Der Journalistikprofessor und Blogger Jeff Jarvis hat es ein Münchner Abkommen genannt, was Google und Verizon da nun geschlossen haben .
Bei dem Treffen 1938 in München hatten Frankreich und England Adolf Hitler erlaubt, das Sudetenland zu besetzen und es der Tschechoslowakei wegzunehmen. Sudetenland, das ist für Jarvis heute das Internet und die "Netizens", die Nutzer und Bewohner des Netzes, sind die Sudeten.
Der Vergleich ist hart. Aber er ist angebracht. Werden die Wünsche der Konzerne Realität, die derzeit über die Zukunft des Netzes verhandeln, wird es das Netz, so wie wir es bislang kennen , bald nicht mehr geben.
Der Suchmaschinenkonzern und die amerikanische Telefongesellschaft versuchen, im Internet so etwas wie Mautgrenzen und Zollschranken einzuführen. Gleichzeitig bauen sie an einer dauerhaften Überwachung der Inhalte.
Sie nennen es natürlich anders.
Im Kern geht es aber darum, dass Google seine Daten schneller zu den Kunden bringen will und bereit ist, dafür zu bezahlen. Das allerdings bedroht die Netzneutralität, die neben der Dezentralisierung eines der beiden Basisprinzipien der Internets ist.
Irgendwie fühlt Google sich diesem Grundsatz wohl noch verbunden, wenn auch auf eine sehr seltsame Art . Daher hat man sich zwei Umwege ausgedacht, um das eine zu tun, ohne das andere lassen zu müssen.
Der übelste ist die Idee des "lawful content". Die Neutralität des Netzes und die Gleichbehandlung von Daten sollen nur noch für solchen "gesetzestreuen Inhalt" gelten. Was illegal ist, darf diskriminiert werden. Prinzipiell nicht schlimm, das gesellschaftliche Leben funktioniert genauso. Mit einem entscheidenden Unterschied: In demokratischen Gesellschaften wird öffentlich, transparent und eben demokratisch verhandelt, was legal und was illegal ist.
Kommentare
Dafür gab es im Mittelalter ein Wort:
Raubritter.
Ein Konzern wächst und wächst
Eine schöne Analogie.
Aber das Wichtigste an diesem Vorstoß von Google ist, dass ich mitansehen darf, wie groß die Muskeln von Google sind.
Die Debatte, die Google hier anstößt, halte ich für einen groben Fehler, der nun zugenüge erläutert wurde.
Beeindruckender ist doch, dass wir hieran annäherend erkennen können, wozu Google, ganz einfach auf Grund seiner Größe, imstande ist. DAS ist dramatisch, und nicht, dass ein Konzern eine Internetmaut o.ä. vorschlägt. Je größer der Konzern, umso einflussreicher seine Vorschläge, sein Einfluss, seine Mittel und die Konflikte, die er gewinnt.
Google erinnert mich an den frühen Ford-Konzern.
Nur die halbe Wahrheit
Übertragung kostet Geld, das weiß jedes Kind. Die Allokation (Verteilung) dieser Kosten wird möglicherweise in Zukunft gezielter erfolgen.
Ob das dazu führt, dass das Netz langsamer, weniger vielfältig und kommerzieller wird, wage ich zu bezweifeln.
Lassen Sie uns doch einmal genauer darüber nachdenken, welche Folgen eine gezieltere Kostenallokation haben könnte.
Vielleicht führt es dazu, dass das Internet schneller wird, weil die Kosten von riesigen Datenmengen sichtbarer werden und Datennutzung sinnvoller betrieben wird. Ganz sicher leitet es auch ein Zeitalter neuer Kompressionsverfahren ein.
Man könnte sogar argumentieren, dass die Gewinne von Datenschleudern gemeinschaftlich finanziert werden. Nehmen Sie Portale wie Youtube/Clipfish/Youporn. In den meisten Netzen (gemessen z.B. von Universitäten) sind diese Portale für über die Hälfte des Datenaufkommens verantwortlich. Die Videoportale und ihre Nutzer zahlen aber nichts von diesen Kosten. Die Kosten werden stattdessen auf alle Nutzer umgelegt werden.
Ihr Pessimismus ist mir deshalb unverständlich. Mir ist kein Markt bekannt, wo eine bessere Kostenallokation nicht zu mehr Innovation, besseren Angeboten und ökonomischerem Nutzerverhalten geführt hätte.
Im Zweifel wird sich in einer freien Gesellschaft auch jemand finden, der einen eigenen Knotenpunkt aufbaut, wenn Konzerne uns bevormunden.
Falsche Sicht...
Diese Geschwindigkeitsprivilegierung kann man nur vergleichen mit Autobahnen, auf denen die Benutzung der dritten Spur nur gegen zusätzliche Gebühren erlaubt ist.
Alles andere ist Verschleierungstaktik, um das Faktum zu verstecken, dass man sich GEZ artige Gebühren sichern will, also das Privileg zur Geschwindigkeit nutzt, Angebote zu finanzieren, die sonst mangels Wirtschaftlichkeit nicht nachgefragt würden.
Das Ganze ist mit marktwirtschaftlichen Prinzipien unvereinbar, jedenfalls solange man unter Marktwirtschaft nicht deren neoliberale Entartung meint.
Denn der Zugang zum Markt wird privilegiert, nicht zum Produkt!
H.
Hinkhink- ich bin ein Vergleich
Das ist aber ein schiefer Vergleich. Die Sudeten haben mehrheitlich den Anschluß an das Deutsche Reich begrüßt. Das kann man in der "quasidemokratischen" Wiki nachlesen.
~ 1005
Ich fürchte, der Witz ist doch, dass selbst die modernen Betreiber innerhalb des internets, dem Sinnbild für Globalisierung und Liberalität, immer noch den alten Vorstellungen anhängen. Mehr nicht und nicht weniger. Man will Kontrolle oder Kasse machen. Damit stehen diese Initiativen der Weltkonzern auch als Sinnbild für die Schädlichkeit einer unkontrollierten Wirtschaft: Erst alles erobern und dann das Land unter sich aufteilen, um davon ein behagliches Nest zu stützen.
Ja ja, die Kosten des internets - und nicht nur die rein finanziellen in erster Betrachtung, sondern auch für Rohstoffe und immensen Energieverbrauch... Sicher, ein Thema, aber eben gerade deswegen keines, das man der willkürlichen, selbstgefälligen Bearbeitung durch einige wenige überlassen sollte.
Krame ich mal wieder in meinen Texten von 1998. Da steht meine Ansicht: internet (oder eine ähnliche Einrichtung) sollte staatlich finanziert sein, Dienste von allgemeinen Interesse angeregt, unterstützt und allenfalls auf verfassungskritische Details hin kontrolliert werden.
Anders gesagt: etwas wie Google, wikipedia und vieles mehr sollte aufgrund seiner Funktion und heutigen Bedeutung vom Staat finanziert werden, ähnlich dem Ideal der öffentlich-rechtlichen Medien. Diese im Realen könnten sogar die die Aufgabe gefährdenden Makel aufzeigen. Information darf kein Verkaufsgut sein.