Von einer "gefährlichen Zurückhaltung" von Akademikern bei der Familienplanung sprach der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder im Herbst 2004. Um gut verdienende Paare bei der Familiengründung zu unterstützen, plante seine Familienministerin Renate Schmidt ein einkommensabhängiges Elterngeld – und scheiterte am Widerstand in den eigenen Reihen. Das Projekt erbte Schröders Nachfolgerin: Angela Merkel war gerade ein Jahr Bundeskanzlerin, als das Elterngeld im Bundestag beschlossen wurde.
Anders als beim Erziehungsgeld, das hauptsächlich eine "Unterstützung der bedürftigen Familien" gewesen sei, wolle man nun vor allem Akademiker und Besserverdienende dabei unterstützen, ihren Lebensstandard auch in einer Babypause halten zu können, sagte sie einmal.
Gerade ist das Elterngeld zehn Jahre alt geworden. Was denken Mütter und Väter über die Familienleistung und hat die Kompensation des Verdienstausfalls sie wirklich ermutigt, ein Kind zu bekommen? Hilft das Elterngeld ihnen, den "Lebensstandard" zu halten, oder sind die Vorzüge ganz andere?
ZEIT ONLINE hat seine Leser nach ihren Erfahrungen gefragt. Rund 3.000 haben sich die Zeit genommen, unseren Fragebogen auszufüllen. Ihre Antworten sind nicht repräsentativ – also statistisch nicht für alle Elterngeldbezieher gültig. Aber die Antworten der Mütter und Väter geben einen guten Überblick darüber, wie sie heute diese Familienzeit gestalten.
Klassische Rollenverteilung bleibt
Die Auswertung unserer Leserumfrage zeigt: Nach wie vor ist das Elterngeld Müttersache. Die Mehrheit der Frauen, die an unserer Befragung teilnahmen, bezog volle zwölf Monate lang Elterngeld. Dagegen schöpfte nur jeder zwanzigste Vater die maximale Elternzeit von zwölf Monaten aus. Die meisten Väter (46 Prozent) blieben genau die zwei Monate zu Hause, um die das Elterngeld verlängert wird, wenn sich Mutter und Vater die Elternzeit teilen ("Partnerschaftsbonusmonate").
16 Prozent der Väter nahmen gar keine Elternzeit, nur drei Prozent der Mütter entschieden sich ebenso. Wenn der Mann viel verdient, geht er eher arbeiten: Familien, in denen der Vater den größeren Teil der Elternzeit übernimmt, hatten vor der Geburt ihres Kindes im Schnitt ein niedrigeres Haushaltseinkommen als Familien, in denen die Mutter länger zu Hause bleibt.
Wenn beide Elternteile etwa gleich viel verdienten, nahmen sie auch beide etwa gleich lang Elternzeit: die Einkommensdifferenz zwischen Mutter und Vater ist in unseren Daten dort am niedrigsten, wo Väter sieben bis neun Monate lang Elterngeld bezogen haben.
In Familien, in denen der Vater gar keine Elternzeit nahm, verdiente die Mutter im Schnitt 800 Euro weniger als ihr Partner. Der Wert ist auch deshalb so hoch, weil in dieser Gruppe der Vater vergleichsweise häufig auch vor der Geburt der einzige Berufstätige der Familie war.
Viele Mütter beklagen Karriereknick nach Elternzeit
Viele Befragte gaben an, sie hätten sich die Aufteilung der Elternzeit und des Elterngeldes zu gleichen Teilen nicht leisten können. Christiane zum Beispiel hat ihr Kind noch während des Studiums bekommen, ihr Freund hat eine feste Stelle. Diese auszusetzen, um für sein Kind da zu sein, sei quasi unmöglich, schreibt Christiane: Da sie als Studentin ohne festes Einkommen nur den Mindestsatz Elterngeld bekommt, sei die Familie "auf das volle Gehalt meines Partners angewiesen". Eine Leserin schreibt, dass die Gleichberechtigung in Paarbeziehungen besonders vom Steuerrecht aufgehalten werde. In mehreren Antworten findet sich die Klage, das Ehegattensplitting belohne das traditionelle Ein-Verdiener-Modell und bestrafe Familien, in denen sich die Partner Erwerbs- und Erziehungsarbeit gleichmäßig teilen wollen.
Außerdem macht der Wohnort einen Unterschied: In ländlich geprägten Regionen blieb ein Viertel aller Väter gar nicht für ihr Kind zu Hause, in Städten entschieden sich nur durchschnittlich 15 Prozent komplett gegen Elternzeit. Unabhängig vom Wohnort bezog beinahe jeder zweite Vater zwei Monate lang Elterngeld, bei drei Vätermonaten und länger liegen die Städter leicht vorn.
Dadurch, dass Mütter meist länger als ihre Partner zu Hause bleiben, haben sie auch stärker unter den Auswirkungen auf ihre Karriere zu leiden. Jede vierte Mutter beklagt in unserer Leserumfrage, dass ihr ein beruflicher Nachteil aus ihrer Elternzeit entstanden sei. Dem stehen acht Prozent bei den Väter gegenüber, die eine negative Entwicklung am Arbeitsplatz beschrieben.
Vätermonate sind gemeinsame Urlaubszeit
Und noch ein Trend ist erkennbar: Die Väterzeit ist meist gemeinsame Familienzeit. Unter den Vätern, die Elterngeld bekommen, kümmerten sich nur 60 Prozent wirklich allein zu Hause ums Kind während die Mutter arbeiten ging. Vier von zehn Vätern verbrachten hingegen gleichzeitig mit der Mutter Elternzeit und versorgten somit das Kind nicht allein. Interessant in diesem Zusammenhang: Fast die Hälfte der Väter und Mütter (46 Prozent), die mindestens einen Monat gemeinsam in Elternzeit waren, haben währenddessen eine längere Familienreise unternommen.
Das Baby wäre sowieso gekommen
Zwar ist die Geburtenziffer, also die Zahl der Kinder pro Frau, in den vergangenen zehn Jahren stetig gestiegen, zwischen 2005 und 2015 von 1,34 auf 1,5 Kinder pro Frau. Aber für unsere Leser scheint das Geld nicht unbedingt das ausschlaggebende Argument gewesen zu sein, ein Kind zu bekommen.
In unserer Befragung gaben nur 25 Prozent der Eltern an, das Elterngeld als Lohnersatzleistung habe ihre Entscheidung für ein Kind positiv beeinflusst. Rund 70 Prozent der Eltern sagten hingegen, sie hätten auch so ein Baby bekommen.
Interessant ist, dass nur für 13 Prozent der Familien mit einem Haushaltsnettoeinkommen von weniger als 1.500 Euro das Elterngeld eine Rolle bei der Entscheidung für ein Kind spielte. Das hat vermutlich damit zu tun, dass das Elterngeld einkommensabhängig ist – wer sehr wenig verdient, Student oder Hartz-IV-Empfänger ist, bekommt nur 300 Euro pro Monat. Das ist genauso viel wie das vorherige Erziehungsgeld, allerdings über einen kürzeren Zeitraum. Geringverdienern bringt das Elterngeld also nicht wirklich etwas – sie sind vielmehr noch schlechter gestellt als vorher.
In mittleren Einkommensgruppen hingegen macht jedes dritte Elternpaar das Elterngeld mitverantwortlich für seine Entscheidung, ein Kind zu bekommen. In den oberen Einkommensgruppen sind es wieder weniger – was auch damit zu tun hat, dass die staatliche Kompensation des Verdienstausfalls pro Elternteil auf maximal 1.800 Euro gedeckelt ist und diese Familien sowieso keine Geldsorgen haben.
Wartezeiten in Dresden und Düsseldorf
Nachdem wir immer wieder von langen Wartezeiten auf den Elterngeldbescheid gehört hatten, haben wir auch dazu eine Frage an unsere Leser gerichtet. Der Antrag auf Elterngeld kann erst nach der Geburt gestellt werden, weil Eltern dazu die Geburtsurkunde ihres Kindes einreichen müssen. Wer also direkt nach der Geburt in Elternzeit geht, muss die Wartezeit aus eigener finanzieller Kraft überbrücken.
56 Prozent der Eltern in unserer Umfrage haben den Bescheid und damit die Anweisung ihres Gelds nach spätestens vier Wochen bekommen, knapp 13 Prozent mussten länger als acht Wochen darauf warten. In Bremen, Sachsen und Berlin arbeiten die Behörden am langsamsten, die schnellste Bearbeitung gelingt ihren Kollegen in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein.
Schlusslicht in unserer Umfrage sind unter den Großstädten Dresden und Düsseldorf: Dort gab rund ein Drittel der Leser an, länger als zwei Monate auf die Bearbeitung ihres Antrags warten zu müssen. Eine lange Zeit, die junge Familien da nach Wegfall mindestens eines Gehalts überbrücken müssen. Ganz anders in Freiburg: Hier hatten 93 Prozent der teilnehmenden Eltern schon im ersten Monat nach der Geburt den bearbeiteten Elterngeldantrag in ihren Händen.
Kommentare
Es wird ja auch sozialpolitisch nichts dafür getan, dass es Männern leichter fällt, aus ihrer klassischen Rolle herauszubrechen. Viele (wahrscheinlich sogar die meisten) Frauen betrachten Männer, die keine erfolgreiche Karriere im Vollzeitjob haben, als Loser und schließen sie bei der Partnerwahl aus. Diese Haltung wird gesellschaftlich voll akzeptiert und nur selten herausgefordert. Gleichberechtigung funktioniert aber nur in beide Richtungen. Solange das nicht begriffen wird müssen gibt es eben nur ineffiziente Quotenregelungen und positive Diskriminierung.
Kann es sein, dass hier auch einfach Rollen, welche aufgrund natürlicher Voraussetzungen sich über Jahrtausende entwickelt haben, tief in uns verankert sind? Dass etwa eine Frau, welche ein Kind gerade neun Monate in ihrem Innersten getragen hat, gerade nach der Geburt eine ganz andere Bindung zu diesem Kind hat und einen wesentlich stärkeren Drang hat, möglich lange mit diesem Kind zusammen zu bleiben?
Der begrenztende Faktor für die "Väterzeit" ist oft wohl weniger das Geld, als die Furcht (z.T. eingebildet, oft aber auch sehr real) beruflich "abgestraft" zu werden. Hier werden Väter (noch) häufig strenger behandelt als Frauen ("Dass sie Mutterzeit nimmt, ist ja normal, aber bei ihm zeigt es, dass er sich nicht wirklich für seinen Job engagiert") - in meiner Erfahrung übrigens durchaus auch von weiblichen Vorgesetzten.
"Die klassische Rollenverteilung dominiert weiterhin. "
Das muß natürlich schlecht sein. Andere Möglichkeit kann es nicht geben.
"Klassische Rollenverteilung bleibt"
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Und was ist nun so furchtbar daran?
Es handelt sich hier hierbei um eine freie Entscheidung der hieran beteiligten erwachsenen Menschen.
Die entsprechenden Entscheidungen über eine Inanspruchnahme des Elterngeldes sind genau so, wie es die Paare für sich als richtig erachten.
Ich vermag nicht zu erkennen, was dies mit fehhlender Gleichberechtigung zu tun haben sollte.
Lassen wir doch den Menschen ihre Entscheidung.
"Es handelt sich hier hierbei um eine freie Entscheidung der hieran beteiligten erwachsenen Menschen."
genau das ist der springende Punkt. Wenn es eine freie Entscheidung ist, spricht gar nichts dagegen. Wenn aber die Entscheidung durch äußere, systemische Bedingungen in eine Richtung gedrängt wird (ich sage das bewußt wert- und Richtungsfrei), wäre das ein Grund etwas an diesen Bedingungen zu ändern, damit eben jeder eine freie Entscheidung treffen kann.
Genau dafür werden diese Studien / Umfragen etc gemacht. Gibt es systemische Bedingungen, die die freie Entscheidung zu einer "unfreien" machen? Ist das in der Gesellschaft akzeptiert oder will die Gesellschaft das ändern ? Welche Änderungen wünscht sich die Gesellschaft? Was ist politisch / fiskalpolitisch umsetzbar ?
Ich vermisse in der Umfrage Angaben, wie viel Prozent der Frauen die Kinder ausgetragen haben, und wie viele der Männer diese Aufgabe übernommen haben. Auch bei der Inanspruchnahme des Mutterschutzes wird hier keine Angabe gemacht.
Danke für diesen Kommentar.
Wir sollten uns auch noch drüber streiten ob das nun fair ist, dass Frauen die Kinder auf die Welt bringen müssen und wie man das nun gendergerechter machen könnte...
Weiterhin das natürliche stillen, hier meine ich dies könnten langsam wir Männer mal übernehmen...