen und als Team über 3500 km gemeinsam für unsere Zukunft gekämpft. Wir haben schon vieles gemeinsam bewältigt wo anders Paare verzweifeln würden. Ich würde sehr gern mal mit Ihnen sprechen. Und falls andere Leser sich für die ganze Geschichte interessieren, können Sie mich gern kontaktiere
Liebe Sabine,
es hat mich sehr berührt, von Ihnen persönlich zu hören.
Was soll ich sagen? Ich kenne weder Sie noch Ihren Partner noch die Autorin persönlich.
Deshalb ist es schwierig, zu beurteilen, was wahr ist und was nicht.
Die Frage, die sich mir stellt, ist: war es vereinbart, dass Sie dem Artikel vor der Veröffentlichung zustimmen müssen?
Es ist natürlich ein großes Risiko, viel Privates von sich zu geben, wenn man dann keinen Einfluss auf das Ergebnis hat. Bei den Fotos habe ich genau wie Sie gedacht: gibt es da keine besseren?
Es ist sehr schlimm, wenn Sie von der Journalistin und von dem Artikel persönlich enttäuscht sind und jetzt noch mehr Gerede ertragen müssen.
Das ist die eine Seite. Die ist aber sehr privat und geht uns Leser ja eigentlich überhaupt nichts an.
Ich finde es nach wie vor sehr verstörend, dass die ZEIT so einen Artikelt überhaupt veröffentlicht. Wie Sie sagen, bedient er alle Klischees und Vorurteile, gerade die über Flüchtlinge. Was beabsichtigt man damit?
...
(Teil 2 meines Kommentars folgt)
Liebe Sabine,
Sie sind über diesen Artikel sehr enttäuscht, fühlen sich und ihren Partner missverständlich und falsch dargestellt. Allerdings möchte ich zu bedenken geben,
dass die Aussensicht auf eine Beziehung ganz anders ist, als wenn man
"im System" steckt. So sollte man der Autorin möglicherweise nicht zu große Vorwürfe machen....
Und den Vergleich mit den Macrons kann ich nicht nachvollziehen - außer, dass
der Altersunterschied ähnlich ist.
Die Macrons sind Franzosen und kommen aus dem gleichen sozialen Umfeld.
In Frankreich besonders wichtig.
Hier spielen Probleme, die sich aus unterschiedlichen kulturellen Gegebenheiten und Einstellungen ergeben, keine Rolle.
Ich wünsche Ihnen Glück und Erfolg in Ihrer Partnerschaft, die ich in zweifacher
Hinsicht schwierig finde:
aufgrund der unterschiedlichen kulturellen Prägung und aufgrund
des Altersunterschiedes.
Die meisten Paare haben schon ohne diese Voraussetzungen Schwierigkeiten
eine lang anhaltende Beziehung - die beiden Freude macht und Erfüllung gibt - gemeinsam zu leben.
Glauben Sie wirklich an die "große Liebe"? Sehen Sie nicht eher einen Deal "Schönheit gegen Staatsbürgerschaft"? Ich fürchte, der junge Mann nutzt die alte Frau aus.
Lundimercredi,
Die Macros kommen beide aus Frankreich, aber er war 18 und sie 42 und sie war seine Lehrerin. Dazu war sie verheiratet und Mutter von drei Kindern. Meiner Meinung nach haben die Macros mit grossen Hürden und Hindernissen zu kämpfen gehabt, und gesellschaftliche Vorurteile ertragen müssen, um letztendlich ihre Liebe leben zu können. Die Hürden und Hindernisse, die WIR hatten, wurden überhaupt nicht erwähnt und die hatten nichts mit unserer Herkunft zu tun. Und jedes Paar streitet mal um Hilfe im Haushalt oder wenn der Mann zulange am PC daddelt. Und was glauben Sie wie uns diese bösartigen Kommentare verletzen. Und dass man für diesen Bericht die schlimmsten Fotos gewählt hat, die es gab. Die Autorin fand unsere Geschichte damals vor 2 Jahren wunderbar und romantisch dass sie über uns schreiben wollte. Dass unser Vertrauen so missbraucht wurde, hätten wir nie erwartet.
An Aotearoa11
Da Sie nichts über die nicht mit der Herkunft zu tun habenden Hürden und Hindernisse schreiben, nehme ich mal an, es ist der eklatante Altersunterschied. Der wäre für jedes Paar in Deutschland problematisch, denn die Kombination sehr viel ältere Frau – sehr junger Mann ist nun einmal immer noch mit gesellschaftlichen Vorbehalten behaftet.
Das ist so, da muss ein Paar durch, und das weiß frau auch. Diese Konstellation ist so häufig nicht in Deutschland, wäre also nicht unbedingt Anlass zu einem Artikel. Denn es stimmt natürlich „jedes Paar streitet mal um Hilfe im Haushalt oder wenn der Mann zulange am PC daddelt.“
Ich (Frau) gehe davon aus, dass der Abschnitt „Kennenlernen“ in diesem Artikel hier der Wahrheit entspricht, Sie also Ihren jetzigen Mann über eine Dating-App kennenlernten. Spontan kam mir da ein Artikel auf zeit.de vom 24.4.2014 mit dem Titel „Du bist wunderschön“ in den Sinn.
Was hätten Sie über sich und Ihren Mann lesen wollen? Was hätte nicht geschrieben werden sollen – dass ihr erster Mann Malaysier und Ihr zweiter Mann Indonesier war? Ja, mir kam der Gedanke daran, dass diese Trennungen auch etwas mit der Herkunft aus sehr unterschiedlichen Kulturen zu tun haben könnten. Auch wenn Untreue, wegen der Sie sich von Ihrem dritten Mann trennten, in allen Kulturen vorkommt.
Dieser Artikel beschreibt die primär Schwierigkeiten einer Ehe zwischen älterer Frau und jungem Mann, als Love-Story kann Autorin sie wohl nur bedingt sehen. Ich ebenso.