Wer Gender Gaga, das neueste Buch der Anti-Feministin Birgit Kelle, liest, muss das Gefühl bekommen, jahrelang in einer Parallelwelt gelebt zu haben. Zu allem entschlossene Gutmenschen durchsetzen Ministerien, Buchverlage, Polizei, Konzerne, sogar die Religion. Sie versuchen, das Gender-Mainstreaming so zu verankern, dass bald niemand mehr zwischen Mann und Frau unterscheiden kann. Kelles Buch steht weit oben in der Amazon-Verkaufsliste.
Die Vorstellung, dass eine schleichende Umerziehung aller Deutschen bevorsteht, ist nichts Neues. Sie findet sich in den Diskussionen um Kindererziehung, Ernährung, Kraftstoffpreise und Fernsehgebühren. Sie passt zu dieser Zeit, in der Krise, Krieg und Terror immer näher heranzurücken scheinen. Und natürlich – das kann man in jedem Buchladen sehen – verkauft sie sich. Sie ist manchmal sogar ganz amüsant. Bloß: Sie banalisiert und vernebelt auch unsere Debatten. Besonders die über die Gleichstellung der Geschlechter.
Man muss den Kopf schon sehr verrenken, um zu glauben, dass Männer und Frauen in Deutschland in allen Belangen gleichgestellt sind. Die gleichen Zugänge zu Führungsjobs haben, das Gleiche verdienen. Um zu sehen, dass es nicht so ist, braucht man keinen Experten, es reicht das Bundesamt für Statistik. Irgendetwas läuft bisher noch nicht, und es ist jede Debatte wert, herauszubekommen, woran das liegt. Wie das auch die Politik gerade wieder bei den Themen Quote und Lohntransparenz tut.
Es ist schwierig und manchmal auch langweilig, diese beschlipsten und manchmal beschwipsten Diskussionen zu verfolgen. Aber so ist das eben bei einem Thema, das bis zu 82 Millionen Menschen betrifft. In den Umfragen sieht man, dass eine Mehrheit der Deutschen Fortschritte auf diesem Feld wünscht. Eigentlich gibt es nur einen Weg, sie zu verhindern: die Gleichstellung zum Objekt von Verschwörungstheorien zu machen und den Menschen das Gefühl zu geben, in dieser Frage ferngesteuert zu werden.
Deswegen ist es wunderlich und auch wieder nicht, dass Frank Plasberg eine Hart aber fair-Sendung zum angeblichen Ausbruch des "Gender-Wahns" veranstaltet, in der die winzig kleine wissenschaftliche Disziplin der Gender Studies zu einem gefährlichen geistigen Zentrum der Gehirnwäsche aufgeblasen wird. Oder dass einem Unisex-Toiletten und Ampelweibchen plötzlich als Beleg für die drohende, bereits vorangetriebene Abschaffung der Geschlechter vorgehalten werden. Das sind Ablenkungsmanöver.
Außerdem haben solche Angriffe eine Wirkung auf die Gleichstellungsdebatten, obgleich sie wenig damit zu tun haben. Sie machen sich ein Feindbild zunutze, das schon lange funktioniert: Großstadtliberale, Alt-68er, Schwule, Gutmenschen, die die Deutschen mit linken, emanzipatorischen Ideen zwangsbeglücken wollen. Auf jeder Pegida-Demo kann man die Wut auf dieses Milieu hören, auf seinen Hedonismus, seine Arroganz, mit der sie angeblich auf das Volk herabsehen.
Man muss die Forderung nach gerechter Bezahlung und gleichen Zugängen nur immer wieder zu einer Sache linksgrüner Bionade-Trinker machen, um Mehrheiten gegen sie zu schaffen. Diese perfide politische Rollenumkehr kennt man sonst aus den USA, wo sich die Waffenlobby als Wahrer des Schulfriedens inszeniert und Befürworter eines besseren Sozialsystems dem Vorwurf ausgesetzt sind, den orwellschen Kontrollstaat einführen zu wollen.
Es wird sich umso mehr Widerstand gegen den angeblichen Gender-Wahn mobilisieren lassen, je mehr Gleichstellungsgesetze es gibt. Das ist nicht schön, aber Deutschland.
Kommentare
Ein merkwürdiger Artikel
Es ist unbestreibar richtig, dass die Contra-Stimmen simplifizieren; Dinge gerne verzerrt darstellen und scheinbar einfache Lösungen für komplexe Probleme anbieten. Es gibt nur ein Problem: Dieses Vorgehen zeigen sowohl Befürworter als auch Gegner der Gender-Debatte.
Dass es in dieser Hinsicht Missstände gibt, kann nicht bestritten werden, aber beide Lager täten gut daran, ein wenig öfter Sachlichkeit die (unverzerrte und unideologisierte!) Faktenlage zu betrachten.
Das wäre ein wahrer Gewinn.
Pfründe
Es geht hauptsächlich um die Verteidigung von Pfründen. Nachdem es inzwischen allenthalben Genderprofessuren und Ähnliches gibt, muss man natürlich seine Unverzichtbarkeit und seine Wissenschaftlichkeit beweisen. Es wird vielleicht zehn, vielleicht zwanzig oder dreißig Jahre dauern. Aber irgendwann wird die erste Generation der Genderprofessoren abtreten und die ganze Sache wird auf den Müllhaufen der Wissenschaftsgeschichte gekehrt werden. Als Irrweg.
Grundgesetz, Artikel 3
Alles was man kennen muss, ist das Grundgesetz, Artikel 3.
"Männer und Frauen sind gleichberechtigt".
Wenn jemand einen Verstoß dagegen sieht, konnte er auch in der Vergangenheit klagen. Ganz ohne diese ganzen rot-grünen Genderismus.
Entfernt. Troll. Die Redaktion/mak
In der Bundeswehr
redet man über eine Frauenquote bei den Generälen.
Da man aber nicht lauter neue Generalspositionen bei den Musikern und Lazarett schaffen will, müssen mehr Frauen in die kämpfende Truppe.
Da die körperlichen Ansprüche dort jedoch zu hoch sind, werden (für Frauen) die Ansprüche gesenkt.
Ist das noch irre oder schon Genderwahn?
Körperliche Ansprüche?
Wer hat Ihnen denn erzählt, dass die körperlichen Ansprüche bei der Bundeswehr zu groß sind für Frauen? Ich empfehle mal, den Durchschnittssoldaten gegen eine Olympionikin antreten zu lassen, das wird ein Spaß.
Zu argumentieren, es gäbe den Genderwahn, und dann selber sexistisch zu argumentieren ist schon ein bisschen merkwürdig...
Äpfel und Birnen
Ich hoffe das nun durch die Umbenennung des Studentenwerkes zu Studierendenwerk ein für allemal einen Riegel vor den Gender Pay Gap schiebt. Für jämmerliche 1,2 Mio kann man sich das in NRW mal locker leisten um solch einen großen Schritt in Richtung Gleichberechtigung zu tun.
Nunmal ernsthaft Herr Bangel: Wollen Sie eine ernste Diskussion darüber führen, dann sollten Sie mal klar unsinnige Maßnahmen wie Ampelweibchen, Unisex-Toiletten und Studierendenwerke nicht in einen Topf mischen mit ernsten Maßnahmen wie Lohnunterschiede. Ich wage zu bezweifeln dass die Ampelfrau viel für den Lohn tun kann.
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