Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Franziskus offenbar nie wegen europakritischen Äußerungen angerufen. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, "dass die Bundeskanzlerin sich nicht an einen Anruf beim Papst erinnern kann". Merkel "schätzt ansonsten jede Begegnung mit ihm außerordentlich".
Papst Franziskus hatte der italienischen Zeitung Corriere della Sera erzählt, dass ihn Merkel vor einiger Zeit aufgebracht angerufen habe wegen einer kritischen Äußerung zum Thema Europa. "Sie war ein bisschen verärgert, weil ich Europa mit einer unfruchtbaren Frau verglichen hatte", sagte der Papst.
Merkel habe ihn im November 2014 kurz nach seiner Rede vor dem EU-Parlament in Straßburg angerufen, sagte Franziskus weiter: "Sie fragte mich, ob ich wirklich denke, dass Europa keine Kinder mehr bekommen könne." Er habe ihr geantwortet, das sei immer noch möglich, weil Europa "starke und tiefe Wurzeln habe". Denn es habe "eine einzigartige Geschichte" und verkörpere eine große Kultur und Tradition. Gerade in den "dunkelsten Momenten" habe Europa zudem "immer ungeahnte Ressourcen gezeigt", sagte der Papst.
Sein Blick auf den alten Kontinent sei keineswegs pessimistisch, betonte Franziskus – auch mit Blick auf den Karlspreis, den er am 6. Mai in Rom entgegennehmen wird. Dabei werde er sicher eine Rede voll "großer Zuneigung" halten. In Straßburg habe er ja neben manch kritischem Wort auch betont, dass ein Europa mit seinen religiösen Wurzeln, seinem Reichtum und seinem Potenzial auch leichter immun sein könne gegen die vielen Extreme, die in der heutigen Welt weitverbreitet seien.
In einer politischen Rede hatte Franziskus in Straßburg ein ungeschminktes Bild eines Europas gezeichnet, das dabei sei, seine Vision und seine Identität zu verlieren: "In vielen Bereichen haben wir heute den Eindruck von Verzagtheit und Alterung, von einem Europa, das wie eine 'Großmutter' wirkt, nicht länger fruchtbar und vital." Ein vergreisender Kontinent scheine sein Selbstbewusstsein und seinen Optimismus verloren zu haben, je mehr sich sein fortschreitender Machtverlust in der globalisierten Welt abzeichne. Die Bürger verlören zudem in der wirtschaftlichen Krise das Vertrauen in die EU-Institutionen. Dabei, sagte Franziskus damals, bleibe die europäische Einigung ein großartiges Projekt des Friedens und der Solidarität.
Kommentare
Wo er recht hat, hat er recht.
Frau Merkel als Politikerin weiß das zwar auch,
hält es aber für notwendig, das nicht öffentlich auszusprechen.
Der ständige Defätismus Europa gegenüber ist wohlfeil, populistisch und destruktiv. Und dass der Papst ebenfalls auf diesen Zug aufspringt ist tatsächlich ärgerlich - zumal die "Eurokritik" oft nationalistisch motiviert ist und man die rechte Reaktion nicht auch noch anschieben sollte. Aber na ja, andererseits ist der Papst schließlich Oberhaupt des Katholizismus...
Der Anruf zeigt: Franziskus traf Mutti ins Herz. Das tat weh, weil Sie merkte, dass er wohl Recht hatte.
Nun hat er im Mai die Gelegenheit, die Großmutter zum Leben zu erwecken. Er wird es unter großem Beifall wohl versuchen.
Falls es Angela Merkel war und seine Heiligkeit nicht auf Jan Böhmermann oder Konsorten hereingefallen ist.
Als Laienpsychologe würde ich sagen, dass Merkel dieses Bild von Europa als unfruchtbare Frau besonders getroffen hat, weil sie zwar Mutti genannt wird aber im biologischen Sinne keine ist.
Der Papst hat mit seinem Vergleich tatsächlich eine Realität angesprochen. Die europäische Zurückhaltung in Sachen Reproduktion muß aber angesichts einer rasant wachsenden Weltbevölkerung nicht wirklich negativ sein.
Merkel ist biologisch keine Mutter. Der Papst beleidigt aber Großmütter, also Frauen, die Kinder bekommen haben und brandmarkt diese als unfruchtbar und nicht vital.
Der Papst äussert sich kritisch über Europa und bekommt einen verärgerten Anruf von der Kanzlerin.
Wie ergeht es dann wohl einem Chefredakteur oder einem Abgeordneten?
Da haben Sie einen Punkt...