Über Jörg Haider, seine Karriere, sein Leben und seinen Tod ist so ziemlich alles gesagt. Alles und mehr, geschönt und verklärt. In den Stunden und Tagen nach Haiders Unfall wurde in Österreich von politischen Honoratioren der Republik und von Journalisten, die sich für solche halten, so hemmungslos gelogen wie nie zuvor.
Wer sich das Korps, Pardon: den Chor der Nachrufer vom benachbarten Ausland aus angesehen, angehört und nachgelesen hat, dem konnte davon schlecht werden. Der Höhe- oder besser Tiefpunkt dieses Hypes der Nachrufer war die Ergriffenheit, mit der sie Jörg Haider zur Ausnahmegestalt der österreichischen Politik erklärten und auf eine Ebene mit Bruno Kreisky erhoben.
Ausnahmegestalten nebeneinander, unter sich sozusagen, "auf gleicher Augenhöhe", wie man heute sagt. Du meine Güte! Gewiss war Haider eine politische Figur, die aus der Menagerie der österreichischen Politiker herausragte. Gar so schwer, mit Verlaub (der Autor ist Österreicher), war das ja nicht. Aber Haider und Kreisky, die Großen Zwei der Republik? Das ist dann doch ein Akt der Legendenbildung, der ungenierte Versuch, einen rechten Heldenmythos zu begründen. Die staatstragenden Medien sind dagegen nicht eingeschritten, eher im Gegenteil. Überall im Lande herrschte zwischen ökumenischem Gottesdienst und staatsfeierlichem "Landesbegräbnis" in Kärnten hingebungsvolle Pietät. Skepsis wurde in der 3sat- Kulturzeit wenigstens aus einem Wiener Café gesendet. Ein Rest von Klarsicht und Wahrhaftigkeit.
Haider und Kreisky – dazu ein paar Anmerkungen. Der 1990 verstorbene erste sozialdemokratische Kanzler der Zweiten Republik hatte in seinen letzten Jahren aus der Zurückgezogenheit auf Mallorca mit ein paar altersmilden Äußerungen über Haider für Missverständnisse gesorgt. Das ändert aber nichts daran, dass ihn von Haider, was Anstand, Moral und Rechtsbewusstsein angehen, ganze Welten trennten. Die einzige zulässige Analogie von Haider zu dem Mann, der Österreich den Weg in die europäische Nachkriegs-Moderne geöffnet hat, ist die Tatsache, dass beide über die Grenzen ihres Landes hinaus bekannt und wirkungsvoll waren. Der eine als Demokrat, der andere als Demagoge.
Mit dem ehemaligen Kanzler habe ich mich ein Jahr vor seinem Tod ausführlich über den damals gerade im Aufstieg befindlichen Populisten Haider und seine Rolle in der österreichischen Politik unerhalten. Das Gespräch war Teil eines Buchprojekts, das später, nach Kreiskys Tod, verwirklicht wurde. Deutlich war vor allem Kreiskys Ärger über die Bildung der Großen Koalition, insbesondere darüber, dass die Sozialdemokraten das Außenministerium – sein Außenministerium – an die ÖVP abgegeben hatten. Das alles, um "den Haider" auszugrenzen? Dieses Opfer wäre ihm das nicht wert gewesen.
Man hätte versuchen sollen, den Haider einzubinden, grollte der alte Mann der Sozialdemokratie, der 13 Jahre lang Kanzler von Alleinregierungen gewesen war. "Warum sollte der Haider eigentlich keine Voraussetzungen haben für eine Koalition mit den Sozialdemokraten. Warum nicht? Nur weil er gewisse populistische Neigungen hat? Ich kann mich an so viele erinnern, die populistische Neigungen hatten und die dieser Neigungen durchaus entkleidet werden konnten."
Kommentare
Seit Hitlers Autobahn ist in Deutschland der Begriff Freiheit
weitgehend darauf reduziert, auf der zu rasen, zu drängeln, andere mit Lichthupe, waghalsigen Überholmanövern usw. zu schikanieren - Würstchen, die sich für Herrenmenschen halten, freie Fahrt für freie Bürger! schreien sie manchmal laut.
Ähnlich eng geführt hat Haider in Österreich den Begriff freiheitlich, und sein Tod zeigt dies noch einmal wie unter einer Lupe: In grandioser Selbstüberschätzung mit 140 km/h unterwegs, wo 70 erlaubt waren, setzte er sich über die Gesetze seines Landes hinweg - wie oft hatte er dies in widerwärtiger Stimmungsmache ausländischen Mitbürgern unterstellt - und hatte Pech.
Glück war, dass sich ihm eine Betonmauer, hinter(!) einer Hecke unsichtbar, in den Weg stellte - und nicht etwa ein Mensch, vielleicht auf dem Heimweg, einem Botengang oder was einen auch immer aus dem Haus treiben mag, dessen Leben der Landeshauptmann ganz selbstverständlich aufs Spiel setzte.
Haider war, bis zu seinem Ende, ganz offenbar ein völlig verantwortungsloser Mensch, dem öffentliche Ämter nie hätten anvertraut werden dürfen, und die Wahlerfolge der Rechten und die oben beschriebenen Reaktionen auf seinen Tod zeigen, dass es mit der charakterlichen Integrität vieler anderer auch nicht weit her sein kann.
dem ist,
aus meiner sicht, nichts mehr hinzuzufügen.
Einseitig
Der Kommentar richtet sich generell an die Redaktion der Zeit im allgemeinen als an den Autor des hier kommentierten Artikels:
Das ist der dritte Artikel den ich auf ihrer Internetplattform zu diesem Thema lesen kann und es ist der dritte Artikel der durch seine Einseitigkeit auffällt. (Das was die Autoren dem Blickwinkel der österreichischen Mehrheitsbevölkerung vorwerfen - nebenbei gesagt). Ihre Redaktion bedient sich hierzu offenbar ihrer "Quotenösterreicher", damit nicht der Verdacht entsteht, dass deutsche Redakteure, quasi von oben herab über ihre österreichischen Nachbarn schimpfen. Allerdings gehen sie nicht besonders dezent vor. Die erste ausgesprochen einseitige Wortspende kam von einem Reakteure des Falters - keine Zeitung die in Liberalität und Qualität mit der Zeit mit halten kann, sondern einer dezediert linken Zeitung. Von Herrn Perger weiß ich nichts, außer dass er offenbar ebenfalls Österreicher ist. Ich weiß auch nicht warum er das Landesbegräbnis so zynisch erwähnt, dass jedem Landeshauptmann zuteil wird, und nichts mit irgendjemandes Meinung über die Person Haider zu tun hat.
Die Redaktion der Zeit hat sich bei der Behandlung dieses Themas nicht dazu entschieden interessante aktuelle Fragen zu behandeln (Wie wirkt sich das geschehene auf die Koalitionsverhandlungen in Wien aus? Kommt eine Wiedervereinigung des dritten Lagers jetzt in Frage?) sondern dazu österreichischen (ich nehme an) Gastredakteuren die Möglichkeit zu geben ihre Meinung zu schreiben. Keine falsche Entscheidung, allerdings trifft sie wie die Juristen es nennen schon ein Auswahlverschulden für die von ihnen dafür engargierten Autoren.
Klar ist, dass nicht nur weil jemand gestorben ist, deswegen alle Differenzen oder Reibungspunkte die man mit einer Person hatte aufgehoben sind, und das eine posthume Glorifizierung von Menschen auch gefährlich für die Zukunft sein kann, ABER diese Überlegungen endbinden niemanden einer zumindest ausgewogenen Betrachtung des politischen Lebenswerks eines verstorbenen Politikers. Ich vermute ja, dass die Empörung über die etwas zurückgebliebenen, reaktionären kleinen Nachbarn im Süden immer ganz gut beim deutschen Leser ankommt. Das ändert aber nichts daran, dass Jörg Haider, trotz seiner Neigung dazu sich populistisch am Rand der Geschmacklosigkeit zu bewegen, mit seiner Ablehnung des österreichischen Proporzsystems eine Entwicklung angestoßen hat, die Österreich auch zum guten verändert hat. Ich stelle bei der Lektüre ihrer Zeitung zum Thema der Linkspartei immer wieder Fest, dass sie sich schon immer die Mühe geben Themen von mehreren Seiten zu beläuchten, gerade betreffend politische Bewegeungen am Rande des Spektrums, und keine polemischen Schnellschüße abgeben.
Versuchen sie bitte auch im Bezug auf Österreich dieses Niveau aufrecht zu erhalten.
Als Österreicherin
bin ich wirklich froh, dass wenigstens im Nachbarland die nachträgliche fast allseitige Haiderverehrung als absurd aufgezeigt wird - schöner und weniger geschmacklos wäre es natürlich, wenn sich unsere Medien - speziell der ORF - nicht für diese Verherrlichung missbrauchen ließen. Ich kann auch nicht sehen, was Haider Positives für Österreich geleistet haben soll. Ich habe mich, vor allem bei meinen häufigen Auslandsaufenthalten, für seine Aussagen immer nur geniert und kann desahlb nicht umhin erleichtert zu sein, dass wir uns die in Zukunft ersparen werden.
Wissen Sie denn nicht ...
... dass eine solche "Verklärung" einfach zur hiesigen Mentalität gehört? Seinerzeit brachte sogar die reaktionäre Kronenzeitung einen ehrenvollen Nachruf auf Thomas Bernhard, wieso sollten dann sozialdemokratische- oder grüne Politiker nicht gut von Jörg Haider reden? Ich habe noch nie im Leben FPÖ oder BZÖ gewählt, aber ich möchte einfach nicht am Friedhof herumtanzen. Sorry, nein wirklich nicht.
Weit an den Realitäten vorbeigesegelt
Lieber Autor dieses Artikels, Sie monieren, dass Haider von Kollegen Ihrer Zunft fälschlich zur "Ausnahmegestalt der österreichischen Politik" erhoben worden sei.
Wollten Sie mit dieser Aussage nur die österreichischen Politker der Gegenwart oder auch jene der Vergangenheit beschimpfen? Sollte Haider keine Ausnahmegestalt gewesen sein? Eher der Normaltypus also? Oder Haider nicht nur der Normaltypus eines österreichischen Politikers, mehr noch der Normaltypus eines Österreichers?
Wie auch immer. Kein anderes Land der neueren europäischen Gegenwart, abgesehen von Lukatschenko's Weissrussland vielleicht, wurde wegen eines Politikers derart ins diplomatische Abseits gestellt. Noch nicht mal Berlusconi's Italien. Was wäre denn Ihrer Ansicht nach eine "Ausnahmegestalt"?