Predictive Policing – der Polizeiarbeit auf Basis von Verbrechensprognosen – klingt stets nach Überwachungsstaat und dem Ende der Unschuldsvermutung. Das liegt am Minority Report, der Kurzgeschichte von Philip K. Dick aus dem Jahr 1956, und ihrer filmischen Umsetzung von Steven Spielberg von 2002, die quasi Teil des kollektiven dystopischen Gedächtnisses geworden ist.
Dass eines der bekanntesten Predictive-Policing-Programme ausgerechnet Precobs heißt und damit zwangsläufig Assoziationen zu den "Precogs" aus Minority Report weckt – drei Hellsehern, die künftige Mörder erkennen – trägt vermutlich auch nicht gerade positiv zur gesellschaftlichen Akzeptanz der Technik bei.
Nun kommt am Donnerstag der Dokumentarfilm Pre-Crime von Monika Hielscher und Matthias Heeder in die Kinos, und auch er versucht gar nicht erst, ein sachliches Bild vom Thema zu zeichnen. Zwischen der Optik aus Computerspielen wie Watch Dogs (dessen Macher im Film zu Wort kommen) und Soundeffekten aus der Science-Fiction-Mottenkiste wird kaum kenntlich gemacht, welche Szenen tatsächlichen Predictive-Policing-Anwendungen oder Überwachungskameras entnommen sind und was nur zur möglichst düsteren Illustration nachgestellt wurde.
Dabei haben Hielscher und Heeder ein wichtiges Anliegen. Predictive Policing wird mittlerweile in mindestens der Hälfte der deutschen Bundesländer untersucht, getestet oder schon eingesetzt, allerdings vorrangig im Kampf gegen Wohnungseinbrecher und ohne die Verwertung personenbezogener Daten. Ein Beispiel aus Bayern wird im Film auch erläutert.
Nicht erwähnt wird aber, dass die Ergebnisse der bisherigen Tests und Einsätze in Deutschland kaum zur Dramatisierung taugen. Im kürzlich veröffentlichten Evaluierungsbericht über ein Pilotprojekt in Baden-Württemberg etwa steht, "dass kriminalitätsmindernde Effekte von Predictive Policing (...) wahrscheinlich nur in einem moderaten Bereich liegen und allein durch dieses Instrument die Fallzahlen nicht deutlich reduziert werden können". Nur etwa jeder zweite von 700 befragten Polizisten hält es für ein Erfolg versprechendes Modell, insbesondere außerhalb großer Städte wird der Einsatz von Predictive Policing für wenig sinnvoll erachtet.
Das Minority-Report-Szenario, nämlich allein auf der Basis statistischer Analysen künftige Kriminelle vorherzusagen, wäre hierzulande rechtlich gar nicht möglich. Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz Thomas Petri, der das in Bayern eingesetzte Modell für unbedenklich erklärt hat, sagt: "Das kollidiert mit dem Grundsatz der Unschuldsvermutung." Außerdem seien einem derartigen Profiling "auch EU-rechtlich enge Grenzen gesetzt. Artikel 11 der EU-Richtlinie über den Datenschutz in der Strafjustiz untersagt jedenfalls grundsätzlich die automatisierte Einzelfallentscheidung und lässt Ausnahmen nur in engen Grenzen zu."
Solcherlei Differenzierung aber liegt den beiden Regisseuren eher fern. Lieber schauen sie in andere Länder, in denen die Strafverfolger weiter gehen dürfen oder wollen als in Deutschland. Und dann unterlassen sie es, die Unterschiede zu verdeutlichen.
Die falschen Freunde können zum Problem werden
In Chicago etwa wird anhand polizeilicher Daten eine sogenannte Strategic Subject List erstellt – eine Liste von "Personen, die dem höchsten Risiko ausgesetzt sind, sich in einem gewaltbereiten Umfeld zu bewegen". Gemeint sind Menschen, die bisher nur wegen kleinerer Delikte festgenommen wurden, dies aber zusammen mit Bekannten, die schon mal als Täter oder auch Opfer mit Gewaltverbrechen zu tun hatten. Die Polizei besucht die Menschen auf dieser heat list und erklärt ihnen, dass sie unter Beobachtung stehen. Das ist ihre Art der Gewaltprävention. Im Film wird der junge Schwarze Robert McDaniel gezeigt, der beim Kiffen und Glücksspiel erwischt wurde und nun glaubt, offiziell zu den 400 gefährlichsten Menschen in Chicago zu zählen.
In der englischen Grafschaft Kent kommt ein US-System namens Predpol zum Einsatz. Seit drei Jahren definiert es täglich Risikogebiete, in denen dann verstärkt Streifen gefahren werden. Was heute zur Abschreckung von Einbrechern dient, soll künftig auch eingesetzt werden können gegen organisiertes Verbrechen, Menschenhandel, Sexualverbrechen sowie zur Grenzsicherung. Wie, bleibt allerdings offen. Auch dass eine erste Evaluierung ergab, dass die Polizei in Kent aufgrund von Personal- und Zeitmangel kaum dazu kam, Predpol regelmäßig zu nutzen und dass der Einsatz der Software nur etwas brächte, wenn es auch mehr Polizisten gäbe, erwähnen die Filmemacher mit keinem Wort.
Kommentare
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Was war den ln jetzt schon wieder verkehrt? Ich habe das dystopische Szenario einer voraussehenden Staatsmacht, a la Minority Report, weitergesponnen und durch eine komplett entmenschlichte und gefühllose ausführende Gewalt ergänzt, wie in dem Meisterwerk RoboCop von 1987.
War der humoristische Unterton das Problem? Ich persönlich finde, dass Übertreibung veranschaulichen kann. Aber ich bin ja auch kein Journalist.
Natürlich gibt es solche Algorithmen, die auf Wirtschaftsverbrecher zielen, schon seit Jahrzehnten. Schon in den 90ern wurden in einigen deutschen Finanzämtern Programme eingesetzt, die heuristisch Indizien für einen Verdacht auf Steuerhinterziehung sammelten. Das war aber teilweise eine ziemliche Kaffeesatz-Leserei.
Unsere Polizei hat nicht einmal die Möglichkeit Leute in eine Datenbank aufzunehmen. Von PreCrime sind die weit entfernt.
Vllt. wirds ja mit der neuen äußerst kompetenten IT Abteilung von unserem Innenminister etwas.
Ich hab schon mal Vorkehrungen getroffen, dass man das bei mir nicht alles machen kann. Und zu so etwas sind die Verbrecher auch fähig...
die "dramatisierung" is schon angebracht, finde ich.
Denn die Grundlegende FRage ist, soll sowas überhaupt erforscht werden?
Ist es das, was "wir" (also ich mit sicherheit nicht!) wirklich wollen?
Denn wie man grade erst bei der jüngsten VErsion der VDS Regelung gesehen hat, einmal zugelassen wird die Liste der Verbrechen für die sie eingesetzt wird extrem schnell erweitert.
Die VDS sollte ja auch zunächst nur für Kapitalverbrechen genutzt werden und ist jetzt schon bei Einbrüchen zugelassen - zugegeben ein Einbruch ist ein wiederliches VErbrechen, dass vor allem auch viel psychicschen schaden beim opfer hitnerläßt - aber ist diese art der überwachung nicht ebenfalls ein einbruch - nur vom staat, bzw. der polizei eben? macht es das deswegen weniger schlimm?
Hier kann man mit sicherheit vortrefflich verschiedener meinung sein, aber ich werde immer dafür sein, dass das kein brauchbares mittel ist, um meine "sicherheit" zu erhöhen - das ist es mir nicht wert. punkt.
Gilt für VDS, Gesichtserkennung und all diese ganze Pre-Crime Sch.... Sache.
Die "Dramatisierung" ist hier und m.E. auch grundsätzlich nicht angebracht; gerade wenn man ein wichtiges und richtiges Anliegen hat. Durch so etwas macht man sich unglaubwürdig und bietet den Gegnern nur unnötig Angriffsfläche
Dem Überwachungsstaat nicht viel abgewinnen zu können ist einseitig? Voll schlimm. Aber dafür haben wir ja die "Gewerkschaft der Polizei", die wird das alles wieder ins rechte Licht *hust* rücken können.
Sie sollten einen Artikel lesen, bevor Sie ihn kommentieren. Nur aus der Überschrift und dem Anreißer versuchen zu erraten, was dort stehen könnte und dann zu kommentieren, kann (wie hier) ziemlich daneben gehen.
Denn Herr Beuth hat eindeutig nicht den Überwachungsstaat gerechtfertigt, sondern lediglich das Vorgehen der Filmemacher kritisiert