Fast 92.000 Aktenstücke des US-Militärs zum Afghanistankrieg hat die Dokumenten- und Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlicht. Es handelt sich um Zusammenfassungen von Einsatzberichten der Soldaten. Quellen also, die sehr nah am eigentlichen Kriegsgeschehen sind. Die Berichte zeigen, wie dramatisch die Lage in Afghanistan ist.
Die Informationen in diesen Militärakten sind in der Sache nicht neu: Dass der Widerstand in Afghanistan wesentlich zäher ist als einstmals angenommen; dass viele unschuldige Zivilisten in dem Krieg ums Leben kommen; dass Spezialkommandos Taliban-Führer jagen; dass der Nachbarstaat Pakistan ein zweifelhaftes Doppelspiel fährt, in dem es auch militante Islamisten unterstützt – all das war schon vorher bekannt.
Dennoch ist die Veröffentlichung der Dokumente eine Sensation. Jegliche Arbeit zur Konfliktzone zwischen Afghanistan und Pakistan (Afpak) wird zukünftig auch diese Akten zurate ziehen.
In ihrer geballten Form sind die publizierten Dokumente sehr aussagekräftig. Anhand der Akten lässt sich mittels Zehntausender Mosaikstücke zusammenfassen, was an Wissen aus der Sicht des US-Militärs über den Krieg vorhanden ist. Wobei aber zu bedenken ist, dass auch diese Berichte nicht immer die Wahrheit über den Krieg wiedergeben können. Berichte aus afghanischen Einheiten oder auch pakistanischer Soldaten aus dem Grenzgebiet würden sich anders lesen.
Was ist das Besondere an den Dokumenten?
Schon allein die hohe Zahl der Dokumente – fast 92.000 – ist bemerkenswert. Niemals zuvor sind Militärakten in dieser Größenordnung im Netz veröffentlicht worden. Dabei seien sogar 14.000 Berichte im Vorfeld auf Bitten der Wikileaks-Quelle noch aussortiert worden, weil in ihnen konkrete Menschen als Informanten der US-Armee erkenntlich gewesen wären, so Daniel Schmitt, deutschsprachiger Wikileaks-Mitstreiter in Berlin. Afghanische Familien etwa, die von konkreten Tätigkeiten der Taliban in ihrem Dorf berichteten.
Die Dokumente belegen erstmals, dass die Taliban zum Abschuss amerikanischer Hubschrauber mindestens einmal portable, wärmegesteuerte Boden-Luft-Raketen verwendet haben. Bislang ist diese die einzige wirklich neue Erkenntnis aus dem Akten. Obwohl solche Flugabwehrraketen offenbar sehr selten verwendet werden, ist damit einerseits das Image vom technisch primitiv gerüsteten Talib widerlegt. Andererseits stellt sich die Frage, wie umfassend die Lufthoheit des US-Militärs im Kampf gegen die Aufständischen tatsächlich noch ist.
Und zu klären sein wird, woher die Taliban diese Waffen haben. Im Krieg gegen die UdSSR hatten die USA den seinerzeitigen Mudschahedin bereits vergleichbare Waffen geliefert. Diese Stinger-Raketen kaufte die CIA nach dem Abzug der Russen in großen Teilen wieder zurück, die Verbliebenen gelten als unbrauchbar. Bedrohlich wäre daher ein Szenario, nach dem beispielsweise ein Nachbarland den Taliban die Flugabwehrraketen zur Verfügung gestellt hat.
Schon lange vor der Veröffentlichung der Militärakten auf Wikileaks bekannt war die Tatsache, dass der pakistanische Geheimdienst Inter-Services Intelligence (ISI) mit den Taliban paktiert. Der ISI will damit seinen Zugriff auf das unruhige Nachbarland aufrecht erhalten – und er will einen Trumpf gegen den Einfluss von Erzfeind Indien in der Hand halten. Die Dokumente zeigen nun, dass ISI-Vertreter in geheimen Treffen direkt mit Taliban-Führern die Bekämpfung von US-Einheiten besprochen haben. Eine herausragende Rolle soll dabei vor allem der pakistanische Ex-Geheimdienstchef General Hamid Gul spielen: Aus den Akten geht geht hervor, dass er heute eine Art inoffizieller Verbindungsoffizier zu den Taliban sein könnte.
Ebenfalls seit Langem bekannt ist, dass die USA und andere Länder in Afghanistan Elitetruppen einsetzen und mit ihrer Hilfe Top-Taliban jagen. Dank der veröffentlichten Akten fällt der Fokus dabei nun aber auf die geheim operierende US-Einheit Task Force 373. Sie hat den Auftrag, Taliban-Führer und andere Kriminelle gefangen zu nehmen oder zu töten. Seit Sommer 2009 sind auch 300 Mann der Truppe in Masar-i-Scharif auf dem Gelände des deutschen Feldlagers Camp Marmal stationiert und führen von dort aus gezielte Tötungsaktionen durch. Die veröffentlichten Dokumente geben erstmals Zeugnis über die Arbeit dieser Geheimtruppe.
Kommentare
Präventivtötung, der neue Weg zur Demokratie?
Die Berichterstattung rund um diese Enthüllungen offenbart die reine Perversion die da im Gange ist. da schließen sich eine Menge Fragen an. Insbesondere, ob unsere Politiker (auch die deutschen werden da nicht gänzlich ahnungslos gewesen sein) detailliertere Kenntnisse über diese Einsätze hatten.
Sind Präventivtötungen der neue Weg zum Frieden? Diese Frage werden sich wohl allerhand Politiker gefallen lassen müssen. Hier, wie auch in den Staaten. Wenn jetzt in den nächsten Tagen kein größeres Entsetzen passiert und auch dramatisch korrigiert wird, dann sollte sich der Bürger irgendwann darauf einrichten solche Praktiken im eigenen Staate wiederzufinden. Oder besser ausgedrückt, die Demokratie abschreiben.
[entfernt. Bitte verzichten Sie auf Zynismus. Danke. Die Redaktion/ew]
Weiter so!
Wikileaks hat sich einmal mehr für den Friedensnobelpreis qualifiziert. Man kann ihre Verdienste gar nicht hoch genug bewerten. Vor unseren Augen findet gerade eine mittelschwere Revolution in Sachen Transparenz statt.
@ 2 Transparenz ?
Wo sehen Sie die denn ? Wir wessen weder, von wem und mit welcher Motivation diese Unterlagen durchgesteckt werden, noch können wir Aussagen über Vollständigkeit, Vorabauswahl oder mögliche Manipulationen machen.
Offenbar handelt es sich hier um Informationen, die von interessierter Seite zur Verfügung gestellt wurden. Aber von welcher Seite und mit welchem Interesse ? Transparenz sieht anders aus.
Wirklich beeindruckt wäre ich, wenn von Wikileaks demnächst detaillierte Berichte darüber veröffentlicht werden, wie in Afghanistan kleine Mädchen umgebracht werden, nur weil sie es wagten, zur Schule zu gehen. Oder den Plan darüber, welches Land denn nach Afghanistan als nächstes eine zwangsbeglückende Islamistisierung durch die Taliban erfahren soll. Aber ich vergaß... Das wäre politisch nicht korrekt. Die Bösen sind wir und auf der anderen Seite stehen ja angeblich nur mutige Widerstandskämpfer gegen unseren Imperialismus.
Wenn man..
...mal überlegt welchen extremen negativen Effekt diese Dokumente auf Präsident Obama haben, zumal bald die Kongresswahlen anstehen, könnte man fast glauben, die Dokumente seien von konservativer Seite an die Öffentlichkeit geraten... Schade, dass nicht bekannt ist, wie Wikileaks an die Daten kam.
Wie naiv kann man sein?
Werden die Namen der Quellen bekannt, ist das mindeste was ihnen droht praktisch lebenslange Haft (geht natürlich noch mehr bei einem Kriegstribunal) in einem schicken Gefängnis im "land of the free" (s. Fall des Videos des Hubschrauberangriffs). Wie viele Leute würden wohl bei nicht garantierter Anonymität den Märtyrer geben?
Seit den ganzen Skandalen von überwachten Journalisten ist WikiLeaks die letzte Bastion der freien Information. Und eben wegen dieser Überwachung sind die westlichen Regierungen an der Entstehung nicht unschuldig, sie haben es geradezu herausgefordert.
Und wir machen da mit
Es gab warnende Stimmen. Man konnte sich über den Misstand informieren. Peter Scholl-Latour, Dr. Erös, Chrisoph Hörstel und noch viele andere haben darüber geschrieben und berichtet. Warum sind wir in Afghanistan? Wir gehören da nicht hin und die letzte Gutwilligkeit der Bevölkerung wird kaputt gemacht dadurch, dass die Amerikaner in dem den Deutschen zugeteilten Gebieten wildern. Die Afghanen haben kein Vertrauen mehr zu Uniformierten, wer kann es ihnen verdenken.