ZEIT ONLINE:
In welchem der Bordelle, die Sie für
Whores' glory
besucht haben, war das Verhältnis zwischen Mann und Frau für Sie am unerträglichsten?
Michael Glawogger: Ich fand's nirgendwo unerträglich. In den Fish tanks in Thailand läuft alles sehr geschäftsmäßig, trotzdem wirken die Treffen eher wie kleine Partys, zu denen die Männer nach einem Geschäftsabschluss oder an einem Feiertag zu dritt oder viert hingehen. Sie holen sich dann eine Anzahl von Mädchen, und wenn man sich ein bisschen mag, geht man ein Stockwerk höher oder ins nächste Zimmer.
In Faridpur, in Bangladesch, muss man bei aller Gewalttätigkeit und offensichtlicher Unmenschlichkeit, die dort herrschen, sagen: Es ist in vieler Hinsicht ein riesengroßer Schulhof. Es gibt natürlich käufliche Liebe, aber auch Verliebtheit, Flirts – alles vermischt sich zwischen den jungen Männern und den Mädchen. In dieser Gesellschaft hat ein junger Mann ja keine Chance, in irgendeiner Form seine Sexualität auszuleben. Er lebt in einer Wohnung mit seinen Eltern, Großeltern und Geschwistern, und seine mögliche Freundin dito. Er kann vielleicht, wenn er einen Polizisten besticht, in einen Park gehen und mit seiner Angebeteten Händchen halten – das ist jedoch das Höchste der Gefühle. Wenn er ins Bordell geht, in die "Stadt der Freude", wie sie das nennen, dann findet er dort – ähnlich wie in Mexiko – einen zwar nicht rechtsfreien, aber moralfreien Raum. Es herrscht bei aller oberflächlich sichtbaren, auch politischen Gewalt und Gefängnishaftigkeit da drinnen ein ganz anderer Tonfall zwischen Mann und Frau, ein spielerischer, entspannter Ton. Die jungen Leute können sich dort etwas erlauben, was außerhalb undenkbar ist.
In Mexiko habe ich den Film den Frauen dort gezeigt. Sie sagten: Das, was sie über Thailand gesehen haben, sei für sie der Abgrund – und sie dankten Gott, dass sie in Mexiko arbeiten können.
ZEIT ONLINE: Wer an Thailand und Tourismus denkt, muss unweigerlich auch an Sextourismus denken. In Ihrem Film kommt er aber gar nicht vor.
Sextourismus ist ein Teil der Thai-Prostitution, aber sicher nicht der größte!
Glawogger: Es gibt ihn natürlich, aber an ganz bestimmten Orten. Die Fish tanks sind traditionelle Animierbars, die eher von Thais, Chinesen und Ausländern, die in Thailand leben, besucht werden. Sextourismus findet sich in Bangkok selbst nur an drei Stellen, außerdem in Pataya und in den Urlaubsregionen. Sextourismus ist ein Teil der Thai-Prostitution, aber sicher nicht der größte!
ZEIT ONLINE: Man glaubt, Schweiß und Sperma in den Filmbildern riechen zu können. Wie gelang es Ihnen, so nahe an die Protagonisten heranzukommen? Eine fast unmögliche Aufgabe, schätze ich.
Glawogger:(lacht) Ich sage sonst immer bei meinen Filmen: Nein, man braucht nur Geduld, Zeit und den Willen! In diesem Fall sag ich: Ja! Weil man sich erst mal die Genehmigung, überhaupt in einem Bordell drehen zu können, erkämpfen muss. Und wenn man sie sich erkämpft hat, fängt man von Null an. Man ist dort nicht willkommen. Das hat viel mit verpatztem Journalismus zu tun oder mit Leuten, die heimlich filmen, heimlich Fotos machen und ohne zu recherchieren, schnelle Katastrophenberichte darüber machen. Ich erinnere mich an einen Bericht auf CNN, für den jemand mit einer Kamera in einen Fish Tank in Kambodscha hinein läuft, und alle Huren rennen weg. Der Kommentar des Reporters lautete: Da sieht man, wie fürchterlich es denen geht! Natürlich laufen die Frauen weg, wenn jemand mit einer Kamera in ihren Arbeitsbereich eindringt! Es gibt wenig Orte, über die so unlauter, oberflächlich und sensationsgeil berichtet wird wie über Bordelle.
Die Prostituierte erzählt dir nichts, außer du bezahlst sie.
Einer Hure erschließt sich der Unterschied zwischen einem CNN-Reporter und mir nur dann, wenn ich am nächsten Tag wieder komme. Und wenn ich nach einer Woche noch immer wiederkomme. Und nach einem Monat. Dann bleibt sie vielleicht mal stehen und fragt: Was willst Du hier eigentlich? Wenn sie schließlich darauf vertraut, dass ich mich wirklich dafür interessiere, wie ihr Leben funktioniert, dann krieg ich vielleicht eine Lüge weniger.
Das Ganze ist eine Mischung aus Geld und Vertrauen. Ohne Geld geht in dem Geschäft überhaupt gar nichts. Die Prostituierte erzählt dir nichts, außer du bezahlst sie. Dann stellt sich noch immer die Frage, ob sie dir die Wahrheit sagt. Ich habe mir nach einer gewissen Zeit zur Prämisse gemacht, ihnen alles zu glauben. Es ist mir völlig egal, ob sie mich belügen oder nicht! Das ist der einzige Weg.
ZEIT ONLINE:
Prostitution existiert in Thailand offiziell gar nicht. Wie haben Sie es angestellt, eine Drehgenehmigung für etwas zu bekommen, das es nicht geben darf?
Glawogger: Mit Augenzwinkern. Man schreibt in die Anfrage hinein, man möchte "Arbeitswelten" und "bar girls" filmen . Dann kommt ein augenzwinkernder Text zurück: "Was soll das heißen: bar girls ?" Am Ende wird man von einem Zensor begleitet, der während der ganzen Dreharbeiten neben mir steht. Die Behörden sind aber nur der erste Schritt. Wenn jemand von der "illegalen Behörde" – wollen wir sie mal so nennen – die diese Orte kontrolliert, nicht damit einverstanden ist, dass ich filme, kann ich mir jede offizielle Drehgenehmigung in die Haare schmieren.
Lieber raus aus dem Großraumbüro
ZEIT ONLINE: Sie haben viele Bordelle besucht, die Sie faszinierten, an denen Sie aber die Kamera nicht auspacken durften. Wo hätten Sie gerne noch gefilmt?
Glawogger:(lacht) Einen Ort durfte ich nicht einmal besuchen, geschweige denn dort drehen! Das war eine Art magic bus tour in Japan, wo die Zimmer eines Bordells wie ein Bus eingerichtet sind. In diesem Pseudo-Bus stehen Prostituierte in Schulmädchenuniform, aber ohne Unterwäsche. Arbeiter auf dem Heimweg besuchen dieses Bordell, indem sie sich einfach reinstellen, als wären sie Busreisende. Sie dürfen sich in der Zeit, für die sie bezahlen, im Bus stehend an den Mädchen reiben und befriedigen.
Würde ich dort hineingehen und eine japanische Frau anfassen, dann wäre sie in den Augen der Japaner angebatzt.
Als Ausländer darf man so ein Bordell nicht einmal betreten! Es herrscht unter den Männern eine Form von Rassismus: Würde ich dort hineingehen und eine japanische Frau anfassen, dann wäre sie in den Augen der Japaner angebatzt. Es gibt aber auch einen sehr ausgeprägten Rassismus unter den Prostituierten. In vielen Bordellen, die ich besucht habe, ordnen die Huren die Freier nach Herkunft, nach Schwanzgröße, Verhalten und Geruch – wenn die Frauen miteinander reden, entstehen ganze Landkarten von Schwanzgrößen! Da geht's ziemlich ans Eingemachte. (lacht)
ZEIT ONLINE: Wie viele der vielen Hundert Huren, mit denen Sie gesprochen haben, wollten weg aus ihrem Job?
Glawogger:
So viele wie in jedem anderen Job auch. Diese Frage wird komischerweise immer so gerne gestellt. Wenn ich einen Film über ein Großraumbüro drehe und frage, wie viele da raus wollen, dann glaub ich, sind's mehr.
Kommentare
Unerträgliche Verharmlosung der Prostitution
Wie viele Frauen gehen freiwillig ( ohne existenzielle Bedrohung) dieser Tätigkeit nach?
Wie viele Frauen werden gezwungen, alles mit jedem zu machen?
Wie phychisch deformiert ( durch Mißbrauch in der Kindheit, Drogensucht etc.) muss eine Frau sein, ihre sexuelle Selbstbestimmung aufzugeben?
Männer haben zu allen Zeiten daztu geneigt, diese Fragen nicht zu stellen, damit die Lust an dieser Art von Gebrauch von Frauen nicht gemindert wird.
Ist Schwarzer
Ihr Familienname?
Viele Prostituierte haben es besser als "normale" Frauen. Viele normale Frauen bleiben mit einem Mann zusammen, der sie schlägt und betrügt, weil der Mann Geld hat.
Schwieriges Thema
Jenseits der Armuts- und Zwangsprostitution gibt es aber doch auch die freiwillige, nach dem Motto.." bevor ich bei Aldi an der Kasse sitze". Dann gibts noch die Gelegenheitsprostitution, und die "Einmalprostitution": Heirat nur wegen des Geldes. Insgesamt also alles sehr vielschichtig. Wobei ich nicht weiß wie es in den Ländern zugeht von denen das Interview berichtet, ein gewisse Tendenz zur Verharmlosungsehe sehe ich hier auch.
Interssant wäre es aber einmal die Situation in D. zu untersuchen.Echte Existenzbedrohung gibts ja hier nicht (oder allenfalls partiell)
Angeblich sollen in D 400.000 Frauen diesem Beruf (offiziell und ohne Zwang) nachgehen. Die Dunkeziffer soll erheblich höher sein. Wären die Damen alle bei einem "Unternehmen" angestellt, wäre es wohl (nach dem öffentlichen Dienst), der größte Arbeitgeber für Frauen. Hier wäre also einmal eine verteifte Untersuchung über Motivlage, Status, Emotionalität etc.interessant (und zwar jenseits vom RTL 2 Niveau versteht sich).
Ich kenne Menschen, die mit Prostituierten arbeiten,
... in Spanien, Valencia, beispielsweise. Ein Freund von mir hat Ordensschwestern (junge Mädchen in Jeans und T-Shirt, keine Omas in Klostertracht) geholfen, die Anlaufstellen für Prostituierte hatten und auch im Rotlichtviertel gewohnt haben.
Die meisten dieser Mädchen waren unter Zwang.
Bei den Rumäninnen und Bulgarinnen zum Beispiel kannten die Zuhälter die Familie und es hieß immer wieder "wir wissen wo dein Sohn in die Schule geht, wo dein Vater arbeitet" und so weiter.
Bei den Nigerianerinnen brauchten sie nichtmal das, die haben sich nicht getraut wegzulaufen, weil der Zuhälter ihnen Blut und Haare abgenommen hat und angedroht hat, sie bei Flucht mit Schwarzer Magie zu verfluchen. Die kamen vom Dorf und haben an sowas geglaubt, und wenn nicht, wäre auch bei denen die Erpressung mit Waffe und Familie fällig.
Und nun erzähle mir niemand, das sei eine zufällige Ausnahme, denn Spanien zählt sicher nicht zu den gefährlichsten, kriminellsten und unzivilisiertesten Ländern dieser Erde.
Nachtrag
Mit "Mädchen unter Zwang" waren natürlich nicht die Ordensschwestern, sondern die Prostituierten gemeint. War etwas missverständlich formuliert.
Wer uns so alles "aufklärt"...
von Kolle über Roche zu Herrn Glawogger...
Jeder nach seiner Art - und ich hoffe mal wirklich, dass nicht alles was "Aufklärungsarbeit" leistet auch noch honoriert wird...
Ich weiß, dass der Film ausgezeichnet wurde...
Es wurde schon so viel ausgezeichnet und mit dem Wort "Bestseller" betitelt, dass ich nur noch staune.
Über den Menschen, der eigentlich in der Hand hat, was so als Topseller oder sonst einer "Seller-List" geführt wird - die Allgemeinheit...
Wollen wir mal beiseite lassen, dass Herr Glawogger ein Mann ist - er ist vor alllem in erster Linie ein Mensch.
Deshalb ist er verantwortlich für seine Art der "Aufklärungsarbeit" - und ich bin auch ein Mensch (wenn auch ein weiblicher) der die Auffassung vertritt: "Jeder Mensch ist dafür verantwortlich was als Bestseller oder Topfilm "gehandelt" wird. Nämlich jeder Einzelne...
Nur weil die Mehrheit etwas gut findet - wird es am Ende als gut gehandelt -wobschon Vieles davon weit entfernt ist (siehe Bestsellerlisten mit Roche und Lahm...) - wofür spricht das?!
Und alle reden so gerne von und über "Bildung" - wie wäre es zur Abwechslung mal wieder über etwas mehr "Weniger ist mehr"... Bei Allem!
Zitat M. Twain: "Immer wenn man die Meinung der Mehrheit teilt, dann ist es Zeit sich zu besinnen" Zitat Ende
Mehr und nicht wenig freundliche Güße