Lissabon erlebte am Wochenende wahrhaft einen europäischen Moment. Leider war es nicht die Wahl zum Europa-Parlament, sondern das Finale der Champions League. Ganz Europa genoss die vielleicht einzige europäische Institution, die die Bürger auch dann nicht abwählen würden, wenn sie es könnten.
Früher verstanden die Leute die EU nicht. Heute wollen viele sie nicht mehr verstehen. Quer durch Europa – in Frankreich, Großbritannien, Dänemark, Italien, Ungarn, Österreich – haben Politiker triumphiert, die nichts anbieten außer dem Versprechen, sie von innen heraus zu zersprengen.
Es macht ratlos, dass dieser Hass und diese Unzufriedenheit ausgerechnet in einem Moment ausbricht, in dem an der Ostgrenze der EU Wladimir Putin den Kalten Krieg wiederaufleben lässt. Einem Moment, der allen hätte klarmachen können, wieso Europa weiter zusammenwachsen muss.
Kein europäisches Land kann allein den Klimawandel bekämpfen. Keines kann allein verhindern, dass in Europa demokratische Standards geschleift werden. Und erst recht ist keines bedeutend genug, mit den Großmächten die Regeln der Welt des 21. Jahrhunderts zu verhandeln. Doch das Bauwerk, das die Kräfte Europas bündeln könnte, anstatt sie konkurrieren zu lassen, sähen viele lieber abgerissen.
Manche, deren Existenz in der Krise zerstört wurde, haben allen Grund, Europa zu misstrauen. Andere haben sich einreden lassen, dass es Brüssel sei und nicht die Regierungen, die Europa bestimmen. Und einigen fehlt grundsätzlich die Gabe, sich zu orientieren, wenn keiner nach Gott, Volk und Vaterland ruft.
Jetzt taumelt Europa. Seine Gegner sind entschlossen, während seine Unterstützer zwischen Indifferenz und naivem Optimismus schwanken. Einem "Es ist ja noch immer gut gegangen", das keine Gefahr sieht, solange die Rechtspopulisten nicht die Mehrheit stellen.
Das Schweigen ist die wahre Existenzbedrohung der EU
Die vielen, die nicht für die Rechtspopulisten stimmten, gehen nicht auf die Straße. Manche wählen noch nicht einmal. Sie, die sich im Brüsseler Institutionenurwald nicht zurechtfinden, aber sehr wohl offene Grenzen wollen, sind die wahre schweigende Mehrheit Europas.
Ihr Schweigen, nicht das Brüllen der Europafeinde, ist die größte Existenzbedrohung für die EU. Ist sie zu präsent, als dass man die Möglichkeit ihres Verschwindens noch für möglich halten könnte? Lassen sich manche davon blenden, dass die europäische Einigung schon in den Schulbüchern steht – als wäre sie ein unumkehrbarer Prozess, ein ewig währendes Bauwerk.
Sie irren. Es kann jetzt sehr schnell gehen. Im Jahr 2017 wird Großbritannien ein Referendum über den EU-Austritt abhalten. Derzeit sehen Umfragen die Unionsgegner weit vorn. Im selben Jahr wird Frankreich einen neuen Präsidenten wählen. Sollte es Marine Le Pen werden, wird sie den Austritt wohl ebenfalls vorantreiben. Niemand kann heute sagen, wie die Wähler abstimmen, wenn es tatsächlich um den Ausstieg geht.
In einigen Jahren könnte die EU vergangen sein wie eine verkohlte Feuerstelle. Wer das verhindern will, der muss das jetzt sagen. Sehr deutlich.
Kommentare
Hieß es nicht noch vor wenigen Tagen,
dass Wilders aus den Niederlanden ein sehr schlechtes Ergebnis geliefert habe - auch von ZO? Heute lese ich dann das:
http://deutsche-wirtschaf...
Habt ihr _schon wieder_ gelogen?
Anmerkung: Bitte äußern Sie sich differenziert und zum konkreten Thema. Beiträge wie diesen werden wir im Folgenden ansonsten entfernen. Die Redaktion/dj
Haben Sie schon wieder nicht verstanden?
"Habt ihr _schon wieder_ gelogen?"
Sie scheinen nicht verstanden zu haben, dass die Nachricht immer nur so gut ist wie Ihre Quelle. Und wenn die Quelle sagt, Wilders hat schlecht abgeschnitten, kann die Nachricht gar nicht anders, als dies erst einmal so wiedergeben.
Deutscher Sprach schwärer Sprach ...
"Kein europäisches Land [...] kann allein verhindern, dass in Europa demokratische Standards geschliffen werden."
Duden, 25. Aufl., S. 945:
"schleifen
Unregelmäßige Beugung in den Bedeutungen "schärfen", die Oberfläche von etw. bearbeiten"[...]
– ich schliff mein Messer, habe es gelschliffen
[...]
Regelmäßige Beugung in den Bedeutungen [...] "niederreißen":
– die Festung wurde geschleift."
Bitte äußern Sie sich zum Thema. Die Redaktion/dj
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
Zitat: "...Wenn diese Passivität anhält, könnte es mit der EU schnell vorbei sein...."
Na und? Was wäre dann? Mit Sicherheit würden die Länder Europas dann nicht übereinander herfallen. Es gab schon früher eine "EWG" die wunderbar funktioniert hat - auch ohne gemeinsame Währung und offenen Grenzen. Im Gegenteil: Der Respekt voreinander war früher sicher größer als heute.
Ein "vereintes Europa" hilft nur denjenigen, die dieses Territorium auf bequeme Art und Weise kontrollieren möchten. Statt in jedem EU-Land umständlich Lobbyisten installieren zu müssen, braucht man diese nur an einem Ort zu stationieren um alle Fäden in der Hand halten zu können.
Sie haben eben genau
Ihr eigenes Problem genannt. Früher hatten Sie mehr Respekt vor den anderen. Und am Umgangston hier im Forum (vor allem der EU gegner). ist das auch deutlich zu merken. Schonmal drüber nachgedacht, was wäre wenn die ganzen EU Feinde die jetzt krakelen einfach UNRECHT haben!? Wenn die EU und der Euro einfach Sündenbock sind für ein kränkelndes System (zb Kapitalismus). Oder der Grund für Probleme darin liegt dass die EU zu schwach ist? Eben WEIL viele es blockieren? Was wenn ein integrativer (=erhalt der nationalen Identitäten, übrigens) Staatenbund die einzige Chance in einer Welt der Putins, assads, nsa's und chinas ist!?
Schreckliche Vorstellung
In der EU laufen einige Dinge ganz gewaltig schief. Doch bin ich der felsenfesten Überzeugung, dass die positiven Dinge überwiegen. Allein der zollfreie Handel und die offenen Grenzen im Schengenraum zeigen doch, dass Europa aus den Fehlern hunderter Jahre Krieg gelernt hat. Es müssen ja nicht gleich die USEu sein und auch die Regulierungswut könnte ein wenig eingeschränkt werden, doch sind das Peanuts angesichts eines friedlichen Europas, das im gegenseitigen Handel blüht, gedeiht und eine Menge Kohle durch Zollfreiheit scheffelt.
Nein, ein EU-Austritt wäre ganz und gar ein Schritt in die falsche Richtung. Das sage ich als deutscher Patriot.
Welche deutsche Partei will denn aus der EU austreten?