Überraschend kam Abdel Fattah al-Sissis Sieg in Ägypten nicht. Der ehemalige Armeechef wurde kräftig vom Staatsapparat und von weiten Teilen der ägyptischen Elite unterstützt. Seit wenigen Tagen ist Sissi neu gewählter Präsident. Vom 26. bis zum 28. Mai sollen ihm deutlich mehr als 90 Prozent der Wähler ihre Stimme gegeben haben. Sein einziger Gegenkandidat, der Linkspopulist Hamdeen Sabahi, hatte keine Chance. Überraschend war indes nicht nur die geringe Wahlbeteiligung, die die Wahlkommission veranlasste, die Wahl von zwei auf drei Tage zu verlängern.
Die Afrikanische Union, die Arabische Liga, die Europäische Union und mehrere Nichtregierungsorganisationen beobachteten die Wahl. Von Anfang an stieß die EU-Mission auf Hindernisse, stand kurz vor dem Abbruch und konnte nur in reduziertem Umfang durchgeführt werden. Auch dadurch waren die EU-Vertreter außerstande, ein umfassendes Bild der Lage zu gewinnen.
Überraschend positive Bewertung der Wahl
Umso mehr erstaunt der positive Tenor der ersten Stellungnahme der EU-Mission nach der Wahl. Der ägyptischen Führung wird eine "Durchführung im Rahmen der Gesetze" bescheinigt. Obgleich der politische Kontext der Wahl als repressiv beschrieben wird, betonen die EU-Vertreter, dass es in der ägyptischen Bevölkerung "eine breite Unterstützung" für die Roadmap der Übergangsführung in Kairo gibt.
Belege hierfür liefern sie nicht. Die spontane Verlängerung der Wahl um einen Tag wird als rechtmäßig eingestuft, obgleich diese Entscheidung der Wahlkommission selbst unter ägyptischen Juristen umstritten ist. Noch problematischer ist, dass die geringe Wahlbeteiligung nicht bewertet wurde. Stattdessen geben die EU-Beobachter mit 47,3 Prozent die Zahl der Wahlkommission wieder.
Angesichts leerer Wahllokale erscheint das verdächtig hoch – das hätte thematisiert werden müssen. Zudem fehlt jeglicher Hinweis darauf, dass die Bevölkerung unter Strafandrohung aufgefordert wurde, zur Wahl zu gehen. Zwar gibt es im ägyptischen Gesetz eine Bestimmung zur Wahlpflicht, doch die wurde bis zur aktuellen Wahl nie angewendet. Das verdeutlicht das verzweifelte Bemühen der ägyptischen Behörden, die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Und so den neuen Präsidenten mit möglichst viel Legitimität auszustatten.
Die EU verleiht der Wahl Legitimität
Doch das eigentliche Problem der EU-Beobachtungsmission liegt nicht in ihrer fragwürdigen Bewertung. Vielmehr hat die EU mit der Entscheidung zur Durchführung der Mission diesem unfairen und unfreien Wahlprozess ein erhebliches Maß an externer Legitimität verliehen.
Die Einladung der ägyptischen Behörden an die EU, eine große Mission zu entsenden, könnte angesichts mangelnder Unterstützung für Sissi durchaus von den Befürchtungen vor einer schwachen Wahlbeteiligung geleitet gewesen sein. Umso wichtiger ist aus Sicht des Regimes die externe Legitimierung durch die EU. Sie kann die mangelnde interne Legitimierung aufwiegen, wenigstens zum Teil.
Die Legitimationszufuhr für das ägyptische Regime ist umso größer, als die Mission eine explizit politische Komponente hatte. Denn es nahmen nicht nur technische Wahlbeobachtungsspezialisten teil, sondern auch eine Delegation von Europaabgeordneten. Es kann daher niemanden überraschen, dass die EU-Mission in ägyptischen Staatsmedien als Unterstützung für den politischen Prozess gewertet wird.
Kommentare
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Irgendwie habe ich nichts anderes erwartet. Das ist doch unser "Pudel", der da gewählt werden sollte.
Demokratie interessiert doch niemanden mehr
"Das ist doch unser "Pudel", der da gewählt werden sollte."
Nicht wirklich. Die Amis (Europäer haben politisch ja nichts zu sagen) haben Mursi vorgezogen. Der ist nun aber nun einmal weg von der Macht. Die Macht hinter Sisi ist Saudiarabien. Hinter Mursi vor allem Qatar.
Die Amis waren anfangs sogar sauer und drohten. Nur, Sisi ließ sich einfach nicht bedrohen, weil mit den Saudis halt genügend Geld hinter ihm steht. Waffenembargo oder so? Die Russen würden sich freuen und gerne liefern.
Also kuscht man.
Das es irgendjemandem im Westen wirklich auf Demokratie ankäme glauben doch nur noch Kindergartenkinder.
Wahlbeobachter waren schon immer zweifelhaft
Wer glaubt, unsere Wahlbeobachter seien politisch neutral, glaubt ans Christkind. Dies zeigt sich nicht erst jetzt im Fall von El-Sisi in Ägypten. Schon seit Jahren läuft dasselbe Spiel auf dem Gebiet der alten Sowjetunion ab. Wer eine europafreundlichen Politik betrieb, konnte immer mit einem Persilschein der OSZE oder der EU rechnen.
Ein weiterer Leuchtturm der Demokratie
Ägypten hatte ja einen gewählten Präsidenten. Nur hatte Mursi weder die Unterstützung der EU noch die der Amerikaner. Der Großteil der Jugendlichen in den Städten konnte ebenfalls nichts mit Mursi anfangen. Zu religiös, zu traditionell, zu verschlossen gegenüber den Einflüsterungen des Westens. Jetzt unterstützt also die EU offiziell ein Militärregime, welches sich mit offener Brutalität an die Macht geputscht hat. Die Anhänger des alten Präsidenten verschwinden bei Säuberungsaktionen in den Folterkellern der Polizei oder werden in Massenprozessen zum Tode verurteilt. Das hört sich doch nach einem Regime an, mit dem man gut zusammenarbeiten kann. Die Amerikaner können sich sicher sein, dass die gewaltige Menge an Rüstungsgütern, welche während der Mubarrak-Zeit nach Ägypten geliefert worden sind, nicht in die Hände religiöser Eiferer fallen. Aber: Wer wie die EU überall auf der Welt den Anspruch erhebt, man müsse sich an die Menschenrechte halten und diese Fordeung benutzt, um z.B. Russland oder China an den Pranger zu stellen, sich dann aber einem Putschisten wie General Sissi anbiedert, darf sich nicht wundern, wenn man sie der Doppelmoral bezichtigt. Jeder auf der Welt hat gesehn, was eine demokratisch gewählte Regierung dem Westen wert ist, wenn diese nicht ins Bild passt.
Wo ist die Beratung?
Die Einschätzung, dass es nur die beiden Möglichkeiten gibt, dass die Wahl El-Sisis dazu führen wird, dass "die staatliche Repression weiter vorangetrieben" wird, oder "die Unzufriedenheit in der ägyptischen Bevölkerung zu neuen Massenprotesten.(führt )", lässt einen Sachverhalt gänzlich unbeachtet: Ägypten war schon vor dem Militärputsch deutlich erkennbar auf dem Weg in eine Diktatur - nämlich die der Muslimbruderschaft.
Selbst wenn wenig Anlass zu dieser Hoffnung bestehen mag, sollte man dennoch die Möglichkeit nicht ausschließen, dass man die regierende Militärclique mittelfristig davon überzeugen könnte, einen - diesmal etwas besser vorbereiteten - Übergang in eine zivile Gesellschaft anzustreben, die vielleicht nicht unseren Vorstellungen von Demokratie entsprechen mag, aber wenigstens die allgemeinen Menschenrechte enigermaßen garantieren könnte und darüber hinaus den äußeren Frieden in der Region durch die anhaltende Anerkennung des Existenzrechts Israels wahrt.
Das Beharren auf demokratischen Prinzipien ist zwar moralisch anständig - ich kann derzeit nur leider nicht erkennen, inwieweit es in der derzeitigen Situation weiterhelfen könnte. Konstruktive Vorschläge hierzu kann ich im Bericht nicht erkennen. Nennt man das jetzt schon "Beratung"?
Prioritäten
Auch wenn wir selber erfahrene Demokraten sind, so sollten wir uns davor hüten, von Ländern wie Ägypten zu erwarten, dass sie mal "so werden wie wir". Man kann nach der Geschichte, zumindest der letzten 60 Jahre, einfach nicht erwarten, dass Ägypten ein Demokratiemodell verfolgt oder gar praktiziert, welches dem unseren ähnelt oder diesen Ansprüchen gerecht wird.
Im übrigen will die Masse der Ägypter jetzt erst mal "essen!" und öffentliche Sicherheit. Dann Arbeitsplätze, Strom und Benzin. Ein demokratisches System, noch dazu nach westlichem Zuschnitt und Standard, brennt den meisten momentan bestimmt nicht auf den Nägeln. Insofern mag das, was wir jetzt dort sehen, nicht unseren Vorstellungen entsprechen. Jedoch die Hoffnungen bezüglich der o.a. Basisbedürfnisse liegen jetzt auf El-Sisi, ob wir das nun richtig/gut/passend oder nicht finden. Wir sollten die weitere Entwicklung im Lande zwar kritisch, jedoch mit Bezug auf die Lösung akuter Probleme ermutigend und auch mit etwas Wohlwollen begleiten.