Als die SPD Nordrhein-Westfalen verlor, wusste Gerhard Schröder sich nicht mehr anders zu helfen als mit Neuwahlen. Seine Nachfolgerin ist zu wenig Spielernatur für eine ähnlich spektakuläre Reaktion. Aber man muss schon noch mal an jenes Jahr 2005 erinnern, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was für Angela Merkel an diesem 9. Mai auf dem Spiel steht. Die Wahl an Rhein und Ruhr ist nie bloß Zwischenzeugnis, Stimmungstest, Weckruf für die Regierenden im Bund gewesen. Und doch hat selten ein Wahlsonntag selbst im größten Bundesland so sehr das Zeug dazu gehabt, die Richtung der gesamten Politik nachhaltig neu zu bestimmen.
Der quasi technische Aspekt ist dabei der augenfälligste. Wenn Jürgen Rüttgers und Andreas Pinkwart nicht mehr zusammen regieren können, verliert Schwarz- Gelb seine Mehrheit im Bundesrat. Andererseits – Merkel und ihr Vizekanzler Guido Westerwelle müssen sich, siehe Schleswig-Holstein, das Ja des Bundesrates sowieso zusammenkaufen. Das Geschäft wird vielleicht sogar leichter, wenn es bloß noch Geschäft ist.
Das Problem der NRW-Wahl liegt für die Koalition im Bund aber sehr viel tiefer. Als Rüttgers das Land eroberte, in dem seit Jahrzehnten die "rote" Landeshälfte die Übermacht hatte, war dies das Aus für das Modell Rot-Grün. Wenn er das Land jetzt wieder verliert, steht das Ende des Modells Schwarz-Gelb im Raum. Denn egal, was dann in Düsseldorf kommt – die "bürgerliche Mehrheit" der Bundestagswahl würde zum Zufallsergebnis mit ungewissen Aussichten.
Der Rheinländer Guido Westerwelle hat das sehr gut verstanden, deshalb seine Rabauken-Auftritte der letzten Wochen. Jürgen Möllemann hat mit diesem Stil mal fast zehn Prozent gewonnen. Das Populisten-Kalkül könnte sogar wieder aufgehen. Freie Demokratie in NRW ist viel kleinbürgerlicher als die schwäbische Honoratioren-Liberalität. Trotzdem hat Westerwelles Kampagne nicht zufällig den Zug ins Panisch-Überreizte. Was soll denn auch, wenn es schiefgeht, die FDP noch mit einem Vorsitzenden, der für Schwarz-Gelb steht und für nichts als das? Obendrein für ein Schwarz-Gelb der Radikalreformen, das es nicht mehr gibt?
Die Gefahr, die die Wahl am Muttertag für Merkel bedeutet, ist weniger offensichtlich, doch kaum geringer. Sicher, Rüttgers hat mit der Sponsorenaffäre selber zu viel Schaden angerichtet, um eine Niederlage nur bei der Kanzlerin abzuladen. Aber Berlin ist nicht so weit weg von Köln und Paderborn, dass die Chaos-Monate der Koalition den Wählern dort verborgen geblieben wären. Warum sollen sie im Kleinen ein Bündnis bestätigen, das im Großen keine Lust auf sich hat? Die klassische Reaktion einer Landespartei ist ein Wahlkampf "gegen Berlin". Aber Rüttgers hat kaum eine Chance. Dafür ist die heutige Merkel-CDU – kleine Ironie der Parteigeschichte – der Arbeiterführerpartei zu ähnlich geworden.
Gleichwohl würde ein schwaches Abschneiden der CDU, gar ein Ende von Schwarz-Gelb in NRW, der CDU-Chefin nicht gut bekommen. Es wäre auch ihre Niederlage. Auch sie, die Kanzlerin, hätte dann dazu beigetragen, dass mit einer großen Koalition der Arbeiterparteien in Düsseldorf die Basis zum Wiederaufstieg der SPD auch im Bund gelegt wäre. Oder dass die FDP aus kühlem Kalkül mit Roten und Grünen ampelt.
Selbst ein schwarz-grünes Modellprojekt klingt in der Theorie verlockender, als es in der Praxis für Merkel wäre. Die zusätzliche Bündnisoption mag ja eine feine Sache sein. Aber die Kanzlerin muss die nächsten dreieinhalb Jahre mit den Liberalen regieren. Man mag sich das gar nicht ausmalen: eine hochnervöse Koalition, voller Misstrauen der kleinen gegen die große Partei, bei den Leuchtturmprojekten einer neuen Bürgerlichkeit von Steuerreform bis Atomlaufzeiten auf die Mithilfe Dritter angewiesen, die sich derlei Freundlichkeit politisch mit Gold aufwiegen lassen werden.
Das Wunschbündnis wäre am Ende, bevor es zur Wirklichkeit werden kann. Der Kanzlerin kann das nicht recht sein. Die CDU-Chefin muss es fürchten. In ihrer Partei steckt, trotz aller Westerwellerei, viel zu viel Wunsch nach heiler Welt im bürgerlich empfundenen Lager.
(Erschienen im Tagesspiegel)
Kommentare
Korrupte Politiker
Schwarz und Mövenpick stehen für Privatisierung, Deregulierung, Spekulanten, Konzerne und Käuflichkeit.
heile buergerliche Welt
ist wohl ein Wunsch der ueberwiegenden Mehrzahl der Waehler, mit heisser Nadel gestrickte Sozialgesetze hin oder her, wer hat nach den MILLIARDEN-DESASTER der Bank
Verstaendniss, dass nicht einige Millionen da sind um den Rentnern eine kleine Erhoehung zuzustehen, jahrelang wurde man in den besseren Zeiten vertroestet, eine Minierhoehung
war auf einmal moeglich wg. der Bundestagswahl, es waere ja
okay wenn die fixen Kosten konstant blieben, aber nein da wird von allen Seiten abgezockt und es wird so weitergehen
solange der Waehler diese Politik nicht noch mehr abstraft,
lass' sie bangen die Frau MERKEL und dieser Rent-Ruettgers,
vielleicht wird es mal besser wenn die GRUENEN Zug um Zug
erstarken, sobald CLAUDIA ROTH weg ist werden DIE einen beachtlichen Trend nach oben haben, unsere Parteienlandschaft hat es verdient aufgemischt zu werden,dass einige unserer Politiker anfangen tiefer zu denken wenn in ein paar Tagen wichtige Wahlen sind, gibt mir (leider) zu denken !
Die Mövenpickpartei
Die Klientel-Partei greift den Sozialstaat an und ist dadurch potentiell verfassungsfeindlich ( Sozialstaatsgebot des GG).
Belustigend...
wie hier versucht wird, Kausalitäten zu konstruieren, die doch nur auf Vorurteilen und Vermutungen beruhen.
Ich fühle mich an die satirischen Darstellungen Röslers zur Medienwelt erinnert.
Wenn man mal von den massiven Propagandaattacken ohne inhaltliche Substanz gegen die FDP absieht, so wird deutlich, dass schon zum zweiten Male verhindert werden soll, das sich politischen Gewichte, der parteipolitische Proporz in der Bundesrepublik nachhaltig verändert.
Denn erst bei Möllemann, und nun aktuell bestand und besteht meiner Meinung nach immer noch die Chance die SPD als Zweitstärkste Kraft in der Republik abzulösen.
Das erklärt auch die zeitweilige Unterstützung der Kampagne seitens CDU/CSU. Man ist nicht daran interessiert den Mehrheitsbeschaffer zu verlieren und gegen Konkurrenz einzutauschen.
Deshalb gibt es hier eine große Koalition gemeinsamen Interesses, das die bestehenden Macht und Einflussstrukturen erhalten will.
Je heftiger die Bedrohung, desto infamer die Diffamierung als neoliberale Klientelpolitiker, obwohl dieser Begriff viel eher zur SPD passen würde, deren Abhängigkeit von den Konzernen sie dazu veranlasste diesen die größten fiskalischen Geschenke durchzusetzen, bei gleichzeitigen Steuer- und Abgabenerhöhungen für kleine Leute.
H.
Viel Feind viel Ehr....
@hermann.12: Sie hängen da aber allerhand Verschwörungstheorien nach. Beantworten sie lieber für sich einmal die Frage, warum in Skandinavien, den Niederlanden und der Schweiz der Wohlstand wesentlich höher ist als in UK oder USA. Überlegen sie einmal, wer evtl. die Einführung eines Versicherungsmodels in der Krankenversicherung wie in den Niederlanden mehr verhindert. Wer bisher Rentenreformen wie in der Schweiz verhindert, gegen welche Lobby-Interessen sie hierbei argumentieren müssen. Und statt über drei Prozent Missbrauch zu diskutieren, empfehle ich ihnen sich einmal über den Nutzen von Sozialleistungen in einer anonymisierten Gesellschaft zu machen. Welche Chance ergibt sich für alle, wenn diese 97 Prozent nicht an den Rand der Gesellschaft geraten. Brauchen wir wirklich Juristen und Künstler, um uns noch deutlich zu machen, was Zusammenleben bedeutet. Im Zeitalter von Globalisierung und Vereinzelung sollten wir durchaus auch wieder zur Mitte finden.