Eingefrorene Eizellen, gesponsert vom Megakonzern. Gadgets, die immer näher an die Körper ihrer Nutzer rücken, deren Fitness quantifizieren und jede Bewegung an den Geheimdienst weitergeben. Die Nachrichten aus der Gegenwart verbreiten einmal mehr den muffigen Geruch gebrauchter Zukunft. Anders als ihre Vorgänger aus dem Weltraumzeitalter haben Technikvisionen aus den neunziger Jahren die unangenehme Eigenschaft, sich in die Realität umsetzen zu lassen. So haben wir die Mondbasis, die Raumschiffe und die massenproduzierten fliegenden Autos der Sechziger-Jahre-Science-Fiction bis heute nicht bekommen. Aber zu einem zünftigen Cyberpunk-Dystopia, in dem sich Hacker, Cracker, korrupte Megakonzerne und größenwahnsinnige Geheimdienste den Endkampf um die letzten Ressourcen liefern, hat es gerade noch gereicht.
In diesem Klima begegnet den Menschen außerhalb der Machtzirkel jede neue Innovation als Werkzeug eines übermächtigen Gegners. Technologie wird zur permanenten Irritation, zur Angst verbreitenden Zumutung, ja zum Terror, vor dem man sich zurückzuziehen hat. Diese Bewegung ist gefährlich, sie zwingt ihre Subjekte in ein Untertanendenken, in dem es die Möglichkeit eines befreienden und selbstbestimmten Einsatzes von Technik erst gar nicht mehr gibt.
Ein angstvoller Rückzug von der Technik ist keine Option. Er muss auch nicht stattfinden: Selbst im vulgärsten Cyberpunk-Szenario steckt eine realistische Chance auf eine bessere Zukunft. Jeder kann lernen, den Irritationen und Zumutungen durch neue technische Entwicklungen auf seine Weise offensiv zu begegnen.
Neben dem Cyberpunk hatte die Proto-Netzkultur ab Mitte der Achtziger noch eine weitere zentrale Figur zu bieten: den Cyborg. Im Film räumte Robocop auf, im Fernsehen gab es die Borg aus Star Trek, in der Kunstszene den Performer Stelarc, an der Uni das Cyborg Manifesto der US-Biologin Donna Haraway. Montiert man die Plastikverkleidungen des Poptrash vom Cyborg ab, bleibt als Grundgerüst ein Konzept übrig, das eine lange Tradition hat und mit dem sich auch heute noch gut denken und arbeiten lässt, und sei es, dass man sich die Rolle des Cyborgs nur spielerisch überstreift.
Systeme aus Mensch und Maschine
Donna Haraway reagierte mit ihrem feministischen Aufsatz über die Cyborgs auf eine Vorlage aus dem militärisch-industriellen Komplex der USA. Der Psychologe Nathan S. Kline und sein Kollege Manfred E. Clynes hatten im September 1960 den Aufsatz Cyborgs and Space im Journal Astronautics veröffentlicht. In ihm definierten sie den Begriff zum ersten Mal und schlugen vor, den menschlichen Körper mit spezifischen Implantaten fit für das Leben im Weltraum zu machen.
Diese neuen Astronauten sollten selbstregulierende Mensch-Maschine-Systeme werden, kybernetische Organismen, Cyborgs eben, um sich besser auf ihre Aufgaben konzentrieren zu können. Als Beispiel für einen der ersten echten Cyborgs zogen Clynes und Kline eine Versuchsratte heran, der für die Laborarbeit mit einer osmotischen Pumpe Medikamente verabreicht werden konnten. Sie stellten sich vor, dass auch Menschen über Implantate mit der richtigen leistungssteigernden Substanz zum richtigen Zeitpunkt versehen werden sollten.
Kline und Clynes sahen von der rechten und Haraway von der linken Seite des politischen Spektrums Chancen in der Entgrenzung des menschlichen Körpers durch Technologie. Besonders stark inspiriert von dieser Denkbewegung fühlten sich freilich Libertäre wie der Robotiker Hans Moravec, der Philosoph Max More oder der Mathematiker Marvin Minsky, deren Bemühungen sich unter dem Begriff Transhumanismus zusammenfassen lassen. Auch sie wollen die Grenzen des menschlichen Individuums durch technische Maßnahmen überwinden.
Im Umfeld des Transhumanismus ist auch die Organisation Alcor zu verorten, eine gemeinnützige Stiftung, die seit 1971 darum bemüht ist, Menschen einzufrieren, die sich nach ihrem Tod durch hochentwickelte medizinische Methoden der Zukunft wiederbeleben wollen lassen. Nur 200.000 US-Dollar kostet die Prozedur, dazu noch 590 Dollar Jahresgebühr für den Stellplatz im Körperparkhaus. Vergessen wir die Eizellen der Facebook-Angestellten. Warum sollten sich Unternehmen nicht ihre genialen Gründer einfrieren lassen? Man könnte sie später noch mal brauchen, um den Börsenkurs zu stützen oder hin und wieder Präsentationen wichtiger Produkte zu geben, lebende Zeitkapseln, gewissermaßen, Inkarnationen der Vision eines Großbürgertums, das ohne Nachfahren auskommt.
Kommentare
waren es die Illuminaten?
...oder verkommen die Überschriften auf ZOn langsam auf Bild-Niveau?
Lesen erweitert den Horizont
an #1: Setzen Sie sich mit den im Text genannten Quellen auseinander, lesen Sie auch Texte von Raymond Kurzweil (dem Erfinder der OCR Schrifterkennung) zur künstlichen Intelligenz, lesen Sie das Buch "EGO" von Frank Schirrmacher besuchen Sie die Webseite der DARPA, einer Behörde des Verteidigungsministeriums der Vereinigten Staaten www.darpa.mil und Sie werden feststellen, dass hier nicht auf "Bild"-Niveau geschrieben wird, sondern sehr präzise formuliert wird.
Sind wir das nicht schon?
Künstliches Hüftgelenk, Künstliches Knie, Künstliche Hand, Stents in den Blutgefässen...
aber Cyborgs sind dann doch etwas anderes...
Ja eben
Gerade auch im Medizinbereich ist viel möglich. Habe letztens erst gesehen dass die ersten Blinden mit Chips im Auge wieder sehen konnten.
Sehr doch mal die Vorteile anstatt jede Innovation zu "Angst und Terror" zu erklären.
Das ist der wichtigste Satz:
"Der selbstbewusste Cyborg braucht zuallererst ein Netzwerk aus vertrauenswürdigen Menschen, um sich die richtigen Komponenten für sein erweitertes Leben zusammenzusuchen."
Zurück auf den Baum oder in die Höhle will niemand. Aber man muß,ja darf, auch nicht jeden unsinnigen Techniktrend mitmachen. Und wenn doch einfach weil man Spaß daran hat, dann aber bewußt und mit kritischem Verstand!
Im Übrigen vergessen wir bei solchen Themen immer, daß Verbindungen zur Technik nützlich sein können, Verbindungen zu Natur aber langfristig vermutlich lebensnotwendig sind. Ein Überleben für Jahre in einer Raumstation, oder einer Basis auf dem Mars z.B. ist alles andere als gesichert. Bei aller Technikbegeisterung sollten wir also nie vergessen, wo wir herkommen und für welche Umgebung unsere Körper geschaffen sind.
Also ich würde gerne in die Höhle zurück...
... allerdings nur mit Smartphone und Solarplatten... ^^
Es liegt allein an uns!
>>Werden wir irgendwann alle zu Cyborgs?<<
Das liegt ganz allein an uns, d.h. ob wir weiterhin auf Knien jeden angebissenen Äpfel anbeten oder ob wir auf kritischer Distanz bleiben und stets die Absichten der Königinnen, die unbedingt Königin bleiben wollen, hinterfragen.