Wer das Elend westlicher Arbeitswelten sucht, findet es oft am Ende von Stellenausschreibungen. Ganz gleich, ob ein Fondsmanager oder eine Sozialpädagogin gesucht wird, steht da: "Wir erwarten zu Problemen kreative Lösungen". Und das ist nur ein Beispiel aus dem Wortnebel, der den Thesaurus unserer sogenannten Leistungsgesellschaft bildet, Flexibilität, Feedback, Individualität, Work-Life-Balance. Am Schluss dieser Reihe steht ein Wort, das es jetzt wieder in die öffentliche Diskussion geschafft hat: Burn-out.
Der Fußballtrainer Ralf Rangnick hat kürzlich gesagt, er sei "ausgebrannt". Diesen Fall aus dem Geschäft des Leistungssports nahmen zahlreiche Medien zum Anlass, über das Phänomen Burn-out zu berichten. Die aktuelle Ausgabe des Stern etwa gibt einen Überblick über Personen, auch fern der Prominenz, die sich über die Jahre krankenhausreif gearbeitet haben. Ähnliches auf ZEIT ONLINE . Und von der "Volkskrankheit Burn-out" sprachen gar die Frankfurter Rundschau , Bild und Spiegel . Letzterer mit dem symptomatischen Nachsatz: "Wie Erschöpfung die Volkswirtschaft schwächt."
Der Satz offenbart die Schieflage, in der sich die gegenwärtige Diskussion befindet. Der Mensch als ökonomischer Störfall, und nicht etwa: "Wie die Volkswirtschaft den Menschen erschöpft." Sonst würde es ja auch kompliziert. Statt Volkskrankheit müsste man Systemkrankheit sagen, und das klänge sogleich nach Revolution, nach den richtig dicken Brettern der Kapitalismuskritik, nach Demonstrationen und Nasswerden, nach einem retardierenden Moment in Zeiten von Beschleunigung und Fortschritt, wo doch alles gerade wie geschmiert läuft in Deutschland.
Volkskrankheit hingegen klingt nach etwas bequem Therapierbarem. Wie Volkskrankheit Parodontose, Volkskrankheit Fußpilz und Volkskrankheit Rückenschmerzen (aktueller Spiegel -Titel). Vor allem klingt es aber so, als ließe es sich vermeiden. Um diese Vorstellung herum ist in den vergangenen Jahrzehnten eine ganze Industrie entstanden, bestehend aus Wellnessoasen, Fitness-Centern, Yoga-Kursen und Ökoläden – als Burn-out-Prophylaxe. In solchen Entspannungsanstalten versorgt der Einzelne sein Humankapital genanntes Leben mit allem Nötigen, um seinen Arbeitsalltag weiterhin in bester Laune zu bestreiten und in jeder Zumutung noch eine spannende Herausforderung zu sehen.
Nun gehört zur Logik des herrschenden Systems, selbst aus seinem Defizit einen neuen Markt zu erschaffen für professionalisierte Regeneration, aus dem der "tyrannische Imperativ" (Florian Illies) spricht: Entspann dich! Gleichzeitig beschrieb der Soziologe Zygmunt Bauman diesen Wesenszug der postindustriellen Gesellschaft als seine zweifelhafte Qualität: Für ein systemisches Problem wird eine individuelle Lösung gesucht.
Natürlich darf man den Menschen nicht aus seiner Verantwortung, seiner Selbstbestimmtheit befreien, die er sich mit Aufklärung und Individualisierung so hart erkämpft hat. Aber die Frage ist, wie viel in der heutigen Arbeitswelt, die zwar permanent das Individuum betont, eigentlich noch davon übrig ist.
Der Philosoph Byung Chul Han schrieb in dem jetzt wieder lesenswerten Essay Die Müdigkeitsgesellschaft , wie unsere Leistungsgesellschaft vor allem durch das Verb des "Könnens" gekennzeichnet ist. Das Verhaltensideal des Arbeiters ist die Anpassungsfähigkeit an eine sich ständig wandelnde Arbeitsumwelt, in der die als Notwendigkeit verordneten Umbrüche nicht mehr hinterfragbar scheinen – es heißt, so sei es nun einmal in Zeiten von Wettbewerbsverschärfung, Finanzkrise und Globalisierung.
Kommentare
Die fünf Tage Woche...
...ist historisch gewachsen und sollte heute überdach werden.
Vielleicht würde eine 4 Tage Woche ein paar Probleme lösen? (auch Arbeitslosigkeit etc.)
"Samstags gehört Papi mir"
hat mein Vater noch mitdemonstriert, als er mit einer 48 Stunden Woche arbeitete und es gab bei guter Auftragslage Überstunden abzuleisten, um den Arbeitsplatz zu erhalten....
Wir leben heute mit Haushaltsgeräten, die damals nicht üblich waren, Fertiggerichten, um das Kochen abzunehmen, weniger Arbeitsstunden und doch wird beklagt, dass es zu viel sei.
Das leuchtet nicht ein und noch weniger leuchtet mir ein, wie ich heute unter einem System leiden soll, das es mir insgesamt einfacher macht, zu leben, als meine Eltern das mit kleinen Kindern damals konnten.
Irgendwas stimmt meiner Meinung nach nicht an unserer Sicht auf unser Leben.
Guter Beitrag
Ich halte zwar Bornout nicht für eine Erfindung der Neuzeit, nur halt den Begriff als solches, aber der Artikel ist meines Erachtens sehr gut geschrieben. Respekt!
Man macht es sich meines Erachtens allerdings trotzdem zu einfach, es zu einseitig auf das bestehende System zu reduzieren.
Dank und Antwort
Lieber Muntermacher,
erst einmal Dank für das Lob. Und natürlich kann man den Einzelnen nicht vollkommen aus seiner Eigenverantwortung entlassen, so steht es auch im Text. Allerdings die Verantwortung nur noch dem Individuum zu übergeben, halte ich für falsch.
Mit besten Grüßen
D. Hugendick
Schöne Worte,
die aber nichts am System ändern werden.
Und genau das ist Teil des Systems.
Die Träger der erforderlichen Dskussion sind doch schon längst ausgestiegen. Die Medien machen einen auf systemstützenden Mainstream und Boulevard, Parteien sind weitgehend etabliert und benehmen sich auch so, Systemkritik kommt nach verschiedenen historisch gescheiterten Fehlversuchen nur noch am Rande zum Vorschein. Da können wir jetzt im Kommentarbereich gern noch ein bisschen erörtern, mittlerweile sind sogar solche Plätze gutverankert im System und bei Bedarf schneller auf sauber moderiert als man tippen kann.
Richtig
Ich stimme dem Artikel zu. Es ist zwar keine großartige Erkenntnis, aber die muss es auch nicht immer sein. Bisweilen müssen die richtigen Worte gefunden werden und die richtige Kritik geübt werden.
Natürlich ist es leicht, dass System zu kritisieren, Veränderungen brauchen hingegen lange. Dennoch finde ich die Benennung der Probleme oder auch eine gezielte Frage (wie konnte es dazu kommen, dass eine Bankkauffrau halbtags 400 Azubis betreuen muss) wichtig.
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