Populist ist die derzeit populärste Beschimpfung im politischen Geschäft. Kreuz und quer ruft man sie einander zu, ohne dabei genau zu wissen, was eigentlich damit gemeint ist. Kaum einer kennt sich in der Populismusforschung aus, weiß um die politischen und soziologischen Grundlagen dieses Begriffes. Wer über das Volk und seine Sprecher forscht, landet irgendwann bei Platon und Aristoteles, die sich vor 2400 Jahren mit der Frage beschäftigten, wer sprechen und wählen, wer vertreten und wer bestimmen, wie verhandelt werden darf.
Festzuhalten ist, dass der Begriff Populist, so wie wir ihn heute verwenden, als Diskreditierung dient, und dem Gegner abspricht, ein ernstzunehmendes politisches Konzept zu verfolgen.
Julia Klöckner, die stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, sagte dem SWR über den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz: "Die Herzen ansprechen – bei Frau Petry oder Frau Wagenknecht würde man es Populismus nennen, denn genau diese Sprache hat Herr Schulz auch. Wenn es konkret wird, ist er im Ungefähren unterwegs."
Abgesehen davon, dass Herzensansprache kein Euphemismus für Populismus ist – hat denn Julia Klöckner konkrete Vorschläge? Die Aussage dient ohnehin vielmehr dazu, die SPD in die Nähe zweier Parteien zu rücken, die in Klöckners Weltbild wohl die beiden Enden des rechten und linken Spektrums markieren. Mit anderen Worten, die SPD ist jetzt am Rand zu verorten und nicht mehr in der Mitte.
Übrigens: Man nimmt der AfD das Stigma des Extremen, indem man sie konsequent in einem Atemzug mit anderen Parteien nennt. Man relativiert ihr Alleinstellungsmerkmal, nämlich ihre rechtsextremen Tendenzen. Wenn zwischen Martin Schulz und Frauke Petry nur noch Gemeinsamkeiten bestehen, nämlich in Form des Populismus, dann sagt man zwischen den Zeilen, dass man das völkische Weltbild der AfD in keiner Weise als herausragende Eigenschaft erwähnenswert fände. Aber das nur nebenbei.
Auch folgende Bemerkung ist lediglich als Randnotiz gemeint: Julia Klöckner hat mit dem von ihr beschriebenen Merkmal des Populismus, nämlich dem unkonkreten Reden, ihre Wahl zur Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz im vergangenen Jahr vermasselt. Ihr Wahlprogramm hieß Plan A2 und hatte keinerlei konkrete politische Inhalte, sondern diente nur als gestelzter Distanzierungsversuch zu Angela Merkels Weigerung, eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen zu definieren. Sie legte sich dann noch aus Gründen des Zeitgeistes für ein Burkaverbot ins Zeug, verglich die Vollverschleierung mit Exhibitionismus und erklärte religiös praktizierende Frauen damit en passant zu sexuell Gestörten.
Wer ist denn eigentlich das Volk?
Und jetzt zum Populismus. Populismus speist sich aus konstruierten Kategorien des Volkswillens. Niemand weiß, was das Volk will. Man weiß ja nicht einmal, wer das Volk ist. Zählen zum Volk auch Flüchtlinge? Auch diejenigen ohne Wahlstimme?
Der Populismus hat einige Merkmale. Eines davon: Er hinterfragt erst einmal die Problemstellung als solche. Die übrigen Parteien diskutieren ihre Themen, Wohnungsbau, Gesundheitsversorgung, Energiepolitik, Rentenversorgung. Der Populist stößt dazu und kritisiert die Streitfrage. Seiner Meinung nach stellt sich nicht die Frage nach Gesundheit, Rente und Wohnung, sondern die Frage nach den Ausländern. Ohne Ausländer keine Probleme mit der Gesundheit, in der Renten- und Wohnungsfrage. Der Populist formuliert also eine eigene Agenda, nach der künftig zu handeln sei. Es muss nicht immer der Ausländer sein. Es kann auch die Kirche sein oder die Konzerne.
Dabei bedient sich der Populist jener Teile der Gesellschaft, die unzufrieden sind. Er gibt vor, sie zu verstehen und redet ihnen ein, dass die Machthaber die wahren Problemverursacher (Ausländer, Kirche, Konzerne) verschweigen, gar mit ihnen unter einer Decke stecken.
Der Populist stellt auch gern die Frage nach dem legitimen Sprecher. Er behauptet nämlich immer, dass er die Massen hinter sich habe. Der Populist geriert sich dabei als Butler des Volkes, der bloß offenbare, was schon lange gärt. Dabei beruht alles auf bloßer Behauptung. "Aus den Massen schöpfen, den Massen propagieren" war beispielsweise Maos Devise für eine kommunistische Volksrepublik China. War das Volk tatsächlich mit Millionen Toten einverstanden? Sind Millionen Deutsche wirklich für die Abschiebung von Flüchtlingen nach Afghanistan? Will das Volk künftig keine Muslime im Land haben?
Kommentare
"Sahra Wagenknecht wiederum ist schwierig zu beurteilen. Wenn eine in der Flüchtlingsfrage exakt wie die AfD redet, wie nennt man das dann?"
Wie wäre es mit "problemorientiert"?
" Und es betrifft nicht nur sie, sondern viele Politiker quer durch alle Parteien."
Frau Wagenknecht hat halt versucht, in die schnappatmungsbestimmte Diskussion (von beiden Seiten, links und rechts) sachliche Argumente einzuführen. Ist ihr auch gar nicht so schlecht gelungen: die Diskussion wurde dann doch recht schnell auf die Sache zurückgeführt, hatte ich das Gefühl.
Ein Politiker sollte sich in einer Demokratie am Willen des Volkes orientieren. Das tun Wagenknecht und die AfD in bezug auf die Flüchtlingsfrage. Damit kann man sie als populistisch und problemorientiert bezeichnen. Ich fasse populisitisch als Kompliment auf. Aber in einem bunten Deutschland darf es auch zu Demokratie unterschiedliche Auffassungen geben.
Entfernt. Nutzen Sie den Kommentarbereich bitte um sich sachlich über den Artikelinhalt auszutauschen. Danke, die Redaktion/idg
´´Was das Volk will, weiß niemand, denn dazu müsste man es in jeder einzelnen Angelegenheit immerzu befragen. Das geht natürlich nicht.´´
Natürlich nicht. Was für eine arrogante, demokratieferne Einschätzung.
Doch, man kann. Und sollte man vl mal, wenn man tatsächlich im Sinne des Volkes agieren wollte...
"Was das Volk will, weiß niemand, denn dazu müsste man es in jeder einzelnen Angelegenheit immerzu befragen."
Das Volk will immer dasselbe. Frieden, Wohlstand, Gesundheit, Wertschätzung.
'Das Volk' ist unfähig, die Wege zum Erreichen der Ziele sachdienlich auszuwählen weil es zu einem Zeitpunkt x
a) die Folgen und Konsequenzen nicht mit Reichweite x+y überblicken kann / will.
b) bereits nach der ersten Entscheidung eine neue Lage entsteht, die wieder neu durchdacht werden muss.
Niemand will ein Ziel um jeden Preis erreichen. Ändert sich der Preis also, ändert sich auch die Mehrheit. (vgl. Brexit, Trump, ...)
Absolut richtig - deshalb sind Volksabstimmungen auch Quatsch!
Der EURO wäre z.B. nie eingeführt worden! Wahrscheinlich hätten wir fast undemokratische Zustände wie in der Schweiz mit Minarettverbot und Co !
"Wir leiden unter den politischen Gesellschaftsbildern"
Ich möchte bitte keinesfalls unter "wir" subsumiert werden.
Ich leide keinesfalls unter politischen Gesellschaftsbildern. Sie dürfen gern für sich selbst sprechen, für mich bitte nicht.
Auch Sie sind das Volk.