Wir haben einiges getan, um unsere Tochter nicht in Rollenklischees zu erziehen. Eines Tages merkten wir, dass wir gescheitert waren. Luise wollte nur noch mit Puppen spielen. Fußball machte ihr nur noch in rein weiblichen Mannschaften Spaß. Als ich aus Wicki und die starken Männer vorlas behauptete sie steif und fest, Wicki sei ein Mädchen, "denn Jungs haben keine guten Ideen."
Und dann brachte ich sie einmal so früh in den Kindergarten, dass noch keine ihrer Freundinnen da war. Dafür spielten drei nette kleine Jungen mit großen Schaumwürfeln Schiffsreise.
"Warum spielst du nicht einfach mit?", fragte ich die schmollende Luise.
"Was?" Sie sah mich an, als sei ich übergeschnappt. "Das sind JUNGS! Ich kann doch nicht mit JUNGS spielen!"
"Warum nicht?", fragte ich verwirrt.
"Mit Jungs kann man nicht spielen! Weißt du das nicht?"
Das überraschte mich tatsächlich; immerhin war ich auch mal ein Junge: "Als ich dich gestern abgeholt habe, habt ihr Mädchen doch auch mit den Jungs gespielt!"
"Nein!", sagte Luise empört. "Das war Jungsalarm!"
Jungsalarm, bekam ich aus meiner Tochter heraus, bestand darin, dass eine Horde Jungs im Sandkasten eine flache Grube grub, je nach Jahreszeit Brennesseln, Steine oder Eiszapfen hineinwarf, und dann auf Mädchenjagd ging. Die gefangenen Mädchen hatten sich in die Grube zu kauern bis die Jungs sie gnadenhalber freiließen oder zum Essen mussten. Und konnten noch froh sein, bei diesem steinzeitlichen Ritual überhaupt mitwirken zu dürfen. Denn ansonsten wollten die Knirpse streng unter sich bleiben, wenn sie Bauarbeiter spielten. Oder Müllmann. "Oder Star Wurst," raunte meine Tochter bedeutsam.
"Star Wurst?"
"Das mit den Raumschiffen. Und dem Schießen!"
Ich hatte den Verdacht, dass Luise die Fronten zu krass darstellte und startete spontan einen Versuch, die Geschlechter zu versöhnen.
"Dürfen kluge große Mädchen bei euch mitspielen?", fragte ich die drei Schiffsreisenden.
Sie sahen mich an, als sei ich ein Alien. "Nein!", sagte dann einer. "Mädchen sind dafür nicht stark genug!"
Während ich mich noch bei meiner Tochter für mein hochpeinliches Eingreifen entschuldigte, kam zum Glück ihre Freundin Mia.
"Seltsam", sagte ich daheim zur Liebsten, "ich hatte bis jetzt nicht das Gefühl, dass unser Kindergarten so altmodisch ist..."
Sie lachte. "Nicht der Kindergarten, die Kinder!" Ob mir nicht aufgefallen sei, dass die Mädchen am Freitag, dem Spielzeugmitbring- und Verkleidungstag immer Feen- und Prinzessinnenkleidchen anlegten, die Jungs aber Ritter- und Cowboykluft?
Bin ich ein Macho?
Beim Googeln fand ich heraus, dass Kinder die geschlechterklischeehaften Verhaltensweisen ihrer Eltern unbewusst kopieren. Ich konnte mich zwar nicht erinnern, wann meine Liebste zuletzt im Feenkleid und Zaubersprüche murmelnd durch die Wohnung geschwebt war, aber eins stimmte: Ich hatte das noch nie getan. Sonst verhielt ich mich wenig stereotyp. Ich machte Frühstück. Ich kochte und räumte die Spülmaschine ein. Ich säuberte den Ofen und das Badezimmer. Und als wir abends essen gingen, achtete ich darauf, dass die Liebste bezahlte.
"Findest du, dass ich ein Macho bin?", fragte ich sie.
"Im Moment nicht", sagte sie.
"Führen wir eine zeitgemäße, gleichberechtigte Beziehung?", fragte ich.
"Wahrscheinlich. Wenn Du auch mal die Waschmaschine..."
"Wieso ist dann unsere Tochter so?"
Im Kindergarten fragte ich Martha, die Erzieherin, ob sie auch glaube, dass im Moment eine Generation heranwachse, die dabei war, sämtliche Errungenschaften weiblicher wie männlicher Gleichberechtigung brutal in die Tonne zu treten.
Sie schüttelte den Kopf. "Die Kinder wollen sich ihrer Identität als Mädchen und Jungen versichern", sagte sie. "Das ist wichtig für die Entwicklung. Und geht wieder vorbei."
Ich fragte, ob man seinem Kind helfen könne, sich von den überkommenen Rollenbildern zu lösen. "Würde es helfen, wenn ich meine Hemden nicht mehr in die Wäscherei gebe, sondern zu Hause bügle? Wissen Sie, ich bin sonst nicht sehr klischeehaft..."
Martha lachte, es klang, als lache sie mich aus. "Wetten, dass Sie sich schon sehr klischeehaft verhalten haben?"
"Niemals!", sagte ich.
"Doch. Als Ihre Tochter noch kleiner war: Sind Sie da nicht vorsichtig mit ihr umgegangen? Haben nicht ganz so wild mit ihr gespielt? Viel mit ihr gesprochen? Sie nichts Schweres tragen lassen?"
"Natürlich", rutschte mir heraus. "Sie ist doch ein Mädchen!..."
Kommentare
Immer das Gejammere
Ich bügele meine Hemden selbst, koche häufiger als meine Frau, insbesondere hinterlasse ich die Küche auch nicht wie ein Schlachtfeld. Jede Art von Hausarbeit mache ich zumindest gelegentlich, manches sogar ausschließlich und doch geht es mir wie dem Autor: "Wahrscheinlich. Wenn Du auch mal die Waschmaschine..."
Mein bester Kumpel schafft Geld heim und das wars. Er muss sich das gleiche Gejammere anhören: "Wahrscheinlich. Wenn Du auch mal die Waschmaschine..."
Nun will ich so leben, ein Zurück gibt es sowieso nicht. Nach dem Essen abzuspülen ist längst auch eine Entspannungsübung geworden, die ich nicht missen möchte, fast schon ein ganz persönlicher Moment.
Aber für die Mann-Frau-Beziehung völlig wertlos, wenn Jammern dran ist, wird gejammert.
Das Gejammere
ist halt auch nur kopiertes Verhalten. Und in dem Maße, wie es sich insbesondere n der Geschlechterpolitik wiederfindet, wird es wohl auch weiterhin vorrangig von Mädchen kopiert bzw. gezielt eingesetzt werden.
Spätestens in der Pubertät
Mag ja sein, dass die "Kita-Geschlechterfronten" sich noch weiter verhärtet haben im Vergleich zu den 90er Jahren, als meine Kinder die Kita besuchten. Meine Töchter hatten jedenfalls keine Probleme, auch Jungs in ihr Spiel einzubeziehen, sie hatten sogar jede einen richtigen Kindergartenfreund. Mein Sohn, als jüngstes Kind, pflegte sich aber von Anfang an sehr abzugrenzen gegenüber den Mädchen in seiner Gruppe. Seine Kindergeburtstage waren immer reine Jungengeburtstage. Dies änderte sich bei ihm erst in der Pubertät.
Ist vielleicht einfach eine Typsache.
Sehr schöner Artikel...
..der auf lustige Weise vormacht, daß nicht bewußt agierende Erwachsene sondern deren Unterbewußtsein (sehr schön im Schluß des Beitrags auf den Punkt gebracht) und die Gesellschaft/Peer-Goups die Kinder erziehen.
Das man es anders plant & beabsichtigt ist schön & gut, daß aber so vielen Eltern auch reflexiv dazu keinen Zugang haben ("Wie erziehen unsere Kinder selber !" höre ich oft), ist sehr traurig. Oder zumindest unentspannt.
Danke für den Schmunzel-Einsichts-Artikel!
(P.S. bitte arbeitet an diesem Kommentar-Eingabefeld !)
Jetzt muß sogar schon das "Unterbewußte"
herhalten, nur weil man eine einzige Möglichkeit nicht in Betracht ziehen kann: Daß "Geschlechtrklischees" nicht allein Klischees und nicht allein "anerzogen" sind.
Geben Sie's zu, Herr Spörrle:
Ein wenig überspitzt ist das schon, oder?
Mein Kind spielte im Kindergarten sehr oft mit Angehörigen des anderen Geschlechts, es wurde regelrecht umschwärmt - doch es spielte auch gerne mit Kindern seines eigenen Geschlechts. Auch jetzt noch, im Grundschulalter, hat es, auch wenn es etwas lieber mit gleichgeschlechtlichen Kindern spielt, kein großes Problem mit den "anderen".
Auch während meiner eigenen Kindheit schüsselte ich als Mädchen mit den Jungs auf Rollern oder Fahrrad durch die Gegend und spielte A-Team und Indianer und machte mich im Matsch ordentlich dreckig, während sich der ein- oder andere Knabe auch zu Vater-Mutter-Kind überreden ließ. Nur bei Püppchen war der Ofen endgültig aus. ;-)