Moderne Stadtentwicklung fußt auf der Vorstellung, dass Städte wachsen . Ein Wachstum, das organisiert und dank neuem Wohnraum in geordnete Bahnen gelenkt werden muss. Und so sehen die Instrumente der Stadtentwicklung gegenwärtig auch aus: Bebauungspläne, Bauordnungen, Bauleitplanungen – es könnte grüner sein. Doch den neuen Herausforderungen für die Stadt der Gegenwart ist mit Bauen kaum zu begegnen. In vielen westlichen Großstädten ist der Bedarf an Wohnraum und Gewerbegebieten gedeckt – zumindest im Vergleich zum rasanten Stadtwachstum des 19. Jahrhunderts. Deshalb stellt sich für die europäische Stadt der Zukunft weniger die Frage des quantitativen Wachstums, als die nach der (Über-)Lebensqualität.
Wie sieht eine Stadt aus, deren Energiebalance ausgeglichen ist und die effizient mit ihren Ressourcen umgeht? Wie muss eine Stadt sein, die sich den Auswirkungen der Erderwärmung vorausschauend anpasst und zugleich hilft, weiteren Klimawandel zu vermeiden? Wie kann die Stadt weiterhin dem ihr eingeschriebenen Glücksversprechen gerecht werden? Der Ausspruch "Stadtluft macht frei" bedeutet heute vor allem, Raum für sich immer weiter ausdifferenzierende Lebensstile bereitzustellen und Ungerechtigkeiten des Systems abzupuffern. Statt in der gebauten Stadtlandschaft nach Antworten zu suchen, muss hier der städtische Grünraum übernehmen.
Schon heute spricht man von Urban Heat , innerstädtischen Hitzeinseln, in denen eine dichte Bautypologie die lokale Hitzeentwicklung verstärkt . Bebauungsauflockerungen, kleine Pocketparks, grüne Dächer und Fassaden, Wiesenflächen und schattenspendende Bäume können diese Effekte auf mikroklimatischer Ebene, also im unmittelbaren Umfeld, reduzieren. Erste Beispiele für Grünfassaden gibt es schon, viele Städten haben auch begrünte Dächer. Doch sind das meist private Terrassen und keine öffentlichen Räume.
Dachparks für eine kühle Stadt
Warum sich nicht eine Stadt vorstellen, in der die Dachlandschaft grün und für jedermann zugänglich ist? Statt sich nicht nur auf Straßenniveau zu bewegen, könnten die Menschen von einem begrünten Dach zum anderen wandern. Einige Städte fördern bereits den Ausbau von Gründächern: Toronto hat mit dem Green Roof Bylaw eine gesetzliche Grundlage geschaffen, die den Bau von Gründächern bei bestimmten Gebäuden vorschreibt.
Eine andere Möglichkeit, die Stadt zu kühlen, ist die Optimierung der Kaltluftzufuhr. Lenkt man die aus der Umgebung in die Stadt strömende Luft in die richtigen Bahnen, sorgt sie in der gesamten Stadt für ein kühleres Klima. Daraus folgt der Auftrag, das Umland gut zu schützen. In Frankfurt wird überlegt, wie die Umleitung der Luft aus dem die Stadt umgebenden Grüngürtel verbessert werden kann. Strahlenartige Grünschneisen, die aus dem Grüngürtel in die Stadt reichen, könnten eine Lösung sein. Die Debatte um Kühlung könnte bald ein wesentliches Paradigma der Stadtentwicklung ändern: In Zukunft werden Gebäude vielleicht nicht mehr abgerissen, weil ein Investor etwas Größeres, Schickeres errichten will, sondern weil der Bestand die Kaltluftzufuhr bremst und so die Kühlung eines Stadtviertels verhindert.
Der Segen einer neuen Mobilitätskultur
Sich an ein verändertes Klima anpassen ist das eine. Noch wichtiger ist die Vermeidung weiterer Erwärmung – und da ist die Stadt Problem und Lösung zugleich . Zum einen ist sie mit ihren Bürotürmen und ihrer Verkehrsdichte eine echte Energieschleuder. Auf der anderen Seite aber ist die Stadt ein Labor der Lebensstile, in dem so etwas wie eine nachhaltige Gesellschaft entwickelt und erprobt werden kann. Hier sind bislang skandinavische Städte Vorreiter. Kopenhagen , die frisch gekürte europäische Umwelthauptstadt 2014, möchte bis 2025 komplett CO2-neutral werden.
Ein wichtiger Aspekt dabei ist der automobile Individualverkehr , der in den meisten europäischen Städten bereits rückläufig ist. Nicht aus Zwang oder schlechtem Gewissen, sondern weil für einen modernen, urbanen Lebensstil das Prestigeobjekt Auto nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Eine neue Mobilitätskultur entsteht, in der zwischen Fahrrad, Auto und öffentlichem Verkehr je nach Bedarf gewechselt wird. Und das Auto muss man nicht mehr selber besitzen, sondern kann es mit anderen teilen. Weniger Autos bedeuten indes weniger Bedarf an Straßenraum. Bis jetzt wissen die wenigsten Städte, wie sie mit diesem neuen Freiraum umgehen sollen.
Land? Stadt? Die Region zählt!
Diese neue Mobilitätskultur ist Teil eines neuen Regionalismus, der Stadt nicht mehr als Gegensatz zum Land begreift. Nahrungsmittel sollen entweder in der Stadt selbst angebaut oder aus der unmittelbaren Umgebung geliefert werden, um Transportkosten und die damit verbundenen Emissionen zu sparen, frisch und bio soll es sein. Ernährung soll nicht mehr abstrakt sein, sondern unmittelbar erlebbar. Dieser regionalistische Lebensstil bringt neue Raumbedürfnisse mit sich: Warum nicht Parkflächen mit Kühen und Schafen beweiden , damit Stadtkinder Haustiere nicht nur im Bilderbuch sehen? Mit urbaner Landwirtschaft wird die Idee einer sich selbst versorgenden Stadt verfolgt. Und dabei geht es nicht um romantische Fantasien der Stadtflucht oder eine Wiederbelebung der vor hundert Jahren imaginierten Gartenstadt, sondern um konkrete Planungsstrategiem für dichtbesiedelte Großstädte. Sogar New York hat mit dem NYC Urban Food Plan Ansätze erarbeitet, wie städtische Farmen einen Beitrag zur Lebensmittelversorgung leisten könnten.
Freiraum für Sinnlichkeit und soziales Miteinander
In Zeiten, in denen die Arbeitsprozesse der globalen Dienstleistungsindustrie immer abstrakter werden, will der moderne Stadtbewohner die Auswirkungen seines Handelns auch sinnlich direkt erleben. Das Gärtnern hat deshalb in fast allen Großstädten eine Renaissance erlebt und manchmal nehmen Gartenprojekte dabei sogar jenen Raum ein, der früher den Autos vorbehalten waren: Hamburgs innovatives Gartendeck befindet sich auf einem ehemaligen Parkplatz. In kleinen Grünräumen wie diesem oder den Berliner Prinzessinnengärten wird aber nicht nur fürs eigene Wohlbefinden gegärtnert. Hier werden auch neue Formen des sozialen Miteinanders erprobt, die auf Freiwilligkeit basieren und sich außerhalb der gewohnten Zeit- und Geldökonomien bewegen. Gleichzeitig zwingen solche Projekte alle Beteiligten, Verantwortung zu übernehmen, denn ein Garten will gepflegt sein. In selbstorganisierten Grünräumen lernen Gemeinschaften, sich selbst zu regulieren.
Schließlich ist der Grünraum in der Großstadt des 21. Jahrhunderts auch Auffangbecken oder Puffer für soziale Ungerechtigkeit. Der Anbau von Blumen und Gemüsepflanzen ist für Menschen am Rand der Wohlstandsgesellschaften nicht nur romantisches Hobby, sondern eine wichtige Erwerbsquelle. Viele Kleingärten dienen der Subsistenzwirtschaft oder sind Wohnort von Rentnern, die sich keine Wohnung leisten können. Und in fast allen Großstädten finden sich in Parks Unterschlupfe für Obdachlose oder informelle, temporäre Minisiedlungen von Wanderarbeitern.
Wachstumsraum von Morgen
Parks, Baumreihen, Brachen und Seitenstreifen sind der zentrale Raum der urbanen Zukunft, denn in diesen Grünräumen spiegeln sich sozialpolitische und klimatologische Fragen. Die Stadt von morgen braucht mehr davon, als heute zur Verfügung steht. Diese neuen Grünräume zu erobern, wird eine entscheidende Aufgabe der zukünftigen Stadtplanung sein. Dabei geht es zumindest im europäischen Kontext nicht um Hightech-Projekte, nicht um grüne Hochhäuser und mehrstöckige Parks, wie sie für die hochverdichteten Metropolen Asiens entworfen werden. In der europäischen Stadt sind die Räume schon da, sie müssen zurückerobert werden – wie all die Parkplätze und innerstädtischen Autobahnen, die mit einer sich wandelnden Mobilitätskultur frei werden könnten.
Grünraum ist der Wachstumsraum der Zukunft. Aber mit einer Begrünung wird sich auch das Bild von Stadt ändern. Wie sich bereits jetzt am wilden Äußeren so mancher Urban Gardening Projekte ablesen lässt, wird Improvisation gegenüber geordneten Strukturen an Gewicht gewinnen. Vielleicht keine schlechte Übung für eine Gesellschaft, die nicht nur ihre Stadtstruktur, sondern auch ihre ökonomische Basis neu erfinden muss.
Kommentare
Selten solch einen Murks gelesen
Mal eine kleine Nachhilfe: Grünflächen sind in der Wartung recht teuer. Selbst eine blöde Rasenfläche muss regelmäßig gemäht werden. Wer meint so etwas mit Kühen und Schafen hinzubekommen, der sollte sich auch mal überlegen, dass die lieben Tierchen ganz schon mobil sein können und daher entsprechendes Personal brauchen. Gerade Kühe sind nicht ganz ohne. Man kann natürlich auch gleich alles Einzäunen und mit Stachel- oder Elektrodraht versehen. Zweitens neigen bestimmte Zeitgenossen dazu, solche Grünflächen als Müllhalde zu missbrauchen. Sicher eine ganz tolle Erlebniswelt für Kinder.
Das mit dem Kleingarten als Erwerbsquelle ist auch eine Erkenntnis, die schon locker seit 30 Jahren nicht mehr stimmt. Was nützt es z.B. Kohl anzubauen, wenn man ein 10er-Netz für 2 Euro bekommen kann? Rein finanziell betrachtet, zahlt man dabei drauf. Bei uns sich Nahrungsmittel viel zu billig. Nebenbei gehen ja gerade die Städter immer mehr zu Convenience-Produkten über, weil für das richtige Kochen weder Zeit noch die Fähigkeiten da ist. Da kreist die Microwelle. Die Nahrungsmittelhersteller haben aber etwas besseres zu tun, als die ganzen Kleingärtner abzuklappern. Nebenbei dürften diese Produkte in vielen Städten auch stark schadstoffbelastet sein.
Die Stadt Frankfurt hat schon ihre Kaltluftzufuhr: die nennt sich Neue Mainzer Straße. Da zieht es eigentlich immer.
Schwache Argumentation
Stadtgärten und ein wenig Grün hier und da bieten sicherlich ein Stück Lebensqualität für einige Stadtbewohner, es bleibt aber offen, ob diese Dinge "klimatologische" Relevanz haben.
Schafhaltung im Stadtpark mag für einen sonntäglichen Familienspaziergang interessant sein, wird aber die "sozialen Probleme" hoher Lebensmittelpreise bzw. Armut nicht lösen.
Aus einer Designperspektive mögen das spannende Fragen sein, Politikempfehlungen sollte aber auf Analyse fußen.
Die Überlegungen sind im Ansatz richtig.....
unsere Städte sind derzeit ziemlich trostlos.
Ich lebe auf dem Land und genieße "Stadt" nur noch
"dosiert".
Schafe und Kühe auf begrünten Parkplätzen ?
Für die armen Tiere hoffe ich, dass das nicht
umgesetzt wird :)
Dachgärten, Fassadenbegrünungen und generell mehr
große, zusammenhängende Flächen mit Baumbestand,
das ist sicherlich ein erster Schritt in die
richtige Richtung.
Gratulation zu dem Artikel
Er stellt in kurzen Zügen die Ansätze dar, die zunehmend in der Stadtplanung Raum gewinnen. Wir machen uns darüber Gedanken, wie sich Städte künftig entwickeln, wie es gelingt, die hochkomplizierten Vernetzungen innerhalb und außerhalb der Stadträume so umzubauen, dass diese "Organismen" auf Dauer "lebensfähig" bleiben, bzw. realistischer formuliert "überleben können".
Klar funktioniert das nicht allein durch einzelne Maßnahmen hier und dort. Wenn sich diese aber wie einzelne Mosaiksteine in ein ganzheitlich ausgerichtetes Konzept einfügen, macht es Sinn. Zu Hinterfragen ist dabei immer, ob wir dabei auf dem richtigen Weg sind. Die Tendenz besteht hierzulande zu einseitigen Fokussierungen, wie bei der Überhöhung der Klimarelevanz des CO2-Faktors erkennbar. Wichtig wäre dagegen, sich vordringlich um die Flächenbewirtschaftung (Ziele: kurzgeschlossene Wasserkreisläufe, kurzgeschlossene Stoff- und Wirtschaftskreisläufe, funktionierende Sozialgesellschaften) zu kümmern. Damit lösen das CO2-Thema nebenbei mit, wappnen uns aber gleichzeitig effektiv gegen Extremwetter und sonstige terrestrische Widrigkeiten.
Als langjähriger Praktiker sehe ich natürlich auch die vielen Hemmnisse, die es zu überwinden gilt und die sehr lange Wegstrecke. Trotzdem haben wir keine andere Chance, wir werden die breiten, bequemen und ausgetretenen Wege verlassen müssen und neue beschreiten müssen, und zwar dringend.