Ist sie zu dick? Ist sie zu hübsch? Ist sie hart und trotzdem wendig genug? Regiert sie wie eine Frau und wenn ja, ist das gut oder schlecht? Birgitte Nyborg ist die erste Premierministerin Dänemarks , Akademikerin, Anfang 40, verheiratet, zwei Kinder. Nie hätte sie gehofft, einmal Herrin über Schloss Christiansborg und fünfeinhalb Millionen Menschen zu sein. Nie zuvor hat es eine Frau in diesen Sessel geschafft. Und noch nie hat eine erfahren, was dieser Posten mit ihr macht.
Birgitte Nyborg gibt es nicht. Wäre sie real, bräuchte es keine Fernsehserie wie Borgen – Gefährliche Seilschaften , die jetzt in zweiter Staffel auf Arte anläuft. Nyborg ist die weiße Königin in einem Planspiel, das die aktuelle Debatte um eine Frauenquote in Führungspositionen sowie die Verzahnung von politischem und journalistischem Apparat in großartige Unterhaltung übersetzt.
Die Serie des dänischen Drehbuchautors Tobias Lindholm zeigt, wie Macht wächst, Meinungen gemacht werden und Menschen in diesem Spannungsfeld auf- und untergehen. Sie ist dabei so zeitgemäß und intelligent, dass ein Drittel aller Dänen jeden Sonntagabend zuschauen und Borgen – so nennen sie die Residenz in Kopenhagen – mit vielen europäischen Fernsehpreisen ausgezeichnet wurde.
Was wir aus Die Iden des März , The West Wing oder The Newsroom über amerikanische Politparketts und Großraumteppiche wissen, überwindet nun den Atlantik: Endlich wird das Publikum mal nicht durch die fernen Schaltzentralen amerikanischer Supermacht geführt, sondern ins Zentrum eines europäischen Regierungssitzes. Nicht nur die geografische Nähe zum Nachbarn Dänemark, auch die kulturelle und politische machen Borgen so interessant für das deutsche Publikum.
Transferleistungen sind nur minimal erforderlich: Die dargestellte Tagespolitik dreht sich um Koalitionsgeschacher, Zuwanderungspolitik, Reichtumsschere, Autobahnausbau, Rentenkürzung, Entwicklungshilfe, Auslandseinsätze, Wirtschaftsverbindungen zu antidemokratischen Ländern, Geheimdienst- und Überwachungsskandale. Die Regierungschefin muss erfahren, wie schwierig die Durchsetzung einer Frauenquote in Wirtschaftsbetrieben ist, wenn verstimmte Lobbyisten mit der Verlagerung der Unternehmen ins Ausland drohen.
Borgen ist ein Lehrstück in politischer und journalistischer Rhetorik. Die Serie vermittelt, was bei Raab , Jauch oder Maischberger zwischen den Zeilen der Moderationskarten steht und Steinbrück, Merkel oder Özdemir nur vor ausgeschalteten Kameras sagen würden. Sie schärft den Blick für das, was dem zwar wachen, aber doch nur beobachtenden Bürger vorenthalten werden soll.
Neben der Premierministerin liegt der Fokus auf ihrem jungen Spin Doctor und einer Nachwuchsjournalistin. Beider Leben besteht vor allem aus ihrem Beruf (und zu einem nicht ganz zu vernachlässigenden Teil aus ihrer gegenseitigen Anziehungskraft), den sie mit entsprechendem Ehrgeiz ausüben. Aber arbeiten sie loyal, gewissenhaft und moralisch korrekt? Von welchem Ethos lassen sie sich leiten und unter welchen Umständen wenden sie sich von ihm ab?
"Ich hätte nicht gedacht, dass ich bereits nach 100 Tagen das dänische Volk belügen würde", sagt Birgitte Nyborg. Für die Realpolitik muss sie nicht nur Überzeugungen und Freunde opfern. Auch ihr Familienleben leidet, denn wer soll sich um die Kinder kümmern, wenn der verständnisvolle Ehemann beruflich nicht länger zurückstecken möchte?
Am Ende der ersten Staffel ist auch die Premierministerin am Ende. Ihr anfänglicher Idealismus, ihr Charme, ihre Menschlichkeit, ihre herzliche Diplomatie, all das, was man so leichtfertig als weibliche Prinzipien beschreibt, ist professioneller Härte gewichen. Sie hat sich einem von Männern dominierten Spiel angepasst. Einsam und kalt ist es an der Spitze.
Wenn dies tatsächlich das hoffnungslose Ende eines Planspiels wäre, könnte Borgen als fatalistisches Beispiel dafür gelten, dass Führungspositionen und Familienleben für Frauen unvereinbar sind. Aber die Serie geht in eine zweite Runde und sie wird hinterfragen, ob wirklich alle Prinzipien loslassen muss, wer an der Macht festhalten will.
Kommentare
Wenn eine Serie auf arte läuft
dann ist das für mich ein guter Indikator.
Über arte bin ich seinerzeit auf Breaking Bad gekommen. Eine der besten derzeit laufenden Serien überhaupt.
Arte-Serien
Sehr sehenswert war auch die schwedische Krimi-Serie "Kommissar Winter" auf Arte. Lief dann irgendwann nachts auch mal beim ZDF.
Die Frage hat schon einen langen Bart, aber: Warum werden solch gute Serien im öffentlich-rechtlichen Fernsehen auf Randplätzen versteckt? Und warum sendet Arte gleich drei Folgen einer Staffel an einem Abend? Fehlt das Vertrauen in ein treues Publikum, das den Spannungsbogen über eine Woche aushält? Ist die Konkurrenz der Webstreaming-Portale zu groß? Oder glaubt man in den Programmgremien einfach nicht an gutes Fernsehen?
Aus dem Norden Europas
kommen viele verschiedene Serien und Reihen, die unterschiedlichste Gewichtungen haben. Erinnere mich an die Filmreihe mit der Komissarin Sarah Lund aus ebenfalls dänischer Produktion. Super Kameraführung, lange - ruhige Bilder (für mich persönlich oft zu gewaltdetailiert) und eine gut verästelte, spannende Geschichte auch im politischen und militärischem Milieu. Das war echt Spannung.
Von daher werde ich wohl auch auf diese Serie hier mal einen Blick werfen.
Ansonsten habe ich bemerkt, dass aus dem Norden viele 'wir sind die Guten-Spezialeinheiten, in denen neben dem Rechtsweg gehandelt werden darf, weil die anderen so böse sind und ich mein persönliches Erlebnis hatte'-Filme, die leider mit vielen wackligen Kameraeinstellungen dieses möchtegern-dokumentarische fortführen, gespickt mit den hightech-Bildern ala googleearth-Aufspürung, was heute offenbar in keinem schlechteren Film fehlen darf.
Yes, Minister
Den wohl besten Einblick in den politischen Alltag zeigte die britische Serie "Yes, Minister". Den wahren politischen Alltag bestimmt die traditionsbewusste, mit den anderen Eliten des Landes verbundene Beamtenkaste, die ihre eigene Macht und ihre Privilegien beschützt. Kein Präsident, kein Kanzler, kein Minister kommt daran vorbei.
Einziger Unterschied zu früher - statt Rot und Schwarz dominiert in der Beamtenkaste heute Grün!
Warum nicht in der Originalsprache?
Im Zeitalter digitaler Fernsehübertragung kostet der Ton fast nichts, jedenfalls keine Bandbreite. Warum werden also solche Sendungen nicht auch in der Originalsprache ausgestrahlt? Im Fall von Arte also in deutscher, französischer und hier dänischer Sprache. Ansonsten eben deutsche Sprache plus Originalsprache des Films. Damit würde das Fernsehen einen wichtigen Beitrag zur fremdsprachlichen Kompetenz der Deutschen leisten können.
Götz Lipphardt
Originalsprache
Genau das frage ich mich auch immer. Ich hoffe jemand kann hier erklären wieso es nicht möglich ist Filme auch in anderen Sprachen zu senden. Grade bei den ganzen neuen Digitalsendern sollte es technisch doch keine Probleme bereiten.
Auch Freunde aus Dänemark und den Niederlanden fragen mich immer wieder kopfschüttelnd wieso wir die Filme hier synchronisieren. Leider kann ich nie eine befriedigende Antwort geben.