ZEIT ONLINE:
Herr Mälzer, was haben Sie während Ihrer Schulzeit gegessen?
Tim Mälzer:
Höchstens mal einen Kakao oder ein Mohrenkopfbrötchen. Da ich keine Ganztagsschule besucht habe, war ich um ein Uhr zu Hause und bekam Mittagessen.
ZEIT ONLINE:
In Deutschland streitet man gerade darüber, ob das Schulessen zu teuer für sozial schwache Familien ist. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Mälzer:
Ich finde diese ewige Kostendiskussion hinfällig. Wenn man unbedingt Dosenfutterfraß haben will, sollte man sich einen Hund anschaffen, aber kein Kind. Die Eltern tragen genauso eine Verantwortung wie die Regierung und die Schulen. Wir wissen,
welche Konsequenzen Fehlernährung hat:
Übergewicht, Konzentrationsschwierigkeiten, mangelnde Leistungsfähigkeit. Dennoch sagen wir: Schulspeisung muss billig sein – das finde ich schlimm.
ZEIT ONLINE:
Welche Ansprüche sollte an einen Schulkantinen-Lieferanten gestellt werden? Sind Fertigprodukte tabu?
Mälzer:
Ganz im Gegenteil, es gibt viele Gemüse, die in tiefgefrorenem Zustand dem frischen überlegen sind. Es ist nur die Frage, ob alles tiefgefroren sein muss. Wenn ich nur geschmacksverstärkte Soßen und weichgekochtes, zerlümmeltes Gemüse und salzarme Kost anbiete, brauche ich mich nicht zu wundern, wenn die Kinder sagen: Ich mag das nicht.
ZEIT ONLINE:
Ist es überhaupt möglich, gesundes, schmackhaftes Kantinenessen zu moderaten Preisen anzubieten?
Mälzer:
Das ist schon möglich. Wäre die Schule dafür verantwortlich, entspräche der Einkaufspreis mehr oder weniger dem Verkaufspreis. Die meisten Schulen beschäftigen jedoch professionelle Caterer, die natürlich das Ziel haben, Geld zu verdienen. Von jedem Essen geht mindestens ein Euro an die Firma, also bezahlt man maximal 1,20 Euro allein für die Lebensmittel. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Schulen im ländlichen Bereich günstiger einkaufen können, weil sie direkt mit regionalen Anbietern kooperieren und die Handelsketten dadurch auslassen. Das funktioniert in der Stadt noch nicht so richtig.
ZEIT ONLINE:
Wenn man ein Essen von 2,20 pro Tag auf den Monat hochrechnet, könnte das für manche Familien schon schwierig werden.
Mälzer:
Wenn ich nicht mal 2,20 Euro für das Essen meiner Kinder habe, muss ich vorher mal nachdenken. Ich kann doch als Eltern nicht sagen: Kümmert ihr anderen euch mal und bezahlt. Sicherlich gibt es Familien, die grundsätzlich mit einem sehr schmalen Budget auskommen müssen. Aber selbst dort hat leider manchmal die richtige Ernährung einen untergeordneten Stellenwert, weil die Eltern nicht mehr selbst kochen, obwohl das eigentlich günstiger wäre als Fastfood oder Tiefkühlpizza. Von einem Kind kann man am wenigsten Verantwortung erwarten. Wenn die Eltern und die Schulen sie nicht übernehmen, ist irgendwann das Gejammere wieder groß, wie schlimm die Jugend geworden ist. Die Jugend ist aber ein Abziehbild unserer selbst.
ZEIT ONLINE:
Gemeinsam mit dem Bundesministerium für Ernährung betreuen Sie das Projekt "Küchen für Deutschlands Schulen". 100 ausgewählte deutsche Schulen sollen mit Küchen ausstattet werden. Wie lief das Projekt an?
Mälzer:
Am Anfang dachten die Leute, wir kommen da hin, bauen die Küche auf, bringen die Lehrpläne mit und liefern sozusagen das Komplettpaket. Dem ist aber nicht so. Ich bin weder Pädagoge noch Bildungsbeauftragter. Ich habe mich bereit erklärt, die Küchen aufzubauen, so dass dort Unterricht stattfinden kann. Ich bin aber nicht verantwortlich für den Inhalt des Unterrichts. Das wäre anmaßend. Wir wollen mit dem Projekt vielmehr einen Anschub machen und die erste große Hürde, nämlich die Kosten für die Schulküchen, überwinden.
ZEIT ONLINE:
Welche Rückmeldungen haben Sie bisher bekommen?
Mälzer:
Als die Küchen standen, fand auf einmal eine Eigeninitiative in den Schulen statt, die sensationell war. Eine Grundschule in Berlin-Wedding hat zum Beispiel gleich noch einen Kräutergarten angelegt. Gerade in dieser Schule hat die Küche viel für die soziale Integration bewirkt, sie hat eine große Solidarität zwischen Eltern, Schülern und Lehrern ausgelöst. Das ist für mich Essen und Trinken. Es geht mir nicht um den absoluten Gehalt von Vitamin C in der roten Paprika. Es geht um einen normalen, natürlicheren Zugang zum Essen.
Kommentare
Mach uns den Jamie Oliver, ....
... Tim Mälzer, das hat uns noch gefehlt.
Neben all den Kochsendungen, die das Kochen im Alltag für viele Menschen mittlerweile überflüssig erscheinen lassen und Leuten wie Lichter und Mälzer, denen die Performance wichtiger zu sein scheint, als das Essen an sich, haben wir ja dann noch die Labertaschen, die Interviews beim Schaukochen führen, uns Landschaften zeigen, die die professionell auf Kultursendungen Kochreisen zeigen, die Nachmittagshäppchen- und Partykocher, die Morgensendungskocher und was war noch???
Merkt keiner, dass diese Schwemme nur noch langweilt und trotzdem viele Menschen nicht wissen, wie man einfachste Gerichte zubereitet - seltsam, diese Lifestyle-Geschichten.
Anscheinend...
...haben Sie noch keine der Sendungen wirklich gesehen. Gerade bei Jamie Oliver geht es um einfache Dinge, die jeder nachkochen kann, und die sehr schnell gehen. Ich mache Ihnen z.B. innerhalb von 15 Minuten eine Tomatensoße für Nudeln, die besser ist, als alles, was man draußen an Fertigzeugs bekommt. Und das für ganz wenig Geld. Diee Köche sind etwas ganz anderes wie Lafer oder Schuhbeck. Diese Leute hätten mir nie den Spaß am Kochen gezeigt, JO wohl...aber schön dass Sie so verallgemeinern...
Und über das gemeinsame Essen als Treffpunkt gebe ich ihm auch vollkommen Recht: Eine Familie sollte versuchen zumindest einmal am Tag ein gemeinsames Essen zu ermöglichen, egal ob Frühstück, Mittag- oder Abendessen.
Das einzige wo ich ihm widerspreche ist die Tatsache, dass es wirklich Familien gibt, die sich 50 Euro im Monat für das Schulessen nicht leisten können...und bei denen kommt kein Fertigzeugs auf den Tisch.
Natürlich geht Mälzer in die Jamie Oliver-Richtung
– aber das tat er schon immer, vom ersten Tag an als er in der ersten Jamie Oliver als sein Freund, Ex-Kollege und Gastkoch aufgetreten ist. Ihm jetzt konzeptionelle Ähnlichkeit zum britischen Koch-Guru vorzuwerfen ist Tenor von vorgestern.
Es ist ein gutes Interview, dass die Problematik beim Namen nennt. Nur Mälzers Aussage:
Sicherlich gibt es Familien, die grundsätzlich mit einem sehr schmalen Budget auskommen müssen. Aber selbst dort hat leider manchmal die richtige Ernährung einen untergeordneten Stellenwert, weil die Eltern nicht mehr selbst kochen, obwohl das eigentlich günstiger wäre als Fastfood oder Tiefkühlpizza.
muss widersprochen werden. Er möge doch bitte mal durch die Discounter oder Bio-Läden gehen und die Zutaten für eine Runde Pizza für eine vierköpfige Familie einkaufen – und dementsprechend beim Discounter die Fertigproduktion. Und dann Preise vergleichen. Und die Preise dem Budget einer Familie, die von einem ALG II-Satz und zwei Minijobs versucht über die Runden zu kommen vergleichend gegenüber stellen. Fastfood ist sicherlich nicht günstiger, aber ja, Chinasuppen und Tiefkühlpizza ist für viele Familien in Deutschland leider nur noch das einzige finanzierbare Essen.
So oder so können wir aber nicht genügend Köche oder prominente Menschen haben, die darauf hinweisen, wie wichtig vor allem saisonale und regionale Essenversorgung ist.
dem muss ich sehr widersprechen...
Auch wenn ich Ihnen in allem soweit recht gebe, aber Fertigzeugs ist sicherlich nicht das preiswerteste. Selbst wenn ich im Supermarkt einkaufe und so koche, dass ich große Mengen zubereite, die ich einfrieren und immer auftauen kann.
Ich musste selber einige Zeit mit einem sehr schmalen Budget und konnte gerade durch das selber kochen unheimlich viel Geld sparen. Und wenn man dann noch einen Bauern mit kleinem Laden in der Nähe hat, dann wirds wirklich preiswert. So macht meine Frau (auch wenn wir usn heute mehr leisten können) für 3 Euro eine Gemüsesupper (oder Eintopf), von dem wir 3-4 Tage essen könnten. Das wären 50 Cent pro Person/Tag für ein Mittagessen, was gesund ist und von dem man satt wird. Da möchte ich bei Fertigzeugs wirklich etwas vergleichbares finden...
Dreimal Daumen hoch, Herr Mälzer!
Es ist wichtig, dass die Verantwortung für die elemantersten Dinge, wie Essen und Nahrungszubereitung nicht aus den Familien genommen werden, wie es durch eine MUSS-Regelung der Fall wäre. Aber das steht nicht im Widerspruch Koch- und Ernährungskurse an Schulen anzubieten.
Was spricht dagegen einfach so mit den Kindern zu kochen oder es als Wahlfach anzubieten? Nur die Kosten. Und wenn es den Staat etwas kostet, müssen alle auch müssen. Warum?
Ich hatte Kochen als Schulfach (an einem bayrischen Gymnasium! Alle zwei Wochen fünf Stunden lang am Nachmittag) ... und die Jungs hatten Blutrausch vor Wut, weil vor 25 Jahren dafür nur Mädchen zugelassen waren. Zuerst selbstständig in der Kleingruppe einkaufen, dann Ernährungslehre, dann in der Kleingruppe kochen, dann zusammen essen. Nach zwei Jahren hatten wir eine Kochprüfung, zu denen sich tatsächlich IHK Prüfer einfanden.
Wir haben während des Kurses nach jedem Essen die Gruppe gekürt, die am Günstigsten und Besten eingekauft hat und die, die mit dem geschmacklich ebsten Gericht. Mal saß man mit hängenden Mundwinkeln vor der einfallslosen Bulette mit Kartoffelbrei und dem Birnenkompott laut vorgeschriebenem Rezept und hat nur der Gemeinschaft wegen und um seinen guten Willen zu beweisen mitgegessen. Beim nächsten Mal hat man angefangen beim Rezept zu schummeln... damits schmeckt.
Das Konzept Kochen in der Schule ist nicht neu. Aber es wird Zeit, dass es neuen Auftrieb kriegt, mit Jungs und ohne Müssen.
(Zu) einfache Antworten...
Für gesellschaftlich verursachte Probleme gibt es leider keine einfachen Lösungen. Ich wünsche mir eine deutlich differenziertere Auseinandersetzung zum Thema Schulverpflegung - weniger auf der Lifestyle-Seite als auf der Bildungsseite. Dann wäre Platz, um zu erklären, daß eine "Schulküche", in der Kinder unterrichtet werden, etwas anderes ist, als eine "Schulküche", in der das tägliche Mittagessen zubereitet wird.
Es ließe sich genauer untersuchen, ob die monokausale These "Ein paar Tage Kochen in einer Bremer Schule reduziert die Hibbeligkeit" nicht ähnlich albern ist wie die These von einer "Jugend als Abziehbild unserer selbst".
Zu fordern ist aus meiner Sicht eine Professionalisierung auf allen Ebenen:
- Pädagogisch durchdachte Mittagszeiten (das bedeutet hier nur anscheinend paradox: entpädagogisierte Erholungszeit)
- professionell gutes Essen
- zu betriebswirtschaftlich sauber kalkulierten Preisen
- in einem professionell organisierten (d.h. auch im Schulkontext: den Bedürfnissen der Gäste Rechnung tragenden) Ambiente
- von einer professionellen (d.h. auf Kooperation setzenden) Bürokratie unterstützt,
- eventuell von einer professionellen (d.h. im Bildungskontext: einer bildungsorientierten und -interessierten) Wissenschaft reflektiert.
- und nicht zuletzt von einem professionellen (d.h. wohl: kritischen informierenden) Journalismus begleitet.
Zugegebenerweise etwas komplex - wie unsere moderne Gesellschaft - und deshalb nicht auf die ganz schnelle Tour zu haben.
Ja, Herr Professor...
...dazu brauchts dann natürlich auch die "multilineare Berechnung des Grenzwertnutzens ökologisch bodenständiger Basisbestandteile aus lokaler Agrarproduktion versus maschinell getakteter, uniform präfabrizierter ,segmentierter Kombiprodukte in begleiteter, mulizentrischer Doppelblindstudie an präpubertären Hominiden im zentraleuropäischen Schulsystem.