Die Abmachung des Berliner Senats mit den Flüchtlingen vom Oranienplatz ist laut einem Entscheid des Verwaltungsgerichts bindend. Es handele sich bei dem "Einigungspapier Oranienplatz" nicht um eine unverbindliche Absichtserklärung, von der keinerlei Rechtswirkung ausgehe – auch wenn der genaue rechtliche Status des Papiers noch geprüft werden müsse. Zu dem Schluss kommt die Kammer in einem Eilverfahren, das ein betroffener Flüchtling angestrengt hatte. Das Hauptverfahren steht allerdings noch aus.
Bisher hatte vor allem der zuständige Innensenator Frank Henkel (CDU) versucht, sich aus der Verantwortung zu ziehen. Er vertritt die Auffassung, dass die von der Senatorin für Integration, Dilek Kolat (SPD), mit den Besetzern des Kreuzberger Oranienplatzes und der Gerhart-Hauptmann-Schule Anfang Juli getroffene Vereinbarung [hier als PDF] nicht für den Senat als Ganzes und damit nicht für sein Ressort gelte. Der Senator für Inneres ist allerdings für Asylverfahren zuständig und damit für die Umsetzung eines Großteils der Beschlüsse vom Oranienplatz. Diese beinhalten neben einer "umfassenden Prüfung" auch eine vorläufige Unterbringung in der Hauptstadt. Das Gericht befindet in seinem Entscheid, der ZEIT ONLINE vorliegt, nun: Das Einigungspapier sei vom Senat vorgestellt worden und gelte damit auch für alle Senatoren.
Darüber hinaus könnte der Beschluss der bisherigen Praxis der
Berliner Verwaltung ein Ende bereiten. Diese hatte sich darauf
zurückziehen können, dass für viele der Asylbewerber andere Bundesländer zuständig sind, weil sie eben dorthin verteilt worden waren – und entsprechend dort über
den Status entschieden werden müsse. Laut dem Gericht begründet das
Einigungspapier Oranienplatz für alle Flüchtlinge, die unter die
Regelung fallen, die Zuständigkeit des Landes Berlin für die Verfahren
zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis.
Zumindest müssen die Berliner
Behörden jeden Fall prüfen – und, da sich die Flüchtlinge während der
Prüfung in Berlin befinden, wohl auch für deren Unterhalt aufkommen. Das
bedeutet außerdem, dass die Berliner Behörden den
Flüchtlingen auch ein Bleiberecht aussprechen könnten. Allein durch den Entscheid des
Verwaltungsgerichts haben sie aber noch keinen Anspruch auf eine
Duldung oder eine Aufenthaltserlaubnis.
Für die verbliebenen Besetzer der Schule gilt die Entscheidung nicht
Insgesamt können sich 553 Flüchtlinge auf das Einigungspapier Oranienplatz berufen. Darunter sind diejenigen, die den Platz im März freiwillig räumten sowie Besetzer der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule, die das Gebäude bis Juli freiwillig verließen. Die noch verbliebenen 45 Bewohner der ehemaligen Schule können von der Entscheidung allerdings nicht profitieren. Das Angebot des Senats war ausdrücklich nur an diejenigen gerichtet, die die Besetzung freiwillig aufgaben.
383 dieser Fälle hat die Ausländerbehörde mittlerweile geprüft: Nur zwei der Bewerber dürfen in Berlin bleiben. Allein bei knapp zwei Dritteln der abgelehnten Antragsteller soll negativ entschieden worden sein, weil jeweils zwei Termine verpasst worden waren. Anwälte, Verbände und Politiker kritisierten, dass die Termine viel zu kurzfristig vergeben worden seien. Teilweise kurzfristiger als in normalen Verfahren – obwohl der Senat sich in der Vereinbarung dazu verpflichtet hatte, "umfassend" zu prüfen und Unterstützung beim Verfahren zu gewähren.
Die Aufforderungen seien mitunter innerhalb einer Woche verschickt worden – viel zu wenig Zeit für Asylbewerber, um etwa Dokumente zusammenzusuchen und Anwälte zu kontaktieren, kritisiert die Berliner Integrationsbehörde. Von einer "umfassenden Prüfung" könne daher keine Rede sein. Krankheit, Angst vor Behörden oder Sprachbarrieren können ebenfalls eine schnelle Reaktion verhindern. Ob der aktuelle Beschluss des Verwaltungsgerichts auch für bereits abgelehnte Antragssteller Auswirkungen hat, ist offen.
Ob die Schule geräumt wird, ist weiter unklar
"Der Beschluss zeigt ganz deutlich, dass die Ausländerbehörde die Bearbeitung von Verfahren widerrechtlich verweigert hat", sagt Fabio
Reinhardt von der Piratenpartei. Die Flüchtlinge hätten ein Anrecht auf ein umfassendes und faires Verfahren in Berlin gehabt. Die Behauptung Henkels, wonach der Oranienplatzkompromiss seitens der Behörden eingehalten wurde, sei damit auch juristisch widerlegt. Reinhardt fordert, sämtliche Verfahren neu aufzurollen.
Den verbliebenen Besetzern der Hauptmann-Schule droht seit Anfang November die Räumung durch die Polizei. Weder Bezirk noch der zuständige Senat für Inneres wollen sich jedoch dazu äußern, ob inzwischen ein entsprechendes Amtshilfeersuchen gestellt worden ist.
Einen Beschluss zum Umbau der Schule hat das Kreuzberger Bezirksamt inzwischen zurückgezogen, er wird nun überarbeitet, nachdem die Diakonie als Träger des geplanten Flüchtlingszentrum feststeht. In der ursprünglichen Fassung sollte ein Teil der
Flüchtlinge während des Umbaus auf dem Gelände bleiben können. Die Flüchtlinge hatten dagegen gefordert, alle in der Schule bleiben zu dürfen.
Für die Flüchtlinge ist nach wie vor unklar, ob sie sich auf die mit Senat und Bezirk getroffenen Vereinbarung stützen können. Auch die Berliner Gerichte scheinen sich uneins über den Status des Einigungspapiers. Ende September entschied das Verwaltungsgericht in einem ähnlich gelagerten Eilverfahren, dass der klagende Flüchtling sich nicht auf das Papier berufen und in Berlin bleiben könne.
Anmerkung: In einer früheren Version stand fälschlicherweise, dass ein Beschluss der Bezirksversammlung, nicht des Bezirksamts, rückgängig gemacht wurde. Dieser sah auch nur für einen Teil der Besetzer (35 Menschen) vor, auf dem Gelände bleiben zu dürfen, nicht für alle.
Kommentare
am Ende sollten
wir darauf achten das wir die Asylsuchenden nicht kriminalisieren oder kritisieren und ihnen eine Chance geben .
Stellen sie sich einmal vor sie wären ein Bewohner dieser Schule und müssen täglich damit rechnen das sie abgeschoben werden in noch unmenschlichere Verhälrnisse, das ist doch bald Folter.
Die Einwanderer die gerne in Deutschland bleiben möchten um eine Ausbildung oder Tätigkeit zu beginnen hätten mehr davon wenn solche Möglichkeiten sofort starten. Innerhalb der Tätigkeit oder Ausbildung können wunderbar soziale Kontakte entstehen die eine Integration sicherlich positiv beschleunigen und den anderen EU-Ländern zeigen das wir auch Einwanderung können.
dass wir auch Einwanderung können!
Dass sollen wir den anderen EU-Ländern zeigen?
In Europa dürften wir was Einwanderung betrifft wohl alle Rekorde brechen und weltweit gesehen ist Deutschland wohl auch Rekordhalter, zumindest
in Sachen Einwanderung mit entsprechender Rundumversorgung.
Nur zur Information: In der EU nehmen nur 5 von 27 Staaten Flüchtlinge auf.
Müsste es deshalb nicht heißen "sollen doch erstmal die anderen 22 EU-Staaten beweisen, dass sie auch Einwanderung können".
Verwunderung meinerseits
"Allein bei knapp zwei Dritteln der abgelehnten Antragsteller soll negativ entschieden worden sein, weil jeweils zwei Termine verpasst worden waren."
"Die Aufforderungen seien mitunter innerhalb einer Woche verschickt worden – viel zu wenig Zeit für Asylbewerber"
Eine Woche hat bekanntlich 7 Tage, und der Formulierung nach waren das die extremsten Fälle. Ich verstehe daher nicht, inwiefern das nicht genug Zeit sein soll. Ich frage mich, wieviele verschiedene Dokumente von einem Asylbewerber überhaupt verlangt werden können.
Andererseits kann ich mir auch nicht vorstellen, dass die Asylbewerber gleich zwei Termine, die essentiell für ihren Verbleib sind, verstreichen lassen. Es ist ja, dank Arbeitsverbot, unwahrscheinlich, dass sie dringendere Verpflichtungen haben. Persönliche Gründe können es, aufgrund der Anzahl der auf diese Art abgelehnten Anträge, auch nicht sein.
Ist es eine Art des Protests gegen ein "unfaires" Verfahren, nicht zu erscheinen? Haben die Asylbewerber die Zeit genutzt, um unterzutauchen?
Zwischen diesen beiden Extremen schwanken die Möglichkeiten, die ich mir nach dem Lesen des Artikels vorstellen kann.
Dann reden Sie doch mal mit den Leuten
Eine Geburtsurkunde wird wohl als mindestes verlangt werden. Ob die immer in Deuschland ist, wage ich zu bezweifeln. Die muss natürlich amtlich/notariell beglaubigt übersetzt werden. Dafür muss erst einmal Geld aufgetrieben werden, ein Übersetzer gefunden und dieser muss auch kurzfristig die Zeit dafür finden. Da hat eine Woche selbstredend nur 5 Arbeitstage. Aber die Geburtsurkunde wird sicher nicht alles sein - es gibt ja noch Ausweispapiere, Heiratsurkunden usw. Und der Bescheid muss überhaupt erstmal in die Muttersprache übersetzt werden - glauben Sie nicht, irgendeine Behörde macht sich die Mühe, so was in deren Muttersprache zu übersetzen.
... was ist die Erwartung ?? ...
"Die Einwanderer die gerne in Deutschland bleiben möchten um eine Ausbildung oder Tätigkeit zu beginnen ...."
- und das kann jeder Flüchtling/(illegal) Einwanderer so selbst für sich - aber natürlich rechtsverbindlich für DE?!? - entscheiden?
btw.: folgt eigentlich auf eine "wohlwollende" Einzelfall-Prüfung (lt. der Vereinbarung) zwingend (quasi eigentlich ohne tatsächliche Prüfung/Beurteilung) ein Bleiberecht/Anerkennung ??
Die Klagen häufen sich.
Die Klagen von Asylbewerbern vor Gerichten häufen sich. Ich frage mich, woher nehmen die das Geld für ihre Anwälte? Oder werden sie umsonst vertreten? Ich könnte mir das finanziell nicht leisten.
Das Geld für die Anwälte ...
... kommt natürlich vom Staat, über die Prozesskostenhilfe. Für gute Anwälte ist das aber normalerweise kein gutes Geschäft. Diese Anwälte setzen sich deshalb aus zwei Gruppen zusammen: (1) Linksgrüne "Überzeugungstäter" und (2) solche, die mit Ach und Krach das zweite Staatsexamen geschafft haben und sich - mangels anderweitiger Beschäftigung - mit solchen Tütelskram über Wasser halten müssen. So oder so - es sind Ihre und meine Steuergelder, die dafür draufgehen.